Flusslandschaft 2004
Armut
Das Sozialreferat gibt den „Armutsbericht“ heraus: „Ende 2004 waren in München 177.711 Per-
sonen von Armut betroffen; anders ausgedrückt: 131 von 1.000 Menschen (Armutsdichte) in München sind arm. Damit hat die Armut in München eine bisher nie da gewesene Höhe erreicht. Die am Sozialhilfebezug gemessene Einkommensarmut ist in 25 Jahren (1980 – 2004) auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Kinder und Jugendliche sind wiederum die am stärksten betroffene Gruppe: 86 von 1.000 der unter 14-Jährigen beziehen Sozialhilfe (alle Personengruppen: 46 von 1.000). Bei den unter 18-Jährigen sind es 14.300 Kinder und Jugendliche, die von Armut betroffen sind. Die Sozialhilfedichte lag bei AusländerInnen (Dichte: 64 von 1.000) wesentlich höher als bei Deutschen (Dichte: 29 von 1.000). Die Hauptursache für Armut ist Arbeitslosigkeit.“1 Das Westend ist besonders betroffen.2
Der Magdeburger Langzeitarbeitslose Andreas Erholdt verfasst Ende Juni einen Aufruf zu einer Montagsdemonstration. Erst sind es 600, dann 6.000 dann 15.000, die demonstrieren, ohne dass Parteien oder Gewerkschaften die Kundgebungen ausgelöst oder beeinflusst haben. Die Bundesre-
gierung beschließt am 2. Juli die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab Januar 2005. Im Sommer 2004 beginnen in München die wöchentlichen Montagsdemonstrationen gegen „Hartz IV“.3 Schon bald versuchen rechtsextreme Mitglieder der Kameradschaft München an diesen Protesten mit Parolen wie „Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen! Weg mit Hartz IV! Ausländer abschieben! Deutsche Steuergelder für Deutsche!“ teilzunehmen, werden aber von couragierten Antifaschisten abgedrängt. Kritik an neoliberaler Globalisierung und Eintreten für staatliche Regulierung öffnet naturgemäß nationalistischen Positionen die Türe. — Im September finden in über zweihundert Städten der Bundesrepublik Montagsdemonstrationen statt.
Im Bundeshaushalt tun sich seit der „Unternehmens-Steuerreform 2000“, die eine beispiellose Steuerentlastung für Konzerne und Spitzenverdiener brachte, Milliardenlöcher auf, obwohl die Unternehmensgewinne der Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) als auch die Gewinne der Personen-
gesellschaften und Selbständigen in jedem Jahr nach 2000 deutlich über dem Niveau von 2000 lagen. Die sieben in München beheimateten Dax-Konzerne – Siemens, BMW, Allianz, HypoVer-
einsbank, MAN und Infineon – zahlen seit Jahren keinen Cent Gewerbesteuer. Die rot-grüne Bundesregierung ermöglicht so den schleichenden Ausstieg von Konzernen und Spitzenverdienern aus der Finanzierung des Gemeinwesens. Umgekehrt steigt die Belastung durch Steuern auf Arbeit und Verbrauch drastisch.4
16. Oktober: Gründung des „Sozialforums München“.
Die Erwerbslosenzahlen steigen, gleichzeitig streicht die Stadt die Mittel für Arbeitslosenzentren. Das Arbeitslosenzentrum Ost in der Pariserstraße besteht seit 18 Jahren. Es muss im kommenden Jahr genauso schließen wie das im Münchner Westen. Nur Mitte und Nord werden weiter bestehen bleiben.5
An jedem Freitag, so am 10. Dezember, 17. Dezember … findet um 18 Uhr die Siegestoraktion der Schwabinger Friedensinitiative gegen Hartz IV und Prekarisierung statt.
Ende des Jahres sind in München 177.711 Personen von Armut betroffen; anders ausgedrückt: 131 von 1.000 Menschen (Armutsdichte) in München sind arm.
1 Mit Links 16 vom OKTOBER 2006, 12 (www.dielinke-muenchen-stadtrat.de/nc/dokumentation/archiv/browse/1/artikel//mitlinks/); siehe Weiterführendes in Münchner Armutsbericht – Fortschreibung 2004, Beiträge zur Sozialplanung, München 2006. Siehe auch www.muenchen.de/soz/daten.
2 Siehe „Armut in München – Armut im Westend“ von Peter Eberlen.
3 Siehe „Montagsdemonstrationen in München – Keine Chance für Neonazis“ von Max Brym.
4 Siehe isw – sozial-ökologische wirtschaftsforschung, www.linksnet.de/de/artikel/18860. – Im August erscheint Albrecht Müllers „Die Reformlüge. 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren“ in München. Müller war Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Kanzlern Brandt und Schmidt. Seit 2003 gibt er die „NachDenkSeiten“ heraus: www.nachdenkseiten.de. Den Predigern eines forcierten Abbaus der sozialen Sicherungssyste-
me unterstellt er ideologisches Wunschdenken.
5 Siehe „Offener Brief“.