Materialien 1948

An die Bundesvorstandschaft des Bayerischen Gewerkschaftsbundes

European Quartermaster Depot
Alabama Area

An die Bundesvorstandschaft
des Bayerischen Gewerkschaftbundes
München
Landwehrstraße 7 – 9

Als einziger Vertreter der militärischen Betriebe Bayerns erhebe ich energisch Einspruch gegen die laue Auffassung der Gewerkschaft gegenüber den Beschäftigten bei amerikanischen Dienststellen. Die Tatsache, dass jeder Neunte in Bayern bei amerikanischen Dienststellen sein Brot verdient, dürfte der Gewerkschaft etwas mehr Interesse abfordern für diesen Teil der Arbeitnehmer, die unter den misslichsten Verhältnissen und unter Hinnahme äußerster Entbehrungen in der kriti-
schen Zeit der letzten drei Jahre ihr und ihrer Familien Leben fristen mussten. Mit geradezu em-
pörender Gleichgültigkeit wurde ein Tarifvertrag unterzeichnet entgegen dem Willen der Vertreter der Arbeiter dieser Betriebe. Trotz allen Einspruches wurden die Beschäftigten bei ihrem mühselig Verdienten um einen untragbaren Prozentsatz geprellt. Die guten Beziehungen der Gewerkschaft zu General CLAY ließen einen besseren und größeren Erfolg erwarten und es lässt nur einen Schluss zu, dass zu wenig Interesse diesen Leuten gegenüber von der Gewerkschaft aufgebracht wurde, um sie zu vertreten.

Die Einstellung der Amerikaner ist entgegen den Behauptungen und Beteuerungen in ihren eige-
nen Betrieben eine gänzlich andere. Mit kleinlichen Mitteln versucht man das Wesen der Gewerk-
schaft zu unterbinden und die Betriebsräte aufzulösen, ja in einzelnen Fällen sogar ohne Einhal-
tung von Kündigungen zu entlassen. Dies dürfte der Ausgangspunkt zu einer größeren Aktion gegenüber den Gewerkschaften sein. Die neuerliche Anordnung, die Entlöhnung der Arbeiter mit dem 1. Oktober 1948 sei ausschließlich Sache der Militär-Regierung, gibt zu berechtigten Befürch-
tungen Anlass, denn nachdem es für militärische Betriebe kein Arbeitsgericht noch sonst irgend eine Stelle gibt, die das deutsche Arbeitsrecht der deutschen zivilen Beschäftigten wahrt oder wahrzunehmen in der Lage ist, sehen sich dieselben einer äußersten Willkürherrschaft gegenüber gestellt. Die Zahl der bei amerikanischen Dienststellen Beschäftigten einschließlich der Kontrakt-
firmen beläuft sich in Bayern auf rund 170.000 Menschen. Sie werden, wenn die Bestimmungen über die Einverleibung der Besatzungskostenämter in die militärische Oberhoheit in Kraft treten, für rechtlos erklärt. Wenn dieses schlechte Beispiel Schule macht, dann dürfte die Gewerkschafts-
bewegung bald illusorisch sein; denn heute sind es die militäreigenen Betriebe, morgen sind es die Staatsstellen und übermorgen der gesamte zivile Sektor. Um ein kleines Beispiel über die Auswir-
kungen des neuen Tarifes zu geben, der mit dem 1. Juli 1948 in Kraft gesetzt wurde, folgendes:

Ohne jedes Verständnis der sozialen Belange wurde hier der Leistungstarif in Kraft gesetzt, der sich so auswirkt, dass jeder Arbeiter und Angestellte mit Familie durchschnittlich zwanzig bis dreißig Prozent weniger verdient, als er bei den schon vorher sehr knappen Löhnen erhielt, und das zu einem Zeitpunkt, wo man allgemein fünfzehn Prozent Lohnerhöhung durchzuführen beabsichtigt.

Die Gewerkschaft als Vertreter der Arbeitnehmer hat stillschweigend die rechtsbeugenden Maß-
nahmen des Bayerischen Finanzministeriums bezüglich der Auszahlung der restlichen Kopfquote geduldet und bis heute ist noch nicht bekannt, wann nun eigentlich und zwar ohne den Schwindel des Kontobesitzes, dessen Eröffnung nur zwangsweise erfolgte (unter Aushändigung eines A-
Scheines) die Auszahlung vonstatten geht.

Der Kampf der Gewerkschaften gegen den Preiswucher war so lax geführt, dass man sich ob der spöttischen Bemerkungen und der erhöhten Preistreiberei als Mitglied der Gewerkschaft schämen muss. Es war und ist ihm bis heute kein Erfolg beschieden. Unverständlich ist daher der Langmut, der angesichts der gegebenen Tatsache, dass kein Arbeitnehmer heute im bayerischen Staat von seinem Einkommen allein leben kann, an den Tag gelegt wird.

Wenn es weiterhin bekannt wird, dass man ehemaligen Offizieren in einem Zeitpunkt der allge-
meinen Not Pensionen aussetzt, die das Dreifache des Monatslohnes eines Arbeiters ausmachen, so fragt man sich unwillkürlich, wie konnte das geschehen, wenn sich die Gewerkschaft als Ver-
treter derjenigen Steuerzahlergruppe, die man am meisten betrogen und belastet hat und die das größte Opfer bringen musste, wirklich und energisch durchgesetzt hätte.

Wenn hier auf diesem Bundestag ein neuer Richtweg der Gewerkschaften für das kommende Jahr vorgeschlagen werden soll, dann muss ich allen Ernstes fordern, dass meine Darlegungen gebüh-
rend gewürdigt werden, um so Einfluss auf einen Beschluss in der Festlegung des Weges zu neh-
men. Fundament und Träger des Gewerkschaftsgedankens sind die Gewerkschaftsfunktionäre, die Betriebsräte. Mit ihnen steht und fällt die Gewerkschaft. Wir können nicht tatenlos zusehen, dass die uns vertrauenden Arbeitnehmer noch mehr Enttäuschungen hinnehmen müssen von Seiten einer Regierung, der das Rückgrat fehlt. Wir sind unpolitisch in unserer Gewerkschaftsarbeit und wollen es auch bleiben. Unsere einzige Politik, das Wohl des schaffenden Menschen zu fördern, ist Richtschnur und Ziel unseres Wirkens gegenüber einer Macht, die sich darin gefällt, durch Kor-
ruption, Kurzsichtigkeit und Schlaffheit die Voraussetzungen für ein neues 1933 zu schaffen. Wir wollen es unseren Arbeitskameraden, gleich ob sie Beamte, Angestellte oder Arbeiter sind, wir wollen es aber auch unseren Frauen und Kindern ersparen, wieder Sklaven einer blutigen Tyrannei zu werden. Wenn die Gewerkschaft in ihrer Gesamtheit, vertreten durch die Bundesleitung mit geschlossenen Augen die Dinge noch weiter so treiben lässt, ohne sich allen Ernstes bis zum Äußersten entschlossen dagegen zu wehren, macht sie sich eines nie wieder gut zu machenden Fehlers schuldig, der uns dem Gespött der Arbeiterbewegung der ganzen Welt preisgibt.

Der Betriebsrat
Sub Depot Hdqarter
European Qrtmaster Depot

Übergeben an Georg Reuter beim zweiten ordentlichen Bundestag des Bayerischen Gewerkschaftsbundes 23. – 26. August 1948.


Ordner „Bayerischer Gewerkschaftsbund 1945 bis zur Auflösung am 31.12.1949“,
DGB-Archiv Düsseldorf