Materialien 1947

Krise der Entnazifizierung in Bayern

1. In einer am 8. September 1947 erfolgten Sitzung der Vorsitzenden und Kläger der Münchener Spruchkammern wurde von 34 Vorsitzenden und Klägern in München der Beschluss gefasst, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen.

2. Von der gefassten Resolution wurde heute der Herr Bayerische Staatsminister für Sonderauf-
gaben, der Herr Bayerische Ministerpräsident, der Herr Präsident des Bayerischen Landtages und der Herr Direktor der Militärregierung in Bayern, General Muller, in Kenntnis gesetzt.

3. Die 34 Unterzeichner der Resolution bekennen sich zu dem im Befreiungsgesetz der US-Zone verankerten politischen Grundprinzipien und lehnen die immer offener zutage tretenden Versuche ab, für die unbestreitbar vorhandenen verfahrens- technischen Mängel und solche der Exekutive das Gesetz selbst und dessen politische Grundsätze verantwortlich machen zu wollen.

Der Grundsatz, bei der Verteilung der durch die verbrecherische Politik Hitlers und seiner Partei dem ganzen deutschen Volke erwachsenen ungeheuren Lasten, in entsprechenden Abstufungen, einen gebührenden Anteil ehemaligen Parteigenossen und Parteianhängern als Sühneleistung aufzuerlegen, ist ein Gebot der Gerechtigkeit allen denjenigen gegenüber, die, ohne Parteigänger gewesen zu sein oder als aktive Gegner des Dritten Reiches, heute als Angehörige ihres Volkes physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, die in vielen Fällen ungleich schwerer wiegen als die auf ehemaligen Parteigenossen und Parteianhänger entfallenden Sühneleistungen.

Das Gesetz erkennt mit Fug und Recht in dem Nachweis nationalsozialistischer Gesinnung einen bestimmten sehr wesentlichen Grad der Verantwortlichkeit, weil gerade diese als so genannte Weltanschauung gepriesene und auf dem Boden von falschem Nationalismus und Untertanengeist einerseits und Überheblichkeit sowie Intoleranz andererseits gezüchtete Gesinnung der geeignete Nährboden für die spätere verheerende Entwicklung wurde. Auch politischer Irrtum, der zu so furchtbaren Folgen führte, kann wohl als mildernder Umstand, niemals aber als Entschuldigung anerkannt werden.

4. Da bei dem derzeitigen Stand der Dinge eine gründliche Beseitigung der durch unsachliche Kritiken, bürokratische Unzulänglichkeiten die Verfolgung eigensüchtiger Parteiinteressen und schlechten Willens seitens gewisser Kreise herbeigeführten Kompromittierung des Gedankens der politischen Befreiung und der mit dieser Aufgabe betrauten Spruchkammerorgane kaum zu er-
warten ist, weiterhin auch die eingetretenen Schwierigkeiten in der schnellen Lösung des Problems der formell Belasteten lediglich nur als Folge verfahrenstechnischer Direktiven zu betrachten,
nicht über ursächlich auf dem Inhalt des Befreiungsgesetzes vom 5. März 1946 und die Arbeit der Spruchkammern zurückzuführen sind, ohne dass man höheren Ortes bisher Mittel fand, durch konstruktive Anordnungen diesem Umstand Rechnung zu tragen, sehen sich die Unterzeichner der Resolution veranlasst, die durch die jetzige Lage gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Sie lehnen damit die weitere Verantwortung für eine in dem Bereich der Möglichkeit gerückten Entwicklung ab, die durch das Fehlen qualitativer Personalpolitik bei der Besetzung der Kammern einerseits und andererseits durch mangelnden Rechts- und Ehrenschutz sowie durch Anwendung einer hoffnungslosen Instanzenmaschinerie die lebendige Zweckbestimmung des Befreiungsgesetzes einzuschläfern und damit überhaupt in Frage zu stellen versucht.


Gewerkschafts-Zeitung. Organ der Bayerischen Gewerkschaften 17 vom 10. September 1947, München, 6.

Überraschung

Jahr: 1947
Bereich: Nazis

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