Materialien 1947
Trotz Arbeitsamt Stelle gefunden
Ich wollte dann gerne wieder in meinem Beruf arbeiten. In Leipzig war ich in Verlagen tätig ge-
wesen. Ich ging zum Arbeitsamt und da schrie eine Frau: „Georgi!“ Ich bin eine geborene Georgi. Ich ging zu ihr und sagte: „Sagen Sie mal, haben Sie schon mal etwas davon gehört, dass man ‚Frau’ oder ‚Herr’ sagt?“ Da meinte die: „Wir sind hier beim Arbeitsamt. Da glauben Sie doch nicht, dass wir solche Fisimatenten machen. Und überhaupt, wie kommen Sie mir vor. Sie sind Haus-
mädchen, und da können Sie hier nicht einfach in die Abteilung Stenotypistin, Kontoristin oder Büroangestellte reinschleichen!“ Ich war Hausmädchen, aber das war meine zeitweilige Beschäf-
tigung, nicht mein Beruf. Dann fragte sie: „Haben Sie denn Papiere?“ Da meinte ich: „So ein Quatsch, wenn man Flüchtling ist, über die grüne Grenze gekommen bist, was haste denn dann für Papiere!“ Sie schrie mich total zusammen, aber das ließ ich mir nicht gefallen. Sie wurde versetzt, so habe ich die zur Minna gemacht. Bis zum Leiter des Arbeitsamts bin ich hinauf und sagte: „Wenn ihr die Leute hier nicht anständig und menschlich behandelt, können Sie etwas erleben.“ Damals gab es ja das Grundgesetz noch nicht, da wurde immer mit der Menschheit argumentiert.
Ich fand dann eine Stelle in einem rechtswissenschaftlichen Verlag. Die druckten Steuertabellen, die Korrektur gelesen werden mussten. Das konnte ich, und wir arbeiteten Tag und Nacht. Denn wer nach dem Steuergesetz die ersten Listen auf den Markt brachte, hat sie auch zuerst verkauft. Die anderen mussten ihre dann einstampfen. Der ganze Betrieb zog an einem Strang. Außerdem fing damals schon die Arbeitslosigkeit an, und insofern war man froh, wenn man eine sichere Stelle hatte.
Annelise Kramer
Ingelore Pilwousek (Hg.), Wir lassen uns nicht alles gefallen. 18 Münchner Gewerkschafterinnen erzählen aus ihrem Leben, München 1998, 110 f.