Flusslandschaft 2004
Flüchtlinge
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„Am 9.1.2004 wird im Rahmen einer bundesweiten Anti-Abschiebungs-Tour togoischer AktivistIn-
nen dem Verwaltungsrichter Kugele von der 25. Kammer des Münchner Verwaltungsgerichts der Preis für den ‚Abschieberichter des Monats’ verliehen. Denn Kugele, berüchtigt für seine notori-
schen Negativentscheide, hat auch die Klagen von Patrice und Bertrand auf Asylanerkennung ab-
geschmettert. Für die Laudatio an den Preisträger hat sich ein Aktivist als togoischer Diktator Eya-
dema verkleidet. In puncto Presseecho sind die Aktionen ein voller Erfolg. Doch das KVR bleibt trotz des intensiven öffentlichen Drucks hart: Die Duldungen für Patrice und Bertrand werden nicht verlängert. Beide schaffen es jedoch, der drohenden Abschiebung zu entgehen.“2
Am 16. Januar demonstrieren AktivistInnen der Flüchtlingsbetreuung auf dem Marienplatz gegen die drastischen Sparbeschlüsse der bayrischen Staatsregierung bei der Flüchtlingsbetreuung in den Unterkünften. Anni Kammerlander von Refugio trägt ein Schild mit der Aufschrift „Wer kümmert sich um Traumatisierte?“ und hält eine Ansprache.
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Am 31. Januar protestieren etwa fünfzig Menschen vor der Flüchtlingsunterkunft im Schwank-
hardtweg gegen die schikanösen Praktiken des dortigen Verwalters.
Rund 100 algerische Flüchtlinge aus Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen werden am 17. März in Polizeibussen in ein Flüchtlingslager in Fürstenried gebracht. Der Grund hierfür: eine so genannte Botschaftsvorführung, in deren Verlauf ein Vertreter der algerischen Botschaft, dem ein Raum im Flüchtlingslager zur Verfügung gestellt wird, die Flüchtlinge »inter-
viewt«. Anhand dieser Gespräche stellt der Botschaftsvertreter die jeweilige Herkunft der Personen fest, so dass die Flüchtlinge abgeschoben werden können.
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Vom 19. bis 23. Juni „campen“ Flüchtlinge und ihre deutschen Unterstützer auf dem Stachus.
Am 1. Juli verabschiedet der Bundestag das neue Zuwanderungsgesetz. – Die Armen stehen vor den Toren der Festung. Europa schottet sich ab. Es heißt an den Stammtischen, die Flüchtlings-
ströme seien nicht zu verkraften. Und: „Sollen wir für das Elend der Welt bezahlen? Da ist es bes-
ser, die Grenzen dicht zu machen und die Flüchtlinge soweit wie möglich schon vor den Grenzen aufzuhalten.“ Diese Position wird immer mit einem Lippenbekenntnis garniert: Man müsse auch dafür sorgen, die Fluchtursachen zu bekämpfen.5 – Für Sonntag, den 3. Oktober, rufen der Baye-
rische Flüchtlingsrat, res publica sowie die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migran-
tInnen anlässlich des Tags des Flüchtlings zu einer Demonstration unter dem Motto „Abschiebela-
ger abschaffen – Recht auf Bleiberecht!“ auf. Die Auftaktkundgebung findet um 13 Uhr vor der Ge-
meinschaftsunterkunft Rosenheimer Straße 242, Ecke Frauenchiemseestraße statt. Die geplante Demoroute führt dann zur Abschlusskundgebung auf dem Orleansplatz. Worum geht es? Ca. sie-
bentausend geduldete Flüchtlinge gibt es in Bayern, den bayerischen Behörden sind das sieben-
tausend zuviel. Sie werden deshalb in Abschiebelager eingewiesen mit der Begründung, sie seien eine „Bedrohung der öffentlichen Ordnung“. Zur Durchsetzung der „freiwilligen“ Ausreise werden die betroffenen Flüchtlinge so lange unter massiven psychischen Druck gesetzt, bis sie psychisch zerbrechen, aus Deutschland verschwinden oder, wie die Mehrheit, in die Illegalität untertauchen. Die Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber an der Rosenheimer Straße soll in Kürze in ein Abschiebelager umgewandelt werden und steht somit exemplarisch für die Bestrebungen der Re-
gierung, letzte vorhandene Reste des Rechtes auf Asyl zu beseitigen. Dies können, dürfen und wollen wir nicht hinnehmen! Die Organisatoren der Demo sowie der Bezirksausschuss Ramers-
dorf-Perlach protestieren gegen die Errichtung des ersten Münchner Abschiebelagers in seinem Stadtbezirk. Die Demonstration lässt das Festival „Rage-against-Abschiebung“ lautstark ausklin-
gen, das am Freitag, den 1. Oktober ab 19 Uhr im Feierwerk/Orange House mit einem Kultur- und Musikprogramm stattfindet. Den Auftakt des Festivals bildet die Veranstaltung „Just do it – An-
stiftungen zur Intervention“. Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, Rechtsanwältin Gisela Seidler und die Aktivistin Sandra Pauli zeigen Möglichkeiten auf, im Falle einer bevorstehenden Abschiebung aktiv einzuschreiten. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird „Rage against Abschiebung – die Compilation“ erstveröffentlicht. Die Doppel-CD folgt dem An-
spruch der Festivalmacher, ein ansprechendes Musikrepertoire mit politischem Inhalt zu verknüp-
fen. Neben Songs aller auf den letzten fünf Festivals aufgetretener Bands (CD 1: Anhörung) bietet die Compilation auf CD 2 (Schleierfahndung) und im Booklet (Leitfaden zu Abschiebungen am Flughafen) konkrete Hilfestellungen zur Verhinderung von Abschiebungen.
Samstag, 11. Dezember, 12 Uhr: „Abschiebung stoppen!“ – Bundesweite Demonstration am Goe-
theplatz gegen die „Verletzung der Menschenrechte in Deutschland“. Veranstalter: Karawane München.6
1 Foto: Andrea Naica-Loebell
2 Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 21. Siehe „9. januar“ von Andrea Naica-Loebell.
3 Foto: Andrea Naica-Loebell. Vgl. Münchner Lokalberichte 3 vom 5. Februar 2004, 5.
4 Foto: Andrea Naica-Loebell. Siehe „Camping auf dem Stachus“.
5 Siehe „Flüchtlingslager in Afrika“ von Heinrich Maetzke.
6 Vgl. Münchner Lokalberichte 24 vom 23. November 2004, 11.