Materialien 1947

Ein Mann - eine Zeitung - eine Politik

Wer in der Presse lügt, wer verleumdet, wer fälscht, wer hetzt, wer Bauernfängerei betreibt, wer Anklagen vorbringt, die er nicht beweisen kann, wer unter dem Deckmantel des Allgemeinwohls selbstsüchtig schreibt, der muss „sein Gesicht verlieren“, er muss von den Besten so eindeutig iso-
liert werden, dass er entweder das Handwerk aufgibt, oder aber wenigstens doch nicht mehr als anerkanntes Glied der Presse mit Autorität auftreten kann.

Frankfurter Hefte, Januar 1947

In den süddeutschen Parlamenten werden seit einiger Zeit heftige Debatten über die neue Presse, die Frage der Pressefreiheit sowie über den Charakter und die Existenzberechtigung der soge-
nannten überparteilichen lizenzierten Presse geführt.

„Die Allmacht der Presse muss unbedingt gebrochen werden“, erklärt der bayerische Sondermini-
ster Alfred Loritz, und nach einer Dena-Meldung fiel bei den Tumulten im hessischen Landtag innerhalb der Reihen der SPD-Fraktion der folgende Ausspruch: „Die SPD ist gegen die Pressefrei-
heit.“

Diese Art von Diskussion ist keineswegs neu. Wir fürchten, dass man sich über die Frage der Frei-
heit der Presse so lange nicht wird einigen können, wie es recht verschiedene Begriffe von der Frei-
heit unter den Diskutierenden gibt, und, was wichtiger ist, so lange es sehr verschiedene Machtfak-
toren gibt, die in der Lage sind, ihre Auffassung von Freiheit als die allein richtige durchzusetzen. Worauf jedoch ein Sozialist stets und ständig hinweisen muss, ist, dass eine Presse in einer Klas-
sengesellschaft nie und nimmer frei sein kann von den sich widerstehenden Interessen der Klassen und Parteien. Die Pressefreiheit ist eine der bürgerlich-demokratischen Freiheiten, die heute wie-
der in den Vordergrund getreten sind. Aber wir dürfen nie vergessen, dass sie die Bezeichnung nur verdient im Gegensatz zu der hinter uns liegenden Unfreiheit während der faschistischen Diktatur, und dass in der Gegenwart sich die Pressefreiheit nur entwickeln wird mit zunehmender Demokra-
tisierung, d.h. unter Mitwirkung immer breiterer Schichten der Bevölkerung. Für den Sozialisten lautet also die Frage so: Wird die Presse erneut in ihrer überwältigenden Mehrheit die Interessen einer privilegierten Minderheit vertreten, d.h. wird sie eine reaktionäre Presse bleiben oder wird sie in zunehmendem Maße den Interessen der gewaltigen Mehrheit des werktätigen Volkes Rech-
nung tragen, eine fortschrittliche, eine wahrhaft demokratische Presse sein?

Ohne eine solche grundsätzliche Klärung der Frage der Pressefreiheit bleibt jede Diskussion an
der Oberfläche, erzeugt Illusionen und dient damit bereits als Diskussion nicht den Interessen der fortschrittlichen Kräfte, sondern einzig einigen notorischen Stillstandshelden. Ohne eine solche Klärung lässt sich auch der Charakter der überparteilichen Presse in Bayern nicht erkennen, die wir nunmehr am Beispiel der „Süddeutschen Zeitung“, dem Münchener überparteilichen Nach-
richtenblatt, untersuchen wollen.

Ein Mann

Die „Süddeutsche Zeitung“, die im Oktober 1945, nach einer bereits im August gelieferten Probe-
nummer, ihre Laufbahn begann, hat Redakteure, sogenannte Lizenzträger, die verschiedenen Parteien, der SPD und der CSU angehören, die jedoch innerhalb der Zeitung, ohne sichtbar wer-
dende Differenzen, einheitlich zusammenarbeiten. Nun hat es bekanntlich im politischen Leben der jüngsten Vergangenheit nicht nur Differenzen zwischen den beiden Parteien, sondern auch innerhalb dieser Parteien gegeben. Die „Süddeutsche Zeitung“, d.h. ihre Redakteure, vertraten den Kurs der Zusammenarbeit von SPD und CSU und damit die Verteidigung des Hoegner-Flügels in der SPD und des Hundhammer-Flügels in der CSU. Diese Verteidigung geht so weit, dass, sofern die Minister Hoegner und Hundhammer betroffen sind, die „Süddeutsche Zeitung“ auch eine gele-
gentliche Auseinandersetzung mit dem Organ der Militärregierung, der „Neuen Zeitung“, nicht scheut und sich grundsätzlich der Kritik an diesen Männern enthält.

Die politische Redaktion hat Edmund Goldschagg inne, über dessen Lebenslauf wir dem „Munzin-
ger-Archiv“ die folgenden Angaben entnehmen: „Edmund Goldschagg wurde am 11. Oktober 1886 in Freiburg i.Br. als Sohn eines Buchdruckereibesitzers geboren. In Mülhausen i.E. besuchte er das humanistische Gymnasium. Alsdann studierte er in München, Berlin und Heidelberg Geschichte, Nationalökonomie und Sprachen. Dann trat er als Volontär in die sozialdemokratische ‚Volksstim-
me’ in Chemnitz ein, wo er unter Noske und Heilmann arbeitete. Von 1920 bis 1927 war er Nach-
richtenredakteur am sozialdemokratischen Pressedienst in Berlin und von 1927 bis 1933 leitender politischer Redakteur der ‚Münchener Post’. Von 1933 bis 1945 lebte er ohne Beruf in seiner Hei-
matstadt Freiburg i.Br., bis er von der Militärregierung als Herausgeber und leitender politischer Redakteur an die neue ‚Süddeutsche Zeitung’ in München berufen wurde.

Im ersten Weltkrieg wurde er trotz seiner Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei zum Leutnant befördert und war dann 3½ Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft. Im Jahre 1940 war er ebenfalls als Führer einer Baukompanie eingezogen, wurde aber nach zwei Monaten wegen seiner politischen Vergangenheit wieder entlassen.“

Man mag sich über diese Personalangaben wundern, aber es handelt sich ja bei der Lizenzpresse, wie immer wieder betont wird, nicht um Parteien, sondern um Personen, und so kann man mit Recht an diese Frage auch auf persönlicher Basis herantreten. Goldschagg hat mehrfach das Ge-
wicht seiner Persönlichkeit in die politische Waagschale geworfen, entscheidend in der Frage der Wahl des bayerischen Ministerpräsidenten, als er gegen den Kandidaten Dr. Josef Müller Gestapo-
akten veröffentlichte. Es soll aber auch besonders auf zwei oder drei Fälle hingewiesen werden, in denen Goldschagg in betont ritterlicher Haltung, als Sozialdemokrat, wie er bei solcher Gelegen-
heit ausdrücklich feststellt, eine offensichtliche Ungerechtigkeit gegenüber Kommunisten brand-
markt (zuletzt in der Affäre Dr. Kroth), denn eben jene Betonung lässt darauf schließen, dass Gold-
schagg sich diese Fälle zur Verteidigung seiner journalistischen Sauberkeit in Bereitschaft hält.

Als politischer Redakteur ist in unserer Analyse Goldschagg nicht nur für seine eigenen Artikel, sondern auch für die politische Haltung der Zeitung verantwortlich, und wir werden noch fest-
stellen, dass zwischen beiden auch nicht der leiseste Unterschied besteht. Goldschagg gibt mei-
stens das Stichwort, auf das dann die entsprechende Nachrichtenauswahl folgt. So beispielsweise in der Frage des Föderalismus, über den er schon in der zweiten Nummer der Zeitung einen Artikel schreibt ganz im Sinne der Dr. Hoegnerschen Oktoberregierung. Goldschagg leitet auch jeweils die Wahlpropaganda zwar nicht überparteilich, dafür aber um so geschickter. So veröffentlichte er beispielsweise kurz vor der Verfassungsabstimmung in Bayern einen Artikel mit der Überschrift: „Das Beispiel Württemberg-Baden.“ (Württemberg-Baden nahm seine Verfassung an, aber hier standen sämtliche Parteien hinter der Verfassung. Dieses Beispiel auf Bayern übertragen, könnte also nur heißen: Nehmt auch die bayerische Verfassung an! Wobei damit allerdings nur der Partei-
standpunkt der CSU und der SPD, nicht aber derjenige der KPD, WAV, und FDP berücksichtigt wurde.)

Eine Zeitung

Am 30. November 1945 veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung“ auf der Titelseite einen langen Auszug aus einer Rede Dr. Schäffers, in der scharf gegen die Kommunisten und ihre Neigung zur Diktatur Stellung genommen wurde. Dies geschah am Tage nach den Wahlen in Österreich, als ein erster Stimmungsbarometer aus dem ehemaligen Nazireich den Herren Redakteuren zur Verfü-
gung stand. Aber erst im Januar 1946 wurde die eigentliche Kampagne gegen links eingeleitet, und zwar zunächst auf außenpolitischem Gebiet. So greift Goldschagg sehr energisch die geringe Stahl-
quote an – für die er die Russen verantwortlich macht -, eine Quote, die ja bekanntlich bis zum heutigen Tag nicht einmal erschöpft wurde. Oder er wendet sich mit heftigen Worten gegen die französische kommunistische Zeitung „Humanite“, in der er „mehr Geist des Nazismus als des Sozialismus“ findet. Innerpolitisch bildet die Kündigung der Aktionsgemeinschaft SPD-KPD durch die Sozialdemokraten das Hauptereignis, und Goldschagg läßt solche Meldungen gleich zweimal in aufeinanderfolgenden Nummern unverändert abdrucken (trotz Papiermangels). Dr. Schumacher tritt als Beauftragter der Sozialdemokratischen Partei der westlichen Zonen und als scharfer Anti-kommunist auf die politische Bühne und damit selbstverständlich auch auf die erste und zweite Seite der „Süddeutschen Zeitung“ (mit und ohne Bild). Nicht soviel Liebe findet der alte Kämpfer für die Rechte der Arbeiterschaft Wilhelm Pieck, über den Herr Goldschagg anlässlich seines 70. Geburtstages nur verleumderische Meldungen bereitstellt. Dann wieder wird der alte Liebknecht aus dem Grabe zu einem Familienrat zitiert, um hier seine Stimme für Hoegner und Schumacher gegen die Kommunisten abzugeben. Ein Dementi wurde zwar gebracht – jedoch zwei Monate spä-ter -, nach den Wahlen selbstverständlich, denen ja diese und ähnliche Scherze galten.

Im Februar 1946 spielt die englische Labour Party und ihre Aktivität gegen die Einheit der deut-
schen Arbeiterparteien eine größere Rolle in den Spalten der „Süddeutschen Zeitung“, doch ist der Gesamtton immer noch als gemäßigt zu betrachten gegenüber dem folgenden. Am 7. März 1946 hält Winston Churchill seine programmatische Rede in Fulton, und wir müssten den Inhalt dieser Rede nicht kennen, so genau widerspiegeln ihn die Nummern 22, 23, 24 der „Süddeutschen Zei-
tung“: „Bedenkliche Umtriebe in Berlin“: „Kommunisten betreiben ,Machtergreifung’“; „Kohle und Seife für Parteizwecke“; „Russland fordert österreichische Bauerngüter“; „Sowjetunion will Atom-
forschung betreiben“; „Undurchsichtiger Iran“; „Den sozialistischen Massen soll eine kommunisti-
sche Führung gegeben werden“; man spricht vom „Kreml-Jargon“ usw. Unmöglich, all die Hunder-
te auch nur der Hetztitel aufzuzählen, die da gegen links, gegen Osten und Norden Platz finden. Ein Markstein ist der zweiseitige Artikel von Slawik: „Jenseits des eisernen Vorhangs“, mit einer wüsten Hetze gegen Russland. Dazu als Beigabe in der gleichen Nummer die bekannte Delikatesse: „Hausvertrauensleute in Sachsen“, eine „Renaissance des Super-Hitlerismus“. All dies natürlich auch wieder im Hinblick auf die am 16. Mai 1946 stattfindenden Wahlen.

Im Laufe der Monate wechseln die Titel der Kampagnen, nie jedoch ihre politische Zielsetzung. Die Kriegsgefangenenfrage wird politisch ausgeschlachtet zugunsten einer Hetze gegen die Kommuni-
sten, nicht jedoch zugunsten der Kriegsgefangenen, wie es sich jeder ABC-Schütze bei einer derar-
tigen Aufmachung der Kampagne an den Fingern abzählen kann. „Menschen verschwinden in Berlin“ (die dann allerdings zurückkehren!), und Berlin erhält den Namen: Schanghai Europas. Reparationen, Demontagen, Dienstverpflichtungen …, und dann geht es wieder von vorne los. Als Neujahrsgeschenk überrascht Herr Goldschagg die Leser der „Süddeutschen Zeitung“ mit einem eigenen Berliner Berichterstatter, namens G. Sch., von dem die ersten Berichtstitel lauten: „Taktik der SED“; „Unruhige Sowjetzone“; „Abzeichen im FDJ“; „Rundfunkskandal in Berlin“; „Partei-
schwund der SED“; „Rationskürzung in der Ostzone“ (letzteres eine besonders unverschämte Un-
wahrheit und Ablenkungshetze!). So geht es bis auf den heutigen Tag. Hinter den wenigen ge-
nannten Titeln verbergen sich Hunderte der gleichen Art.

Eine Politik

Selbst zugegeben, dass diese oder jene Meldung wahr sei, was bedeutet dies gegenüber der Tatsa-
che der ungeheuerlichen und bewussten Häufung und Konzentration solcher Meldungen? Hierin liegt die Absicht, und diese Absicht ist zugleich die politische Linie Edmund Goldschaggs und der „Süddeutschen Zeitung“. Nun wollen wir der „Süddeutschen Zeitung“ jedoch kein Unrecht tun: sie ist nicht die einzige überparteiliche Zeitung dieser Art in Bayern (einzig sind nur ihr Redakteur Goldschagg und ihr Berliner Berichterstatter G. Sch.). Zur Diskussion steht vielmehr die Frage, ob eine solche Politik als überparteilich angesehen werden darf.

Ein Charakteristikum der überparteilichen Presse soll die Tatsache sein, dass sie ihre Direktiven nicht „von oben“ bekommt. Von wo bekommt also die „ Süddeutsche Zeitung“ ihre Direktiven? „Von unten“? Das könnte man nur im moralisch wertenden Sinne gelten lassen, insofern der be-
tonte Antikommunismus dieser Zeitung gewissen Neigungen entgegenkommt, die jedoch auch und gerade in den „höchsten“ Kreisen vorhanden sein sollen und nicht ohne weiteres als demokrati-
sche Tendenzen zu bezeichnen sind. Wir jedenfalls erinnern uns noch gut einer Zeit, in der der Antikommunismus in Deutschland Staatsreligion war. Wir hatten auch die Auffassung, dass die neue Presse die Aufgabe hat, diese traurige Erbschaft überwinden zu helfen. Statt dessen finden wir eine ausgesprochene Pflege derartiger antidemokratischer Neigungen nicht nur in der anti-
kommunistischen Hetzkampagne, sondern beispielsweise auch in der selbstverständlichen Gleich-
setzung von Föderalismus und Demokratie. Glaubt man vielleicht mit dem Länder-Separatismus die deutsche Jugend zu Demokraten zu erziehen?

Aus unserer Untersuchung geht wohl für jeden Unvoreingenommenen das eine deutlich hervor: Es darf nicht nur und ausschließlich eine solch überparteiliche Presse geben. Die Parteien müssen die Möglichkeit haben, ihre Ansichten und Vorschläge vor ihren Wählern, vor der gesamten Öffent-
lichkeit klarzustellen, Das ist Demokratie! Seit wann ist das Bekenntnis zu einem Standpunkt un-
demokratisch? Undemokratisch hingegen ist es, meist ohne Angabe des Namens (und der Partei) nur bestimmte Meldungen zu bringen und sie einseitig zu kommentieren. Das ist zwar ebenfalls noch ein Standpunkt (und meist sogar ein Parteistandpunkt), aber im Hinblick auf eine prokla-
mierte Überparteilichkeit eine bloße Heuchelei und daher absolut undemokratisch.

Neben einer Parteipresse wäre eine überparteiliche Presse sehr wohl denkbar, aber sie kann nur ganz konkret in Zusammenhang mit unseren heutigen deutschen Aufgaben gesehen werden. Sie kann nur überparteilich-demokratisch sein und nur auf der Zusammenarbeit sämtlicher demokra-
tischen Parteien beruhen. In einer solchen überparteilichen Presse würden die Meinungen zwar weltanschaulich verschieden gewonnen werden, jedoch aufeinander abgestimmt zur gemeinsamen Nutzanwendung für unsere gegenwärtige deutsche Situation, für die Lösung aller praktischen Auf-
gaben, vorgetragen werden. Es ist nicht schwer, festzustellen, dass die „Süddeutsche Zeitung“ das genaue Gegenteil einer solchen überparteilichen Zeitung darstellt. Was heißt bei ihr Überpartei-
lichkeit? Ist sie nicht vielmehr selbst eine „Überpartei“? Eine föderalistische, bürgerlich-demokra-
tische, kapitalistische und betont antikommunistische „Überpartei“? Streichen wir den Föderalis-
mus und die bürgerliche Demokratie als „Zeichen der Zeit“ weg, so bleibt der Ewigkeitswert einer „Überparteilichkeit“, wie wir sie erst vor ganz kurzer Zeit besaßen!

Heinz Mode


Die Nation. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 3 vom Juni 1947, 13 ff.

Überraschung

Jahr: 1947
Bereich: Medien

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