Flusslandschaft 2003

Armut

Ab Januar 2003 tritt an die Stelle der laufenden Sozialhilfe eine von der rot-grünen Bundesre-
gierung eingeführte Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Diese beinhaltet die Fortschreibung der Sozialhilfekürzung und die Einleitung der Abschaffung des Bundessozial-
hilfegesetzes. An Stelle der bisherigen Sozialhilfe erhalten bedürftige Menschen, welche das 65. Lebensjahr vollendet haben oder dauernd erwerbsunfähig sind und über kein ausreichendes Ein-
kommen verfügen, nun (nur noch) Leistungen nach dem GSiG. Die Höhe der „Grundsicherung“ soll sich an der derzeitig geübten Praxis der gekürzten pauschalierten Sozialhilfe ausrichten.

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Bundeskanzler Schröder meint in der „Agenda 2010“ vom 14. März: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfor-
dern müssen.“2

Am 8. Oktober findet die Demonstration „Sozialabbau ist geil“ statt: „Wir begrüßen es, dass in München Jugendeinrichtungen geschlossen werden. Es ist absolut hervorragend, dass wir für Bildung Gebühren zahlen müssen, denn wo kommen wir denn da hin, wenn Arme studieren dürften. Dazu haben sie kein Recht! Die Mieten sind immer noch viel zu niedrig! Die, die sich das Leben in München nicht leisten können, sollen unsere Stadt verlassen! Kinder, der Sozialstaat, das ist doch Schnee von Vorgestern! Ihr seid alle herzlichst eingeladen mit uns den Sozialabbau zu feiern! Denn Armut ist Glück und wahrer Reichtum zugleich! Demonstration vom Sendlinger Tor über Reichenbachplatz und Isartor. Danach ab 18.00 Uhr Jubelparty – Ort steht noch nicht fest, wird aber auf der Demo bekanntgegeben.“3 Auf einem Transparent ist zu lesen „Sozialhilfe ist
was für Weicheier“.4 – Immer häufiger taucht im öffentlichen Diskurs bei Reden über Sozialhilfe-
empfänger der Begriff „Sozialschmarotzer“ auf.5

„Spezies »Politiker« — / sind jene Personen, / die schwören, / zum Wohle des Volkes / zu handeln. — / Ich bin / zu dumm, / um zu begreifen, / daß weniger Arbeitslosengeld, / daß weniger Sozialhil-fe, / daß weniger Rente, / daß weniger Rentensicherheit, / daß mehr private Rentenvorsorge, / daß mehr Krankenkassenbeiträge, / daß mehr Steuern / und weniger für Großunternehmen, / zu mei-nem Wohl / sein sollen. — / Wie gut, / daß diese Politiker / nie bis zu meinem / Einkommensni-veau / herabsteigen müssen, / denn es ist schon / zuviel, / stetig mehr / für diese Spezies / zu be-zahlen. — / Der Homo politicus / ist jemand anderes. —“ Wolf-Dieter Krämer am 29. November

In diesem Jahr erhalten 150.000 Münchnerinnen und Münchner vom Sozialreferat insgesamt
859 Millionen €uro; es ist der größte Posten im städtischen Haushalt.

(zuletzt geändert am 10.8.2018)


1 Grafik: Bernd Bücking. In: Conrad Schuhler, Die Demontage des Sozialstaats. Agenda 2010, Hartz, Rürup und die Folgen, isw-Report Nr. 54, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., Juni 2003, 20.

2 Zitiert im Kölner Stadtanzeiger vom 13. März 2008.

3 www.m-sf.de/archiv-aktionen-2003-10.php#kreuz

4 Siehe „Jubeldemo“ und „Macht mit: Aktion guter Staatsbürger“.

5 Siehe „Der schwere Schritt …“ von Christine Cheret.