Flusslandschaft 2003

CSU

»150 Prozent – Wahlfälschung. In Bayern gehen die Urnen anders, das ist spätestens seit dem Skandal um die Wahlfälschung in Dachau allseits bekannt. Am Dienstag vor einer Woche wurde ein ehemaliger Kommunalpolitiker der CSU, Wolfgang Aechtner, wegen seiner Schummelei mit den Stimmzetteln vom Landgericht München II zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Als Bewährungsauflage verhängte das Gericht außerdem eine Geldbuße in Höhe von 125.000 Euro. Aechtner hatte vor der Kommunalwahl im März des vergangenen Jahres älteren Mitbürgern die Unterlagen zur Briefwahl besorgt und im Sinne der CSU manipuliert. Auf 455 Stimmzetteln mach-
te er das Kreuz an der rechten Stelle. Das Wahlkampffieber habe ihn zu seinem Betrug verleitet, erklärte der 67jährige Rentner vor Gericht, er trat inzwischen aus der CSU aus. Das Gericht befrei-
te den früheren Leiter einer Bankfiliale aber auch von einer schweren Qual. Aechtner darf vier Jahre lang nicht wählen.«1

Landtagswahlen stehen an, eine Zwei-Drittel-Mehrheit droht. Thies Marsen macht sich so seine Gedanken.2 Da widerspricht Eva: „Arme atheistische Partei der Arbeiter – Der Artikel ist zwar lustig, liegt aber irgendwie daneben. Der Schlüssel für den Erfolg der CSU liegt nicht in der Königs-
treue der Bayern, sondern im C = christlich = katholisch. Noch in den Siebzigern wurde von den Kanzeln herab zum CSU-Wählen aufgefordert, ganze Altersheime stimmten unter der Anleitung von Nonnen bei der Briefwahl für die CSU, die JU karrte gehbehinderte Alte zu den Wahlurnen, und nach der Kirche geht man ins Wahllokal und wählt auch heute noch CSU. Die SPD steht für Atheismus, bestenfalls für: evangelisch, und wird daher auch am ehesten noch im protestantischen Franken gewählt. Der zweite Grund liegt in der ländlichen Struktur, für Brauchtum und auch für die Bauern setzt sich am ehesten noch die CSU ein. Für den Mittelstand interessiert sich traditio-
nell ebenfalls die CSU, und die wenigen Gebiete, die eine traditionelle Arbeiterschaft aufweisen (Nürnberg), wählen eher SPD. Der dritte Grund liegt im mittlerweile gebildeten Filz. Das mit der Königstreue und dem Preiß’nhass nimmt erstens niemand wirklich ernst und steht zweitens für die bayerische Sehnsucht nach G’mütlichkeit und »lassts ma mei Rua« – sprich: einem stressfreien Leben. Vorbild ist der König Ludwig, der sich’s in seinen Schlössern bei Wein (?), Weib (Lola Mon-
tez) und Gesang (Wagner) gut gehen ließ und von Leuten gemeuchelt wurde, die ihn dies nicht in Ruhe tun lassen wollten. Solche Leute nennt man Preußen, und daran sind sie wegen ihrer milita-
ristischen Tradition auch selber schuld.“3 Abgesehen davon, dass Eva die Könige Wiggerl I und Wiggerl II eins werden lässt, hat sie schon irgendwie recht.

Bei den Landtagswahlen am 21. September erringt die CSU tatsächlich eine 2/3-Mehrheit im Landtag. Jürgen Köster in den Lokalberichten: „Die CSU ist insofern wirklich eine ‚Volkspartei’, als eben nicht nur Reaktionäre sie wählen oder in ihr Mitglied sind. Wer in seiner Gemeinde einfach für die Leute etwas erreichen will, tut dies oft in der einzigen Partei, die das auch durchsetzen kann, nämlich der CSU. Wenn ich in meiner Gemeinde für die Zukunft unseres Schülerzentrums kämpfe, ist der CSU-Fraktionsvorsitzende ein möglicher Bündnispartner für den Erhalt dieser sozialen Einrichtung, ein anderer Vertreter derselben Partei macht den Scharfmacher gegen alles Soziale. Der Konsens entsteht dann innerhalb der CSU, andere haben nicht mehr viel zu quaken. So wird Hegemonie hergestellt. Dass diese Hegemonie ‚durch Zwang gepanzert’ werden muss, beherrscht die CSU auch ohne Gramsci-Lektüre. Bei dieser Wahl kam hinzu, dass auch der offen reaktionäre Charakter der CSU-Politik völlig ohne Alternative blieb. SPD und Grüne, die Parteien der Agenda 2010, waren keine Alternative, sondern traten sogar noch am Wahlabend angesichts ihrer gesammelten 27 Prozent als Verteidiger des Sozialabbaus auf. Noch 23 Prozent der Arbeits-
losen (letztens waren es in Bayern 43 Prozent) haben SPD gewählt. 50 Prozent von ihnen ent-
schieden sich für die CSU, ebenso wie 62 Prozent der Arbeiter. Das ist keine bayerische Folklore, sondern Ergebnis der Regierungspolitik von SPD und Grünen. Ins Bild passt, dass über 40 Prozent der Wahlberechtigten mit keiner kandidierenden Partei etwas zu tun haben wollten und zu Hause blieben, auch ein Novum.“

Die CSU erhält in diesem Jahr von der Allianz 50.000 €uro und von der Deutschen Bank 20.000 €uro Spenden.4

(zuletzt geändert am 19.10.2024)


1 Jungle World 7 vom 5. Februar 2003, 10.

2 https://jungle.world/artikel/2003/37/mir-san-mir

3 Jungle World 39 vom17. September 2003, 4.

4 Rechenschaftsberichte der Parteien nach dem Parteiengesetz (1998 – 2006), Berlin 2007.

Überraschung

Jahr: 2003
Bereich: CSU

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