Materialien 1947
Demontagen
Im Unterschied zu den beiden anderen Zonen wurden in der amerikanischen und britischen Zone in erster Linie nur Rüstungsbetriebe und weniger als 1945 geplant demontiert.1
Im Herbst 1946 begann die Demontage der Münchner Atlas-Werke. Am 29. November 1946 beantragten die Fraktion der SPD und der KPD im Stadtrat eine Initiative zur Wiederfreigabe der bereits demontierten Maschinen: Josef Lettenbauer (KPD) betonte am 14. Januar 1947, dass zumindest 20 Prozent des Maschinenparks erhalten bleiben müsse, da Atlas für die Straßenbahn, das Wiederaufbaureferat und Produktionen für Gehörlose notwendig sei.2 Eine Kommission, gebildet aus Dr. Grasmann (CSU), Gustaf Schiefer (SPD) und Lettenbauer, verhandelte mit dem Alliierten Kontrollrat erfolglos. Das Inventar der Atlas-Werke wurde in die UdSSR transportiert.3
Auf der Reparationsliste stand auch die Firma Otto Vollnhals, Motorenfabrik in München-Send-
ling. Betriebsrat und Belegschaft waren empört, dass ihr Werk trotz „entschiedener“ Gegnerschaft zum Nationalsozialismus demontiert werden sollte, Nazibetriebe aber mit demselben, nur größe-
ren Maschinenpark unbehelligt blieben. Als Ausweichmöglichkeiten nannte man der Militärre-
gierung die Firma A. Schlüter, München-Freising, das Askania-Werk und die Firma Eiso.4 Auch eine Eingabe der Landesgewerkschaft Metall wurde abschlägig beschieden; Bolds teilte nur trocken mit, dass das Arbeitsministerium ebenfalls interveniert habe, und dass er alles nach Berlin weitergeleitet habe.5
Am 3. Dezember 1946 bestand die Militärregierung nach einem diesbezüglichen Antrag des Länderrates darauf, dass die BMW-Werke I (München) und II (Allach) demontiert werden sollten.6 Zu diesem Zweck hatte die BMW-Werksleitung dem Länderrat eine umfangreiche illustrierte Publikation über Geschichte und Produktion der BMW-Werke zur Verfügung gestellt, die allerdings auf die Militärregierung eine eher gegenteilige Wirkung ausübte. „Aus der Darstellung gehe nämlich hervor, dass die BMW ihre Hauptentwicklung der Kriegsrüstung verdanke.“7
Unter der Hand teilten Angehörige des Stuttgarter Regional Government Coordinating Office dem Generalsekretär des Länderrates mit, wie ungünstig die BMW-Darstellung aufgenommen wurde und wie „man es besser machen“ könne: „Für die Unterstützung des Länderratsantrages empfehle sich vielmehr eine Darstellung über die zukünftige Entwicklung der Werke. Diese soll etwa nach-
weisen, welche Mängel in der Zivilversorgung auftreten, wieviel Arbeiter angestellt werden müssen, welche Produktion entfalle etc. für den Fall, dass die Werke im Zuge der Reparationen abgebaut würden.“8
Um die Werke zu retten, konferierte schließlich der Treuhänder- und Betriebsleiter der BMW-
Werke von Mangold am 24. April 1947 mit amerikanischen Industriellen.9 Am 4. Mai 1947 erließ Lucius D. Clay, seit März Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland, zunächst einen Reparationsstop: nur mehr reine Kriegsbetriebe seien zu demontieren.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen über die Reparationsleistungen auf der Moskauer Kon-
ferenz vom 10. März bis 24. April 1947 gaben die Militärbehörden der Bizone am 29. August 1947 einen revidierten Plan für das „Industrieniveau der britisch-amerikanischen Zone Deutschlands“ bekannt.10 Nach der Veröffentlichung der Demontageliste am 17. Oktober 1947, die nur mehr 185 Werke vorsah, tagten am 20. Oktober die Betriebsratsvorsitzenden der von der Demontage betrof-
fenen bayerischen Betriebe im Gewerkschaftshaus an der Landwehrstraße 7 — 9.
Folgende Münchner Betriebe waren aufgeführt: Franziskanerkeller (Flugzeugfahrgestelle), Fabrik München der GmbH zur Verwertung chemischer Erzeugnisse, München-Allach (Rüstungsartikel), Atlas-Werke AG, Zweigwerk München (Unterwasser-Schallanlagen), BMW AG Werk 1, München (Flugzeugmotoren), BMW AG Werk 2, München-Allach (Flugzeugmotoren), Dornier-Werke, Aubing-Neuaubing (Flugzeugwerk), Kopp & Co. (Seifenartikel), Elektrochemische Werke (Teil-
fabrik für Wasserstoffsuperoxyd), Geiseler (Werkzeugmaschinen), Maurer (Kessel).11
Kopp & Co., Elektrochemische Werke, Geiseler, Maurer und die BMW-Teilanlage für die Kfz-Her-
stellung galten dabei „als gemäß dem Zweizonen-Industrieplan überzählige Anlagen“, bei den übrigen Werken sollten nur Teilanlagen demontiert werden.12 Im Vergleich dazu die geplanten Demontagen in der Britischen Zone: 395 Betriebe, Französischen Zone: 228 Betriebe, Nordrhein-Westfalen: 294 Betriebe.13
Mit Schreiben vom 28. Oktober 1947 bat der Vorstand des Bayerischen Gewerkschaftsbundes (BGB) die Militärbehörden, von Demontagen in Bayern möglichst abzusehen.14 Diese lehnten am 3. Dezember 1947 die Anfrage höflich, aber bestimmt ab.
Am 4. November verfügte die Militärregierung für den gleichen Monat den Abbau von Maschi-
nen in den BMW-Werken Milbertshofen und Allach. Der Verteilungsschlüssel sah folgende Empfängerländer vor:
„Milbertshofen
37,0 Tonnen nach Albanien
11,8 Tonnen nach Belgien
0,2 Tonnen nach Tschechoslowakei
38,4 Tonnen nach Frankreich
56,1 Tonnen nach Griechenland
73,5 Tonnen nach Neuseeland
0,2 Tonnen nach Norwegen
139,0 Tonnen nach Jugoslawien
Allach
19,0 Tonnen nach Albanien
3,0 Tonnen nach Belgien
2,0 Tonnen nach Tschechoslowakei
60,5 Tonnen nach Frankreich
3,0 Tonnen nach Luxemburg
43,5 Tonnen nach Jugoslawien“15
Im Dezember 1947 hatte BMW Milbertshofen 161,9 Tonnen, BMW Allach 229,0 Tonnen ab-
zuliefern.16 Ungefähr im selben Zeitraum lieferte Ratgeber ca. 100 Tonnen, im wesentlichen Bohrwerke, Fräsmaschinen und Dreschmaschinen tschechoslowakischer Herkunft, in die Tschechoslowakei zurück.17
Der BGB stand bei Demontagefragen zwischen den Fronten. Auf der einen Seite unterlag er den Anweisungen der Militärregierung, andererseits wandten sich die Betriebsräte aller zu demon-
tierender Werke an ihn mit der Bitte um Unterstützung. Da die Berichte der Betriebsräte „immer auf die Darstellungen der Betriebsleitungen zurückgingen“ und der BGB die Erfahrung machte, dass „die Bescheide der Militärregierung zuverlässiger waren als die Angaben unserer örtlichen Gewerkschaften“, entschloss er sich, auf Protestaktionen zu verzichten, die sie auch in die Nähe der von den Unternehmern im Gemeinschaftsausschuss für Wirtschaft und Arbeit vorgeschlagenen Kundgebungen gerückt hätten.18
Er forderte aber Militärregierung und Bayerische Staatsregierung zur schonenden Durchführung der Maßnahmen, zum Ersatz abgebauter Bestände durch überflüssige andere Betriebe und zur Vorsorge für durch die Maßnahmen arbeitslos gewordene Arbeitnehmer auf. Am 19. Mai 1948 erließ der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes das „Gesetz zum Ausgleich volks-
wirtschaftlicher Demontagefolgen“, das Beschlagnahmungen bei parallelen Industrien zugunsten von Demontagebetrieben, staatliche Kredite und einen Lastenausgleich vorsah.19 Für die Dauer der Arbeitslosigkeit sollte aus öffentlichen Mitteln der Lohnausfall ersetzt werden.20 Für Bayern wurden 3.100 Arbeitslose erwartet.21
Der BGB schuf ein eigenes „Sonderbüro für Demontagefragen“; Gewerkschafter arbeiteten im „Reparationsausschuss“ der Abteilung Reparationen im Bayerischen Staatsministerium für Wirt-
schaft mit. Deutsche Kollegen machten amerikanische und englische Gewerkschafter bei jeder Gelegenheit auf die Folgen der Demontagemaßnahmen aufmerksam, worauf diese in ihren Ländern initiativ wurden, um Teile der öffentlichen Meinung in den USA und in Großbritannien gegen die starre Demontagepolitik zu mobilisieren.22
Der Umfang der Demontagen im Münchner Raum war vergleichsweise gering; Widerstand von Arbeitern gegen Demontagemaßnahmen wie z.B. in der Maxhütte/Haidhof ist für München bis heute nicht bekannt. Aber es existieren Fotos von einer Protestkundgebung in der Großküche an der Rosenheimerstraße vom 25. März 1950, auf der unter dem Motto „ Wir fordern Zuchthaus für die Gestapoverbrecher, Freiheit für die Antidemontagekämpfer“ DGB-Kreisvorsitzender Max Wönner und Georg Fiederl, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung- und Genussmittel, spra-
chen. Polizei knüppelte die sich an die Kundgebung anschließende Demonstration auseinander.23
Am 20. Juni 1948 standen auf der Münchner Demontageliste nur noch Geiseler, neu waren Krauss-Maffei und die Wacker-Werke.24 Am 22. Mai 1949 protestierte Hans Böckler in einem Telegramm an die Pariser Außenministerkonferenz gegen die anhaltenden Demontagen; der DGB schrieb an die amerikanischen, britischen und französischen Gewerkschaftsbünde.25 Ende 1949 wurden die Demontagen schließlich beendet. Im August 1950 waren endgültig 183 Betriebe in der amerikanischen Zone demontiert.26
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1 Siehe „Plan des alliierten Kontrollrats hinsichtlich Reparationen und der Kapazität der deutschen Nachkriegswirtschaft“ vom 1.4.1946. Vgl. August Enderle (unter Mitarbeit von Bernt Heise), Die Einheitsgewerkschaften, Manuskript für jeden Abdruck gesperrt, hg. als hektographiertes Manuskript vom DGB-Bundesvorstand, 4 Bde., Düsseldorf 1959, 627 f.
2 Vgl. Stadtrat, 14.1.1947, 202, Bürgermeister und Rat, Stadtarchiv München.
3 Vgl. Stadtrat, 4.3.1947, 526, Bürgermeister und Rat, Stadtarchiv München.
4 Bachmann an Manpower Division-OMGBY am 5.3.1947, OMGBY 13/36-1/6, BayHstA.
5 Vgl. Bolds an Wöhrle am 12.3.1947, OMGBY 13/116-2/3.
6 Vgl. Amt des Ministerpräsidenten, Abt. Wirtschaft an das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Landesstelle Eisen und Metalle, Referat Fahrzeugindustrie am 23.4.1947, in MA 130 121, BayHStA. – Werk I produzierte jetzt Ersatzteile für Kraftfahrzeuge und Motorräder, stellte Fahrräder und Motorräder her und setzte Maschinen von Baufirmen, Nahrungs-
mittelindustrien und der Landwirtschaft wieder instand. Werk II arbeitete ausschließlich für die US-Army.
7 Vgl. Der Bayerische Bevollmächtigte beim Länderrat Stuttgart an das Amt des Ministerpräsidenten, München, am 20.12.1946, in MA 130 121, BayHStA.
8 A.a.O.
9 Vgl. Der Bayerische Bevollmächtigte beim Länderrat Stuttgart an das Amt des Ministerpräsidenten, Landesdienststelle des Länderrates am 21.4.1947, in MA 130 121, BayHStA.
10 Vgl. Die Quelle 16/1948, 378.
11 Vgl. Demontageliste 17.10.1947, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
12 Aufstellung vom 21.10.1947, in MA 130 503, BayHStA. Vgl. Statement of General Walter J. Muller, Land Director at Reparations Conference am 20.10.1947, Manuskript, 2 f., OMGBY 13/110-2/1, BayHStA.
13 Die Quelle 17/1948, 407 und vgl. Enderle, a.a.O., 631.
14 Vgl. Gewerkschafts-Zeitung. Organ der Bayerischen Gewerkschaften (GZ) 20/1947, 1 f.
15 Liste in OMGBY 13/116-2/2, BayHStA.
16 Vgl. Monthly Report for December 1947 der Economics Division-OMGBY vom 6.1.1948, 1, Manuskript, OMGBY 13/77-2/9, BayHStA.
17 Rudolf Stescal zum Verfasser am 19. Mai 1983.
18 Geschäftsbericht des BGB für 1947. – Eine frühe Form betriebsbezogener Sozialpartnerschaft. Die Militärregierung betonte, dass einem Wiederaufbau der demontierten Werke nichts im Wege stehe, die Betriebsräte behaupteten, dass
ein Wiederaufbau nicht mehr möglich sei.
19 Vgl. Die Quelle, a.a.O., 409.
20 Vgl. Geschäftsbericht, a.a.O.
21 Vgl. Die Quelle, a.a.O.
22 Vgl. die Rede des Direktors der Bildungszentrale der Gewerkschaft der Vereinigten Automobilarbeiter am 1.9.1945 in den USA, in Die Quelle, a.a.O., 410.
23 Fotosammlung Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
24 Vorsitzender des Verwaltungsrats der Vereinigten Wirtschaftsgebiete, Frankfurt am Main, an Bipartite Control Office, Frankfurt am Main, am 30.6.1948, in MA 130 505, BayHStA.
25 Vgl. Enderle, a.a.O., 639.
26 Vgl. Manfred Overesch, Deutschland 1945 – 1949. Vorgeschichte und Gründung der Bundesrepublik. Ein Leitfaden in Darstellung und Dokumenten, Königstein/Ts./Düsseldorf 1979, 61.
Günther Gerstenberg, Trümmer, Hunger, Solidarität. Gewerkschaften in München von 1945 bis 1950, Münchner Skizzen 2, München 1997, 42 ff.