Materialien 1947
Die sozialistische Situation
Versuch einer synthetischen Kritik
„Der Mensch ist selbst die Basis seiner materiellen Produktion wie jeder anderen, die er verrich-
tet.“ Karl Marx, Theorien über den Mehrwert
I.
Das nachfolgend Gesagte richtet sich an Sozialisten. Es richtet sich nicht an Leute, die „natürlich“ wissen, dass die Zeit heute besondere soziale Aufgaben stellt und dass man sich „mit dem Sozialis-
mus beschäftigen“ muss. Es verzichtet auf Leser, die unter Sozialismus die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn oder die Errichtung von Erholungsheimen verstehen. Sozialismus ist eine trockene ökonomische Aufgabe: die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Von ihr ist die Rede, wenn wir das Wort Sozialismus gebrauchen.
II.
Zeichnen wir uns kurz das Bild der Lage, in der sich der Sozialismus heute in einer Reihe von Ländern befindet: In England ist eine sozialistische Partei, die Labour Party, im Besitz der ge-
samten Regierungsmaschine einer bürgerlichen Demokratie. Das Prinzip der einen und einzigen Arbeiterpartei ist dort verwirklicht. Die Kommunisten spielen keine Rolle. In Frankreich ist die Kommunistische Partei die stärkste des Landes, ohne an der Regierung maßgebenden Anteil zu haben. In einer Periode vorläufiger Ausgewogenheit zwischen der Rechten und der Linken trägt
die zur dünnen Elite gewordene Sozialistische Partei Leon Blums, unterstützt durch sozialistische Kräfte aus dem Lager des Katholizismus, die Regierung. In Italien bilden Kommunisten und Sozialisten fast gleichstarke Massenparteien. Der linke Flügel der Sozialisten unter Nenni plädiert für eine Verschmelzung mit den Kommunisten. Gegenüber solchen Tendenzen hat sich eine Gruppe, die von Saragat und dem jungen Matteotti geführt wird, die aber keineswegs den rechten Flügel der Sozialisten repräsentiert, sondern vielmehr revolutionär-aktive Züge trägt, zur Loslö-
sung von den Sozialisten entschlossen. Die Haltung des Parteizentrums unter Silone ist vorläufig noch nicht geklärt. In den USA vollzieht sich angesichts der allgemeinen Rechtsentwicklung der beiden großen Parteien seit Roosevelts Tod eine allmähliche Sammlung der sozialistischen Kräfte. Die Spaltung im Gewerkschaftswesen wird durch die Annäherung der AFL (American Federation of Labour) an das Politische Aktionskomitee des CIO (Congress of Industrial Organisations) überwunden. Dazu stoßen die Kräfte des amerikanischen „Liberalismus“, geführt von Henry Wallace. Amerika wird also früher oder später die Bildung einer dritten Partei, einer sozialistischen Massenpartei, erleben. In Deutschland haben sich Sozialdemokratie und Kommunismus neu kon-
stituiert. Die SPD in alter Form, der lediglich durch die Persönlichkeit Schumachers einige neue Akzente aufgesetzt werden. Die Kommunisten in Form einer Sozialistischen Einheitspartei, unter welcher Bezeichnung die Forderung nach einheitlicher sozialistischer Vertretung vorgetragen wird. Beide Parteien haben es durch die Anlehnung an den Westen oder Osten zu gleicher faktischer Stärke gebracht und bekämpfen sich gegenseitig mit unversöhnlicher Schärfe. Es handelt sich in Deutschland also lediglich um eine Reproduktion der Situation des Jahres 1932. Grundlegende Änderungen in der sozialistischen Situation, wie sie in allen anderen Ländern aufgetaucht sind, sind hier vorläufig noch nicht zu verzeichnen.
III.
Die so skizzierten Vorgänge in der internationalen Entwicklung des Sozialismus lassen zwei ganz bestimmte Tendenzen genau erkennen:
Erstens: Die bereits während des ersten Weltkrieges erwachte Kritik am Sozialreformismus der Sozialdemokratie und der sozialistischen Parteien geht weiter. Sie spiegelt sich heute in der inneren Entwicklung dieser Parteien und im Anwachsen des Kommunismus in allen nicht-angelsächsischen Ländern wider. Dabei haben die Kommunisten, besonders in Frankreich, den Beweis dafür angetreten, dass eine Verbindung der Arbeiteraristokratie und ihrer besonderen ökonomischen Forderungen mit einer grundsätzlich revolutionären Strategie durchaus möglich ist. Die feste Position der Labour Party stellt einen Sonderfall dar: Labour befand sich während der letzten Jahre in einer eindeutigen Opposition zur Wirtschafts- und Sozialpolitik der Konservativen; die Koalition erstreckte sich lediglich auf die gemeinsamen Kriegsbemühungen gegen den Faschis-
mus. Die Arbeiterpartei steht in der gesunden demokratischen Luft Englands, dessen Tradition ihr ganz natürlich die Aufgabe einer kritisch-negativen Opposition zuwies.
Zweitens: Die Auseinandersetzung der Linken mit dem Phänomen des sowjetischen Russlands geht ebenfalls weiter. Allerstärkste Kräfte des internationalen Sozialismus wehren sich gegen die Übernahme des Konzepts eines Staats-Totalitarismus in ihr Programm. Das Erbe Trotzkis wirkt nach, etwa bei Saragat, bei der ganzen Gruppe der sogenannten „heimatlosen“ Linken, aus deren Lager wir in diesem Heft wieder die Stimme Köstlers zitieren, aber auch bei Leon Blum, der seinerzeit das Verbleiben Trotzkis in Frankreich nicht erwirken konnte. Andere Kritiker der Sowjetunion beziehen ihre Argumente aus ihrer geistigen Bindung an den bürgerlichen Idealis-
mus und Humanismus, der sich im Praktisch-Ökonomischen, eben in jenem oben geschilderten Sozialreformismus abbildet. Ein Beispiel hierfür ist der ausweglose SPD-SED-Streit in Deutsch-
land.
IV.
Schrauben wir die Betrachtung eine Etage höher, vom Aktuellen zum Geistig-Prinzipiellen, in den „Oberbau“ also! Der Sozialismus steht heute an einer Wegkreuzung. Eine der Straßen, die von ihr wegführen, leitet zu jener festen Verbindung des Sozialismus mit utopischen Fernzielen, die bereits mit seiner Entstehung im 19. Jahrhundert zusammenhängen. Hierher gehört die Annahme des Sozialismus als Endzustand eines apriori nicht in Frage gestellten menschlichen Fortschritts und seine Verknüpfung mit jenem bürgerlichen Idealismus, der bereits lange vor dem Weltkrieg eine von völlig falschen Voraussetzungen ausgehende Revision des Marxismus erzwang. Am Ende des anderen Weges steht ein Machiavellismus, dem es unter Verzicht auf gewisse urhumanistische (oder wie wir heute sagen können: existentielle) Forderungen, die es mit dem Menschen und seiner Freiheit zu tun haben, einzig um die sozialistische Macht zur Durchsetzung seiner ökono-
mischen und politischen Aufgaben geht. Es ist unbestreitbar, dass der Utopismus in der Praxis zu einer Kritik an der Sowjetunion geführt hat, die – abgesehen davon, dass ihre Ansatzpunkte falsch sind – den kapitalistischen Kräften nützt. Die Utopisten, bewusst oder unbewusst von jenen philo-
sophischen Sternbildern geleitet, die der bürgerlichen Demokratie auf ihrem Weg vorangeleuchtet haben, stehen im Anblick, den die Sowjetunion bietet, wie vom Schrecken gebannt. Da sie die sowjetische Gegenwart als Ergebnis einer sozialistischen Revolution werten, verzichten sie auf revolutionäres Handeln überhaupt und enden in der täglichen Praxis bei einem stickigen Refor-
mismus. Infolge des Ausbleibens praktischer Ergebnisse, wie sie im Klassenkampf eben nur durch eine revolutionäre Taktik erzielt werden, wandern die Massen der Anhänger zum Kommunismus ab. Sozialistische Parteien werden dann, wie das französische Beispiel gezeigt hat, groteskerweise zu Parteien bestimmter Gruppen der „middle-class“, ein Ziel, das sie auch, aber nicht ausschließ-
lich, erreichen sollten. Die verbleibenden Intellektuellen gehen eine Ehe mit dem bürgerlichen Humanismus ein, in welcher der Sozialismus fortgesetzt Terrain verliert.
Gegenüber den machiavellistischen Tendenzen muss allerdings gesagt werden, dass ein Sozialis-
mus, der die Lebensprinzipien der menschlichen Existenz außer acht lässt, zu einem Zerrbild entartet. Die Grundfrage, die der Verlauf des sowjetischen Experiments dem Sozialismus des Westens gestellt hat, ist die Frage, ob der Mensch der Revolution zu dienen hat oder die Revolution dem Menschen. Dieses Anliegen kann nicht umgangen werden, indem man es als utopisch be-
zeichnet und sich einfach der sozialistischen Praxis widmet. Jede große politische Bewegung untersteht letzten Endes der Forderung nach Freiheit, die der Mensch an sie stellt, und sie lebt so lange, als der Freiheitsgedanke in ihr lebendig bleibt. So gesehen, ist der derzeitige Zustand der Sowjetunion tatsächlich das stärkste Hindernis für eine sozialistische Entwicklung Europas. Indem Russland auf die weiterführende sozialistische Theorie verzichtete und sie in ihren hervorragend-
sten Vertretern, Trotzki und Bucharin, physisch liquidierte, endete es dort, wo auch jene Fraktion des Bürgertums ankam. die sich von dem großen humanistischen Erbe der bürgerlichen Demokra-
tie „befreit“ hatte: beim totalen Staat. Allerdings war diese innere Entwicklung des Sowjetstaates bedingt von dem äußeren Druck, der durch den kapitalistischen Imperialismus auf ihn ausgeübt wurde. Heute bietet Russland den Anblick einer Ein-Mann-Diktatur mit allen Requisiten einer solchen. Dennoch ist die Grundstruktur, die durch die sozialistische Revolution geschaffen wurde, nicht völlig verändert.
V.
Was den Sozialismus in einer Reihe europäischer Staaten fünf Minuten vor seiner Verwirklichung noch einmal innehalten lässt, ist lediglich die hitzige und anscheinend völlig festgefahrene Diskus-
sion unter den Sozialisten. Aus dem Teufelszirkel des Streits zwischen Utopismus und Machiavel-
lismus scheint es keinen Ausweg zu geben. Die Verzögerung kann allerdings lebensgefährlich werden, denn inzwischen reorganisiert sich der Faschismus im internationalen Maßstab. Immer dringender wird daher die Notwendigkeit einer Synthese, wobei es gleichgültig ist, ob sie einem Kompromiss oder einem dialektischen Prozess entspringt. Vielleicht kann der Inhalt dieser Syn-
these angedeutet werden, wenn man die Aufgaben skizziert, die sie zu lösen hat. Vier große Pro-
bleme sind es, die sich als brennende sozialistische Gegenwartsaufgaben klar bezeichnen lassen.
1. Die große Lehre, die der Faschismus erteilt hat, besteht darin, dass er die Romantik enthüllt
hat, die dem Reformismus, der glaubt, mit dem Bürgertum paktieren zu können, innewohnt. Die Wiederaufnahme revolutionärer Kampfmethoden zur Erreichung des sozialistischen Endziels ist heute eine conditio sine qua non. Sie schließt einen Verzicht auf jede Koalition mit jenen Kräften ein, die letzten Endes zum kapitalistischen Lager rechnen. Die schmalen Gruppen der bürgerlichen Intelligenz, die allein noch das edle Erbe des humanistischen Idealismus verwalten, haben längst begriffen, dass seine Bewahrung nur im Rahmen einer sozialistischen Demokratie möglich ist. Thomas Mann hat dies in seiner Rede im Berliner Beethoven-Saal 1932 klar nachgewiesen. Die übrigen pseudosozialen Schattierungen der bürgerlichen Mitte haben lediglich die Funktion von Vorhängen, hinter denen sich der Aufmarsch der offenen Reaktion vollzieht. Diese kündigt sich bereits in beachtlicher Stärke an, so z.B. im republikanischen Wahlsieg in Amerika und in der Verschmelzung des rechten Flügels der Demokraten mit den Republikanern, die auf die praktische Errichtung eines Ein-Partei-Regimes hinausläuft, in den Aktivitäten des Churchillschen Europa-Komitees, in den Aspirationen des General de Gaulles, der bereitsteht, jede weitere Linksentwick-
lung in Frankreich mit dem Versuch eines faschistischen Staatsstreiches zu beantworten.
2. Die wirtschaftliche Lage der Mittelklassen in Europa begünstigt eine entscheidende Aufgabe des Sozialismus: die Hereinnahme der „white-collar-workers“ (der englische Ausdruck trifft das Wesen dieser Schicht besser als das deutsche Wort vom „Stehkragenproletarier“) in die sozialistische Gesamtkonzeption. Verwirklicht wurde diese Aufgabe bisher nur von der Labour Party. Der fest-
ländische Sozialismus krankt hier zweifellos noch an einer Fehlannahme aus der industriellen Frühzeit, die mit einer außerordentlichen Vermehrung des eigentlichen Proletariats, d.h. der entscheidenden Teile der Arbeiterschaft in den entscheidenden Industrien rechnete. Der der Technik innewohnende Zug zur Automatisierung und damit zur Aufteilung des Arbeitsprozesses hat aber viel stärker zu einer Vermehrung der Arbeiteraristokratie und der kleinen technischen Intelligenz geführt, während die eigentlich produzierende Tätigkeit einer jeweils leicht ersetzbaren Schicht von Hilfsarbeitern zufällt. Es ist tatsächlich eine Schicht von Technikern, welche in den meisten Industrien, vielleicht vom Bergbau abgesehen, die Hand am Hebel der Produktion hält. Welche Folgerungen sich daraus für eine revolutionäre Planung, insbesondere auf dem Gebiet
der Taktik des Streiks, ergeben, ist einleuchtend. Das Beispiel der Burnhamschen Thesen („The Managerial Revolution“) hat gezeigt, dass dieser soziologischen Gruppierung ein durchaus be-
gründeter Zug zur Emanzipation innewohnt.
3. Die Loslösung von der Koalition mit den „linken“ Verbänden des Kapitalismus schließt die dringend notwendig gewordene Lösung von dem liberalistisch-bürgerlichen Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert ein, das der sozialistischen Theorie den lächerlichen Zug ins Utopische verleiht. Die Hypothese des naturwissenschaftlichen Materialismus und die Utopie des rationalistischen Fortschrittgedankens sind Ideen des Bürgertums, mit denen es die tatsächliche Ausbeutung des Menschen und die Entwicklung zum Imperialismus zu verschleiern suchte. Nichts hindert den Sozialismus, diese Ideen über Bord zu werfen. Damit würde auch der Weg zur Berücksichtigung der durch die beiden Weltkriege neugeschaffenen religiösen Situation frei, die von den besten Kräften der Arbeiterbewegung – wir verweisen auf Ignazio Silone – klar erkannt wird, und die
dem Marxismus bereits den Zugang völlig neuer Kräfte aus dem Lager der „renouveau catholique“ verschafft hat. Es sei hier auf die Tätigkeit der „Esprit“-Gruppe in Frankreich unter Emanuel Mounier hingewiesen. Damit wären auch die Vorbedingungen geschaffen, die dem zwischen den Extremen stehenden Vatikan die Entscheidung erleichtern würden.
4. Nur andeutungsweise kann ferner gesagt werden, dass im Zuge dieser Entwicklung der gesamte Komplex der sozialistischen Staats- und Wirtschaftstheorie einer Neuformung bedarf. Das letzte Wort der bürgerlich-kapitalistischen Staatswissenschaft ist, wie die Geschichte erwiesen hat und noch weiter erweisen wird, der Faschismus. Aus der Notwehr gegen ihn entstand als Antithese das Konzept der sowjetischen Parteidiktatur. Die sozialistische Lösung muss jenseits der bürgerlichen „Demokratie“ und des bolschewistischen Totalstaates gelingen, in einer geistig kühnen Vereini-
gung revolutionären Handelns mit dem Willen zum Schutz des Menschen. Der Schlüssel zu letzte-
rem liegt in der richtigen ökonomischen Verfassung der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft. Diese kann gefunden werden, wenn man den Menschen, und nicht den Staat, „zur Basis der materiellen Produktion“ macht, wie Karl Marx das in jenem Wort formuliert hat, das wir an die Spitze unserer Abhandlung stellten.
VI.
Der sozialistische Praktiker wird nach den Wegen fragen, die zur Erfüllung solcher weitgespannten Aufgaben führen.
Eine erste Möglichkeit kann erblickt werden in dem Versuch, eine innere Revolutionierung der Sozialdemokratie und der sozialistischen Parteien der westlichen Länder durchzuführen. Sorgsame Beobachter werden allerdings sagen, dass die Überalterung dieser Parteien und ihre Verfilzung
mit dem Reformismus diese Möglichkeit ausschließt. Es kann sich aber hier nur darum handeln, grundsätzliche Lösungsversuche anzudeuten, nicht aber fertige Rezepte zu geben. Unter diesem Aspekt ist auch die völlige Neukonstituierung einer sozialistischen Front unter Führung jener „heimatlosen“ Linken denkbar, von der wir oben sprachen. Der Gedanke einer „neuen Linken“ spukt heute allerorten. Schließlich wäre noch eine Verflüssigung der starren Konstellation im Sozialismus möglich, wenn die Leiter der Sowjetpolitik sich zu einem durchgreifenden Wechsel ihrer Methoden und Ziele entschlössen. Dies würde bedingen, dass sie außenpolitisch ihr Ver-
trauen auf die freundschaftliche Haltung eines wirklich unabhängigen Sozialismus gründen und innenpolitisch jene Reformen durchführen, die es den Sozialisten aller Länder erlauben würden, die Sowjetunion den werktätigen Massen als Muster einer sozialistischen Demokratie zu empfeh-
len. Die pessimistische Färbung dieses Jahrhunderts gestattet es freilich kaum, eine so summa-
rische Revision des Weltbildes der russischen Politiker in den Bereich unserer Hoffnungen zu ziehen. Aus dem Gesagten erhellt, welche Schlüsselstellung im Gefüge der internationalen Ar-
beiterbewegung der Sozialismus in den angelsächsischen Ländern einnimmt. Man kann heute sagen, dass das Gelingen oder Nichtgelingen des Labour-Experiments die Entscheidung darüber bringen wird, ob die Welt sich in den Fronten des kapitalistischen Faschismus und des Sowjet-
systems völlig festfährt und damit einem neuen Weltkrieg entgegentreibt, oder ob sie die Türe aus dem Gehäuse des kriegerischen Nihilismus findet. Je fester der Stand sein wird, den die Labour-Regierung und die Wallace-Opposition in Amerika einnehmen werden, je unbedingter ihr Wille
zur sozialistischen Lösung sein wird, um so stärkere Impulse werden von ihr auf die sozialistische Gestaltung Europas einwirken. Die wirtschaftliche und geistige Revolution in England, die Indien-Politik des Attlee-Kabinetts, die eindeutige Haltung der amerikanischen Opposition erlauben zunächst eine günstige Prognose. Sie lassen uns vermuten, dass unsere Hoffnung auf eine soziali-
stische Demokratie vielleicht nicht vergeblich ist. Sie wäre die einzige Demokratie, die diesen Namen verdient.
Alfred Andersch
Der Ruf 15 vom 15. März 1947
Hans A. Neunzig, Der Ruf. Unabhängige Blätter für die junge Generation. Eine Auswahl, München 1976, 270 ff.