Flusslandschaft 1955
Gedenken
Das Comité International de Dachau (CID) gründet sich im Mai zum zehnten Jahrestag der Be-
freiung erneut. Durch ein Zusatzabkommen zu den Pariser Verträgen kann gerade noch verhindert werden, dass das ehemalige Krematorium im Konzentrationslager Dachau abgerissen wird. Die ehemaligen Dachauer Häftlinge fordern die Errichtung einer würdigen Mahn- und Gedenkstätte.
Am 28. Juni 1951 kam es nach der Freigabe des Ruinengeländes des Bayerischen Armeemuseums am Hofgarten durch die Militärregierung zu einem Vertrag zwischen der bayrischen Finanzverwal-
tung und dem Bayerischen Rundfunk (BR). Wenn der BR sich beim Wiederaufbau des Herkules-
saals beteilige, habe er ein Optionsrecht auf das Grundstück des Armeemuseums. Um die Mitte der fünfziger Jahre wird bekannt, dass mit den Bauplänen des BR das vorgelagerte Kriegerdenkmal in die Feldherrnhalle transferiert werden soll. Proteste betonten in den Sommermonaten 1951 die NS-Kontamination der Feldherrnhalle. 1960 verzichtet der BR auf einen Bau am Hofgarten.1
Am 11. September treffen sich im Großen Saal des Salvatorkellers am Nockherberg ehemalige Wi-
derstandskämpferinnen und -kämpfer aus der BRD, Frankreich und der DDR zu einer Gedenkver-anstaltung. Man beschließt, Telegramme an Adenauer und Molotov zu senden, um bei den gerade laufenden Verhandlungen Erfolg zu wünschen. Dann geht es in einem Gedenkmarsch zum Ehren-hain am Perlacher Friedhof.2
Was machen Historiker – Frauen sind in der Zunft eher unterrepräsentiert – wenn sie sich die Frage stellen: „Wie verhalte ich mich zu den vergangenen zwölf »braunen« Jahren? Verbaue ich mir meine Karriere, wenn ich da zu genau hinschaue? Und dann das Geschehen so interpretiere, dass es allzu vielen Zeitgenossen nicht gefällt?“ Historiker einigen sich auf die Formel „deutsche Katastrophe“. Unter diesem Kürzel kann um Verständnis geworben werden. Für die Opfer und für die Täter, die ja irgendwie auch Opfer waren. Der industrielle Massenmord an den europäischen Juden wird zur Nebensache. Historiker, – nach eigenem Bekunden in ihrer Profession fleißig, nüchtern, objektiv und distanziert – leiden mit am schweren Los der geschlagenen Nation. Wo ist ein Fünkchen Hoffnung für die Zukunft? Aber es kommt dann doch zur Enttäuschung: „1955 veröffentlichte Joseph Wulf, ehemaliger Angehöriger einer jüdischen Widerstandsgruppe in Polen und Überlebender von Auschwitz, zusammen mit Leon Poliakov den Dokumentationsband »Das Dritte Reich und die Juden«. Ihm folgten in kurzen Abständen drei weitere Bände, in denen, erst-
malig in der Geschichtsforschung in Deutschland, nicht Hitler oder Hitlers Schäferhund, sondern die Ermordung der europäischen Juden ins Zentrum der Darstellung gerückt wurden. Während die Dokumentation in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch eher wohlwollend aufge-
nommen wurde, reagierten deutsche Fachwissenschaftler mehrheitlich abweisend. Ähnlich wie Eugen Kogon nach der Veröffentlichung seines Buches »Der SS-Staat« mussten sich nun erneut Autoren für die Thematisierung des Massenmordes an den europäischen Juden rechtfertigen und nicht für sein Verschweigen.“3 Wulf könne als Betroffener nicht sine ira et studio analysieren; er könne nur subjektiv sich erinnern und trauern. Es ist doch irgendwie logisch: Jüdische Historiker sind qua ihrer rassischen Zugehörigkeit immer parteiisch. Oder!?
(zuletzt geändert am 17.10.2021)
1 Vgl.: Ulla-Britta Vollhardt, Geschichtspolitik in Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte zwischen Privatinitiative und Institutionalisierung, München 2003, 17.
2 Stadtarchiv, Zeitgeschichtliche Sammlung 516/14
3 Jens Hoffmann: „War da was? Eine neue Studie untersucht Arbeiten deutscher Historiker zum Holocaust“ in Jungle World 38 vom 10. September 2003, 21. Siehe Nikolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker – Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003.