Materialien 1947

KZ-Häftling an Minister Dr. Hundhammer

Im Jahre 1933. In einer südbayerischen Zeitung steht ein scharfer Artikel. Er ist nicht gegen die Nationalsozialisten gerichtet, welche zum Schlag gegen die Republik ausholen, sondern gegen ihre erbittertsten Gegner: die Kommunisten. Sein Verfasser ist Herr Dr. Hundhammer, Sekretär der Bayerischen Volkspartei.

Einige Monate später. Der Nationalsozialismus hat die Macht an sich gerissen. Der Terror wütet. Dachau wird eingerichtet. Die Baracken füllen sich. Zuerst mit Kommunisten und Juden, dann Sozialdemokraten. Immer neue Häftlinge werden eingeliefert. Der Ochsenziemer, das Begleitin-
strument, zeigt allen Häftlingen, welchen Sadisten sie ausgeliefert sind.

Im Zuge der Gleichschaltung löst sich am 4. Juli 1933 die Bayerische Volkspartei auf. Ein Trupp Häftlinge kommt in das KZ Dachau; auch Sie, Herr Dr. Hundhammer, sind dabei. Ihr Gesicht war bleich, das Haar geschoren, so kamen Sie auf 3/3.

Herr Dr. Hundhammer! Erinnern Sie sich noch an die kommunistischen Arbeiter, mit denen Sie sich des öfteren unterhielten? Oder besser, denken Sie noch daran. über was wir uns unterhielten? Sprachen wir nicht mit Entsetzen davon, dass der Ochsenziemer zum Symbol eines Regimes ge-
worden ist, das Deutschland eine andere, angeblich bessere Kultur geben wollte?

Sie waren nur wenige Tage Häftling des KZs Dachau, dann konnten Sie dasselbe wieder verlassen, jedoch wir Kommunisten blieben zurück. Vielleicht haben Sie diese Tage schnell vergessen und auch uns, über deren Kameradschaft Sie sich nicht beklagen konnten. Wir jedoch, Herr Dr. Hund-
hammer, erinnern uns dieser Zeit auch heute noch. Wir schreiben 1947.

Herr Dr. Hundhammer! Sie wurden Minister einer neuen Partei, der CSU. Sie halten Versammlun-
gen ab. In einer bayerischen Zeitung las ich einen Bericht über Ihre Versammlung in Würzburg und stellte fest, dass Ihr Denken und Ihre Einstellung gegenüber uns Kommunisten jetzt als Minister der CSU. die gleiche ist wie früher als Sekretär der Bayerischen Volkspartei. Worte von Ihnen, welche die Prügelstrafe bejahen, gehen durch alle Zeitungen Bayerns und darüber hinaus. Fortschrittlich denkende Menschen sind entsetzt und fragen sich: Hat das deutsche Volk nicht genug von der Prügelstrafe? Auch ich frage Sie, Herr Minister, der Sie über ein Jahrzehnt vorher genau wie wir die geistige Armseligkeit der prügelnden SS erkannten: Sollen Deutsche immer durch Prügel erzogen werden? Ist der Stock überhaupt ein Mittel der Erziehung? Nein! Der Stock konnte im KZ Menschen nicht umerziehen, er kann auch junge Menschen nicht erziehen und gestalten. Was wir brauchen, ist eine Erziehung, welche die Jugend nicht mit mittelalterlichen Methoden, sondern mit neuen pädagogischen Mitteln formt und ihr Inneres zur Entfaltung bringt. Es muss die Gewähr bestehen. dass die Jugend in der kommenden Entwicklung nicht wieder einem System verfällt, das den Stock und Ochsenziemer zum Träger der politischen und geistigen Haltung eines ganzen Volkes macht Eine Kulturschande liegt hinter uns. Sollen die Keime für eine neue gelegt werden?

Heinrich Knörschild
ehemaliger KZ-Häftling Dachau (3/3)


Die Nation. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 2/1947, 20.

Überraschung

Jahr: 1947
Bereich: Lebensart

Referenzen