Flusslandschaft 1945

Vorgeschichte

Ein kurzer Blick auf die Vorgeschichte des öffentlichen Protestes vor 1945 bietet sich an. Neben den Flugblattaktionen der Weißen Rose Anfang 1943 werden in München weitere Flugzettel verteilt, deren Herkunft bis heute nicht nachgewiesen ist. Heinrich Graf ist einer der wenigen bekannten Widerständler, die ihre Flugblätter verschicken, ohne von den Nazis entdeckt zu werden.

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Brief, den Heinrich Graf zu Hunderten von Berlin aus nach München verschickte. Der Kupferdrucker Graf (Graf-Presse in der Kaiserstraße in Schwabing) gehörte mit den Malern
Willi Geiger und Eduard Winkler einer Zelle des sog. Gerngross-Widerstandskreises an.

In Telefonzellen kleben kleine, so genannte „Spuckzettel“:
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Zettel, den Emil Meier 1944 allein entwarf, vervielfältigte und verteilte, nachdem sich Robert Eisinger aus der gemeinsamen Arbeit zurückgezogen hatte (KZ-Gedenkstätte Dachau)

Nazikritische Mauerbeschriftungen sind oft tagelang im Stadtbild zu sehen. Dezent resistentes Auftreten zeigt sich auch in modischen Attributen.3 12- bis 16jährige Halbwüchsige führen vor
dem Hintergrund der sich auflösenden staatlichen Strukturen ein aufregendes Leben zwischen politischem Widerstand und kriminellen Aktionen.

In den letzten Tagen des Regimes wird die Freiheitsaktion Bayern (FAB) aktiv. Bürgerinnen und Bürger gehen unter Lebensgefahr den Schritt vom Protest zum Widerstand. Die Aktionen der FAB sind bis heute umstritten.4

Am 28. April stürmen bewaffnete Arbeiter und geflohene KZ-Häftlinge das Dachauer Rathaus
und halten es für mehrere Stunden besetzt. SS-Truppen schlagen den Aufstand blutig nieder.
Am Vormittag des 29. April rückt die US-Army in Dachau ein.5

„München, die Geburtsstätte und Wiege des Nationalsozialismus, erlebt in der Nachkriegszeit
die kuriosesten Initiativen, Aktionen und Imagekampagnen, die alle dem einen Ziel dienen die Stadtgeschichte reinzuwaschen bzw. den Bürgern das Gefühl zu vermitteln – ‚ganz so schlimm waren wir ja doch nicht’ und ‚auf unseren Widerstand können wir stolz sein’; findige PR-Bürokra-
ten der Stadt und des Landes im Verein mit willigen Historikern rücken dazu die Zeitgeschichte ins passende Licht: München wird zu einer Hochburg des Widerstands – zur ‚Hauptstadt der Gegen-
bewegung’ erklärt; so wird die nahezu bedeutungslose ‚Freiheitsaktion Bayern’ (FAB), getragen von einigen desertierten Soldaten, die kurz vor Kriegsende noch zur kampflosen Übergabe aufriefen, zum Muster des städtischen Aufstands gegen das NS-Regime ‚aufgebauscht’; so werden die bayeri-
schen Katholiken nicht müde ihren Kardinal Faulhaber unter völliger Verdrehung der Tatsachen zum Vorbild eines tapferen und weitsichtigen Widerständlers zu erhöhen; so wird schließlich der Gruppe ‚Weiße Rose’ in einer Art und Weise gedacht, als habe die ‚anständige Mehrheit’ der Bayern schon immer hinter ihr gestanden; wie konnte, so fragt sich unwillkürlich der neutrale Beobachter, denn dann das Alles geschehen, was geschah, bei so breitem, so massivem Widerstand?“6


1 tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst, 123 vom Januar/Februar 1979, 53.

2 Thomas Guttmann (Hg.), Giesing. Politik und Alltag 1918 – 1945. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart Giesings und Harlachings von der Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, München 1993, 126.

3 Siehe „Die Vorgeschichte der Protestbewegungen …“ von Konrad Kittl. Siehe auch www.widerstand.musin.de/w3-5.html.

4 Siehe „Der Aufstand in München vom 28. April 1945“, „Legenden und Tatsachen“ sowie „Zur Freiheitsaktion Bayern“ von Hella Schlumberger. Vgl. Gustl Müller-Dechent, Widerstand in München – Die Vergessenen, Salzgitter 2004, 81 ff. Veronika Diem räumt mit Mythen und Legenden auf: „Die Freiheitsaktion Bayern. Ein Aufstand in der Endphase des NS-Regimes“ (= Münchener Historische Studien 19), Kallmünz 2013.

5 Siehe „Der Dachauer Aufstand vom 28. April 1945“. Siehe auch www.dasjahr1945.de/category/befreiung-staedte/

6 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 108 f.