Materialien 1945

Zur Freiheitsaktion Bayern

und ihrem „Führer“ Dr. Rupprecht Gerngross

Noch immer, sechzig Jahre nach dem Aufstandsversuch der Freiheitsaktion Bayern in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945, der um elf Uhr am Vormittag zusammenbrach, wird folgendes geschöntes Bild dieser Aktion und ihres Anführers verbreitet:

 Der Aufstand habe München vor der Bombardierung durch die Amerikaner bewahrt (manche sagen sogar vor US-Atombomben),
 er habe blutige Straßenkämpfe verhindert,
 er sei, alles in allem, auch mit seinen Mängeln, ein Erfolg gewesen
 und habe gezeigt, dass es auch ein anderes Deutschland gegeben habe,
 es sei der einzige erfolgreiche bewaffnete Widerstand gegen die Nazis nördlich der Alpen gewesen,
 er habe bewirkt, dass 40.000 deutsche Soldaten die Waffen niedergelegt hätten und eine unbekannte Anzahl von KZ-Häftlingen auf ihren Todesmärschen gerettet worden seien,
 er habe zwar an die vierzig Leuten das Leben gekostet, denen dafür aber Rupprecht Gerngross seine Erinnerungen widmete
 und sie „Aktivisten der Freiheitsaktion Bayern“ – als deren „Führer“ er sich bis an sein Lebensende bezeichnete, nannte, die von „rachsüchtigen Nazis“ ermordet worden seien,
 jedoch habe der Aufstand der FAB „aus eigener Kraft“ Bayern befreit,
 weshalb es auch ein bisschen wenig sei, den Platz im Herzen Schwabings in „Münchner Freiheit“ umzutaufen und ihm den Bayerischen Verdienstorden und „München leuchtet“ zu verleihen.
 Wirklich, betonte Gerngross bis zum Ende seines Lebens 1996 immer wieder, er sähe sich als „verkannter Rebell“ und seinen Aufstand als „gelungen“ an.

So steht es mehr oder weniger in den einschlägigen Geschichtsbüchern zu lesen, die sich zum größten Teil auf Behauptungen von Gerngross und Erfindungen seiner Bewunderer stützen.

Man will sich seinen Helden nicht nehmen lassen und wer es doch versucht, gehört in die Kiste „Nestbeschmutzer“.

Nun haben sich drei dieser „Nestbeschmutzer“ zusammengetan, um das falsche Bild dieser Aktion zu korrigieren:

 Heike Bretschneider, Autorin und Filmemacherin, die ihre Doktorarbeit über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München schrieb,
 Gerhard Stinglwagner, der ein Buch über die Geschichte des Münchner Landwirtschafts- des Zentralministeriums im 3. Reich, in dem Gauleiter Giesler residierte
 und Hella Schlumberger, Schriftstellerin, die sich in ihrem letzten Buch „Der Geist aus der Dschunke oder wer nicht liest, der schießt“ mit dem Aufstand und der Person ihrer „Führers“ auseinandersetzte.

Alle drei kannten Gerngross gut, haben ihn stundenlang interviewt, haben seine Broschüren, Presse und Literatur über ihn gelesen und sich intensiv mit seinem Nachlass im Hauptstaatsarchiv München beschäftigt.

Sie kamen zum Schluss: dieser Aufstand war ein Aufstandsversuch zwei Tage, bevor die US-Armee München einnahm, eine dilettantisch inszenierte, amateurhaft ausgeführte Aktion, ein Flop auf
der ganzen Linie, der noch über fünfzig Tote forderte, die den Worten des FAB-„Führers“ vertraut hatten, die in den Morgenstunden des 29. April 1945 aus den Volksempfängern drangen: die
FAB habe „das Nazijoch gebrochen“ und die Zuhörer sollten es ihr gleichtun. Danach hatte sich „Führer“ Gerngross in Sicherheit gebracht und die anderen Zuhörer und Dolko-Mitglieder ihrem Schicksal überlassen. Natürlich wäre es schön gewesen, wenn die FAB-Aktionen geklappt hätten: wenn Zeitungsverlage, Radiostationen und das Rathaus besetzt, militärische Oberbefehlshaber mitsamt dem Gauleiter Giesler gefangengenommen worden wären, die NS-Propagandamaschine gestoppt und München so friedlich von Gerngross und der FAB den Amerikanern übergeben worden wäre, das wäre schon etwas gewesen. Doch es kam anders.


Hella Schlumberger
29. August 2010

Überraschung

Jahr: 1945
Bereich: Vorgeschichte

Referenzen