Flusslandschaft 2007

Sicherheitskonferenz


Die Münchner Sicherheitskonferenz (Siko), englisch Munich Security Conference (MSC), auch „Internationale Sicherheitskonferenz“ sowie „Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik“ genannt, ist jährlich im Februar ein Treffen von Ministern, Militärs, Parlamentariern, Rüstungslobbyisten und anderen „Sicherheitsexperten“ aus aller Welt im Hotel Bayerischer Hof am Promenadeplatz 6. Es ist das weltweit größte Treffen seiner Art. Die Konferenz ging aus der 1962 von Ewald-Heinrich von Kleist-Schmezin gegründeten Münchner Wehrkundetagung hervor, wie sie zu Zeiten des Kal-
ten Krieges hieß. Nach ihm wurde die Veranstaltung, von 1999 bis 2008, vom CDU-Politiker Horst Teltschik geleitet. Seit es im Februar 2002 erstmals zu Massenprotesten gegen die Konferenz kommt, gerät Teltschik immer mehr unter Rechtfertigungsdruck. Auf der offiziellen Homepage behauptet er, die Konferenz befasse sich „ausschließlich mit der Frage, wie Konflikte friedlich gelöst werden können“. Vor zwei Jahren erfanden die Veranstalter ein neues Motto für die Kon-
ferenz: „Frieden durch Dialog“.

Bereits im Vorfeld der Siko kommt es am Mittwoch, 17. Januar, zu einer großen Durchsuchungsak-
tion der Polizei in insgesamt elf linken Betrieben, Projekten und Privatwohnungen wegen angebli-
cher Aufrufe zu Straftaten in der Broschüre „In Bewegung bleiben“, die im Rahmen der Mobilisie-
rung gegen die NATO-Sicherheitskonferenz und gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm erschienen ist. Die Durchsuchungen werden im Nachhinein als rechtswidrig erklärt.1

Am 6. Februar findet der „Geisterzug“ gegen die Siko statt.2

Bei einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk über die Gegendemonstrationen unterläuft Teltschik in einem unbedachten Moment folgender Satz: „Es ist die Tragik jeder Demokratie, dass bei uns jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf und dass man politisch Verantwortliche in einer Demokratie schützen muss. In Diktaturen würde so etwas nicht passieren.“3

Seit 2009 ist der Leiter der Konferenz der ehemalige Diplomat Wolfgang Ischinger. Finanziert wird die Konferenz 2007 mit 323.000 Euro vom Bundespresseamt aus dem Etat des Verteidigungsmi-
nisteriums. Für die übrigen Kosten kommen Sponsoren aus der Rüstungsindustrie auf. Seit etwa 2002 kam es am Rande der von einem großen Polizeiaufgebot abgeschirmten Konferenz immer wieder zu Demonstrationen von Globalisierungskritikern und Pazifisten. Seit 2003 wurde außer-
dem als Gegenveranstaltung zeitgleich die „Internationale Münchner Friedenskonferenz“ durch-
geführt. Es gibt auch die Idee, mittels gewaltfreier Impulse und Dialog die Siko zu einer „Münchner Konferenz für Frieden in Gerechtigkeit“ zu verändern, von der dann „Initiativen für eine gerechte, ökologische und gewaltfreie Weltinnenpolitik“ ausgehen könnten.4

Die Konferenz sorgt selbst für eine Überraschung. Der russische Präsident Putin nutzt diese „re-
präsentative Konferenz, die Politiker, Militärs, Unternehmer und Experten aus mehr als 40 Ländern versammelt“, um ganz ohne „übermäßige Höflichkeit“ grundsätzlich mit der Politik des Westens, insbesondere der USA, abzurechnen und Russland sowie den Rest der Welt wieder als auf der Weltbühne Agierende einzuführen. Eine „unipolare Welt“ eines „einzigen Herrn, eines einzigen Souveräns“ sei nicht nur unannehmbar, sondern überhaupt unmöglich. Wir beobachten heute, so Putin, „eine fast durch nichts gebändigte, hypertrophierte Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen – militärischer Gewalt – eine Gewalt, die die Welt in einen Abgrund von aufeinanderfolgenden Konflikten drängt.“ Das System der USA werde „anderen Ländern auf-
gezwungen.“ Das alles führe dazu, dass sich „niemand mehr sicher fühlt“, weil „niemand sich auf das internationale Recht wie auf eine Schutzmauer verlassen kann.“ Putin betont, dass die Anwen-
dung von Gewalt nur nach Entscheidung im Rahmen der UNO legitim sei. Er bezeichnet die Aus-
dehnung der NATO bis an die Grenzen Russlands als einen „ernsthaft provozierenden Faktor“, betont, dass das Bruttosozialprodukt der BRIC-Ländergruppe (Brasilien, Russland, Indien und China) bereits das der EU übersteige und schlussfolgert, dass „das ökonomische Potential der neuen Weltzentren des Wachstums unvermeidlich in politischen Einfluss umschlägt und die Multipolarität festigen wird.“ Russland, so Putin abschließend, sei „ein Land mit einer mehr als 1000-jährigen Geschichte und hatte praktisch stets das Privileg, eine unabhängige Außenpolitik betreiben zu können. Wir haben nicht vor, heute diese Tradition zu ändern.“ Er fordert im letzten Satz einen gemeinsamen „Bau einer gerechten und demokratischen Weltordnung, … in der wir Sicherheit gewährleisten und Gedeihen nicht für Auserwählte, sondern für alle.“5

6
Bei der Anfahrt wird ein Bus von der Polizei gestoppt und Insassen verhaftet.7

Vor und nach der SIKO wird mehrfach das große Kolonialdenkmal am Friedhof neben der Thal-
kirchnerstraße mit Farbe beschmiert und mit den Parolen „Mörder“ umbenannt. Bei der Großde-
monstration am 10. Februar sind etwa 5.000 – 6.000 Menschen auf der Straße. Bei der Schluß-
kundgebung spricht u.a. die SDAJ und Tobias Pflüger.8 Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass „friedensbewegte Christen und Globalisierungskritiker von Attac … eher schwach vertreten waren; dafür folgten auffällig viele und auffällig junge Demonstranten den Fahnen radikal linker Organi-
sationen.“9 Rabiate Übergriffe des Unterstützungskommandos (USK) veranlassen die Demon-
strationsleitung, den Zug etwa dreihundert Meter vor dem Platz der Abschlußkundgebung zu stoppen und zu beenden. Trotz der besseren „Fluchtmöglichkeiten“ auf dem Stachus kommt es nach Beendigung der Demo zu über sechzig Festnahmen.10

Der Dialog zwischen den NATO-Militärstrategen kostet Hunderttausenden das Leben. Ihr Rezept ist immer das gleiche: Man schürt Spannungen und Konflikte, unterstützt despotische Regime und Terrororganisationen, liefert Waffen an alle Beteiligten, um dann zur Rettung der Menschen mili-
tärisch zu intervenieren. Krieg heißt dann „Friedensmission“ und dient vorwiegend dazu, sich die Kontrolle über Rohstoffe und Energieressourcen zu sichern. Unter Sicherheit verstehen die NATO-
Strategen: Sicherheit für die Kapitalinvestitionen der Multis, sicheren Zugang zu den Ölquellen im Nahen und Mittleren Osten, sichere Abschottung der Grenzen vor Flüchtlingen aus den Kriegsre-
gionen und den armen Ländern des Südens. Nicht zufällig findet deshalb, in Kooperation mit der 43. NATO-Militärtagung, wieder eine Industrie- und Banken-Konferenz am 9. Februar in Mün-
chen statt. Die „2. Finanzierungskonferenz Nordafrika-Mittelost“ befasst sich mit neuen Chancen wechselseitiger Kapitalinvestitionen. Am Abend nehmen die Wirtschafts- und Bankenchefs an der Eröffnungsveranstaltung der NATO-Kriegstagung teil. Das Zusammenspiel von wirtschaftlichen Interessen mit den militärischen Planungen der NATO könnte deutlicher kaum in Szene gesetzt werden.11

Siehe auch „Medien“.

(zuletzt geändert am 7.10.2023)


1 Siehe Hausdurchsuchungen in München. Erneuter Angriff auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, www.imi-online.de/2007/01/19/hausdurchsuchungen-i/.

2 9 Fotos von Werner Rauch / Titel: Geisterzug gegen die Siko am 6. Februar 2007, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

3 Süddeutsche Zeitung vom 8. Februar 2007.

4 35 Fotos von Werner Rauch / Titel: Proteste gegen die Siko am 10. Februar 2007, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

5 Junge Welt vom 14. Februar 2007.

6 An der Litfaßsäule vor dem „Import Export“ im Kreativquartier Ecke Dachauer/Schwere-Reiter-Straße anlässlich der Trauerfeier für Claus Schreer am 4. Oktober 2023. Foto: Richy Meyer

7 Siehe Bus auf Weg zu Konferenz gestoppt, www.imi-online.de/2007/02/11/bus-auf-weg-zu-konfe/ und Demonstrations-
freiheit erfolgreich unterbunden. Sieben Festnahmen auf dem Weg zur Münchener Sicherheitskonferenz. „Minuten des Totalitarismus“, www.imi-online.de/2007/02/11/demonstrationsfreihe/

8 Siehe den Redebeitrag der SDAJ auf www.imi-online.de/2007/02/10/ausbildungsplaetze-s/ und die Rede von Tobias Pflüger auf www.imi-online.de/2007/02/12/rede-von-tobias-pflu-4/.

9 Süddeutsche Zeitung vom 12. Februar 2007.

10 Siehe „Ein Bericht zur Kundgebung und zur Demo am 10. Februar 2007“ und „10. Februar“.

11 Siehe auch Jürgen Wagner, Münchner Sicherheitskonferenz – Der Gipfel der Hybris. Die NATO auf Kollisionskurs mit dem Rest der Welt, www.imi-online.de/2007/02/10/muenchner-sicherheit-4/.