Materialien 1949

Kein Freund von Strauß

Vor 100 Jahren wurde Alfred Haag geboren

Er schätzte das offene Wort. „Diplomatische“ Winkelzüge waren nicht seine Sache. Wenn er öffentlich Reden hielt – und er war ein sprachmächtiger Redner mit schwäbischer Klangfärbung, die bei ihm alles andere als gemütlich wirkte -, dann fand er deutliche Begriffe. Für alte und neue Nazis, für Politiker in Bonn und in Bayern. An Adenauer und besonders an Strauß rieb er sich gerne.

Alfred Haag, am 15. Dezember 1904 in Schwäbisch Gmünd geboren, würde jetzt hundert Jahre alt. Er starb am 8. August 1982 in München. Lange Jahre war er Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau in der Bundesrepublik und der bayerischen VVN-BdA. Im Comité International de Dachau vertrat er die KZ-Überlebenden aus der BRD. Ihm war es mit zu verdanken, dass behördliche Pläne, die Überreste des ersten offiziellen Konzentrationslagers der Nazis zu beseitigen, verhindert werden konnten und eine würdige Gedenkstätte entstand.

Kurz vor der Machtübernahme der Nazis wird Alfred Haag als jüngster Abgeordneter für die KPD in den Landtag seiner damaligen württembergischen Heimat gewählt. Am 10. Februar 1933 holt ihn die SA aus seiner Wohnung – es folgen Folterung, Gefängnishaft, bis 1935 das KZ Oberer Kuhberg bei Ulm, dann die KZs Dachau und Mauthausen. Alfreds Frau Lina, selbst von den Nazis verfolgt und eingesperrt, kämpft um die Freilassung ihres Mannes und hat schließlich Anfang 1940 Erfolg. Die Wiedersehensfreude ist von kurzer Dauer. Die Nazis stecken ihn in die verhasste Wehrmachtsuniform und schicken ihn an die Ostfront. Erst 1948 kommt er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück. Von den Zeiten der Verfolgung und der Ungewissheit handelt das erstmals 1947 erschienene und seither in vielen Sprachen veröffentlichte Buch „Eine Hand voll Staub“ von Lina Haag.

Ihre Nachkriegsheimat finden die Haags in München. Sofort nimmt Alfred die politische Arbeit wieder auf, in seiner Partei, vor allem aber in der VVN. Der gelernte Schreiner liest sich ein ins „Wiedergutmachungs“-Recht und wird zu einem Spezialisten für Entschädigungsfragen. Das Landesbüro der VVN wird über Jahrzehnte zu einer Anlaufstelle für politisch und rassisch Verfolgte des NS-Regimes. Es spricht sich herum, dass da jemand ist, der NS-Opfern weiterhelfen will, ohne politische oder weltanschauliche Einschränkungen. Das hat freilich durchaus auch seine politischen Auswirkungen. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem – nicht zuletzt auf Betreiben Alfred Haags – eine „Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Verfolgtenverbände“ (ABV) entsteht, in der sich neben der VVN die einst von ihr aus politisch-ideologischen Gründen abgespaltenen Verfolgtenorganisationen, die Israelitische Kultusgemeinde und die Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Interessensvertretung zusammenfinden. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist in den 70er- und 80er-Jahren die ABV-Wanderausstellung „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945“, die landesweit vor allem in Schulen gezeigt wird.

Alfred Haag, der Zeit seines Lebens kein Hehl aus seinen kommunistischen Überzeugungen macht, wird im In- und Ausland zum geschätzten Gesprächs- und Bündnispartner. Trotz – oder wohl eher wegen – seines Hangs zum offenen Wort. Das gefiel nicht immer allen. Aber alle wussten, dass man sich auf sein Wort verlassen konnte.

Ernst Antoni


antifa. Magazin für antifaschistische Politik und Kultur Dez. 2004/Januar 2005, Berlin, 23.

Überraschung

Jahr: 1949
Bereich: Nazis

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