Materialien 1945

Legenden und Tatsachen

Freiheitsaktion Bayern

In den WESTEND NACHRICHTEN vom Mai 1995 hatten wir eine Einschätzung dieser Wider-
standsaktion am 28. April 1945 gegeben. Nachdem die kurzzeitige Besetzung des Radio-Senders München durch Angehörige einer Dolmetscher-Kompanie unter Führung des Hauptmanns Gerngross 50 Jahre lang totgeschwiegen wurde, überschlugen sich nun auf einmal Presse und Politiker in der Würdigung des Aufstandsversuchs gegen die Nazis. Auf einer Veranstaltung der Stadt München z.B. wurde Gerngross von Oberbürgermeister Ude als „Retter Münchens“ gefeiert. Wir wollen Gerngross und seinen Mitkämpfern Mut und antifaschistische Gesinnung keineswegs absprechen. Doch bei dieser plötzlichen Wiederentdeckung der Freiheitsaktion Bayern (FAB) drängt sich der Eindruck auf, dass noch etwas mehr beabsichtigt ist als eine (sehr verspätete) Ehrung für diese Widerstandskämpfer.

Dass die Besetzung des Senders und der Radio-Aufruf gegen weiteren Widerstand während der Wiederaufrüstung unter Führung der alten Hitler-Generäle und Offiziere nicht gerade in das
Bild passte, das die Adenauer-Regierung von der angeblich sauberen, von den Verbrechen Nazi-
Deutschlands unbelasteten Wehrmacht zeichnen wollte ist klar. „Meuterer“ gehörten nicht zu
dem, was die Tradition dieser „demokratischen“ Bundeswehr bilden sollte.

Auch die Amerikaner hatten wenig Interesse, die FAB und ihren Widerstand zu würdigen.1 Der unten zitierte Freund hatte nach dem Krieg in Hessen die Deutsche Friedensgesellschaft mit aufgebaut. Zu einer Veranstaltung wollte er Gerngross als Redner einladen. Dieser war auch dazu bereit. Doch die amerikanische Militärregierung verweigerte ihm die (damals notwendige) Reiseerlaubnis.

Andererseits kommt es den deutschen Großmachtambitionen seit der „Wiedervereinigung“ nicht ungelegen, auch eine Widerstandsaktion der deutschen Wehrmacht vorzeigen zu können. So ein bisschen hätten „wir“ den Hitler doch auch mitbesiegt – soll so unterschwellig in die Köpfe ge-
pflanzt werden. Es wäre doch zu wenig, wenn die Befreiung vom Faschismus allein das Werk der alliierten Armeen gewesen wäre.

Ein uns nahestehender damaliger Wehrmachtsangehöriger und Sympathisant der FAB hat uns seine Tagebuchnotizen aus der damaligen Zeit zur Verfügung gestellt und uns ergänzend dazu ein Interview gegeben. Wir versuchen, anhand dieser Angaben ein realistischeres Bild der damaligen Ereignisse zu zeichnen.

„Am 28. April kam eine große Überraschung. In der Nacht hatten sich Kriegsgegner aus den Reihen der Wehrmacht des Münchener Senders bemächtigt und von dort aus zur Streckung der Waffen aufgerufen. Die Sache lief unter dem Namen ‚Aktion freies Bayern’. Man hatte versucht, in der Nacht den Gauleiter festzunehmen. Das war misslungen. Die Wehrmacht verhält sich,
wie nicht anders zu erwarten, abwartend. Jedenfalls merkt man aber auch an verschiedenen Offizieren, dass alles hundertprozentig auf der Seite dieser Aktion stand. Für uns wurde sofort Kasernensperre verhängt.“
(Aus dem Tagebuch, die Red.)

Frage WN: Warum blieb die Senderbesetzung isoliert? Weitere Truppenteile haben sich der Aktion doch nicht angeschlossen.

Antwort: Bei den Soldaten war Kampfbereitschaft gegen die Nazis schon da. Die Stimmung in der Truppe war schon seit längerem gegen den Krieg. Aber keiner der Offiziere, die Kampftruppen kommandierten, wurde aktiv. An der Freiheitsaktion waren ja keine Kommandeure von Kampf-
truppen beteiligt. Offiziere und Truppe waren autoritätsgläubig.

Frage WN: Hat Angst vor Repressalien seitens der SS eine Rolle gespielt?

Antwort: Wohl auch. Von meinen Kameraden schätze ich, dass 80 Prozent den Aufruf begrüßt haben oder zumindest nicht direkt dagegen sprachen. Aber es hat sich auch keiner angeschlossen. Es fehlte eben an Kadern, die ein Kommando gegeben hätten.

„In der Stadt war die ganze Geschichte (der FAB, Anm. die Red.) ziemlich sang- und klanglos vorübergegangen. Die meisten Geschäfte blieben allerdings den ganzen Tag über geschlossen. Im Westend, dem Arbeiterviertel, waren auch weiße Fahnen gehisst worden. Polizei hatte aber dafür gesorgt, dass sie schnell wieder verschwanden.“ (Aus dem Tagebuch, die Red.)

Frage WN: Was hältst Du von der Aussage, die Freiheitsaktion Bayern habe München vor der Zerstörung gerettet?

Antwort: Gar nichts. Das entspricht nicht den Realitäten.

Das Interview führte Peter Eberlen.


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 22 vom August 1995, 10 f.

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1 Allerdings stellten die US-Amerikaner der FAB ein Büro zur Verfügung.

Überraschung

Jahr: 1945
Bereich: Vorgeschichte

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