Materialien 1950

Von einem, der auszog, den Zensor zu suchen

Erfahrungen eines Verlegers mit Maulkorb-Gesetzen

1945 – die Stunde Null. Das 3. Reich hatte auf seiner Höllenfahrt Gestapo, Wehrmacht, Wirtschaft und Kultur mitgerissen und mich, in Abwesenheit, noch rasch zum Tode verurteilt. Bis hierhin war also alles klar: Schnauze halten! Wer was sagt, riskiert den Kopf.

Nun aber, so meinte ich, wird alles anders werden. Das Volk wird sein Schicksal selber bestimmen. Wir werden hungern müssen, für Wiedergutmachung schuften, aber frei unsere Meinung äußern, in echter Demokratie des Volkes, ohne Kapitalisten, selbst unter fremder Besatzung. Auch der Amerikaner. Die hatten ein Punktsystem. Der GI mit vielen Punkten bekam Urlaub und ich die Lizenz für einen Verlag. Ich begann mit der Arbeit. Aber der Publicationofficer meinte schon bald: in der Literarischen Revue seien zu viel Russen und Kommunisten vertreten. Er konnte nicht verstehen, dass in Deutschland seit je allem geistigen Fortschritt der „Ludergeruch der Revolution“ angehangen und dass die in die Zukunft weisenden Tendenzen gerade von kommunistischen Schriftstellern getragen wurden.

Es kam anders. Langsam rückten alle wieder in ihre alten Positionen: die Kaufleute, die Juristen, die Unternehmer und die Polizisten und damit die Kriterien, die 1.000 Jahre alt waren. Die Währungsreform machte radikal Schluss mit vielen Illusionen und weitgehend auch schon mit der deutschen Einheit. Eine verlogene Moral überdeckte die Wiederherstellung der alten wirtschaftlichen Mächte. Als ich 1949 im Neuen Magazin auf die wirtschaftliche Bedingtheit der Prostitution hinwies, brachte das einen Prozess wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften ein. Mein Hinweis, dass das kapitalistische „Gesetz von Angebot und Nachfrage“ sich auch auf die Moralvorstellung auswirke, wurde als marxistische Deutung beiseite geschoben.

Ost-West-Konflikt, aber „ohne mich“, meinte ich. Es ging mir um die Gemeinsamkeit unserer Kultur. Deshalb wurde ich einer der Mitbegründer des „deutschen Kulturbundes“. Unsere Auffassung war, dass die in Ostdeutschland nicht allein den Krieg verloren hätten. Damit geriet man aber sofort in Gegensatz zu den Leuten um Adenauer. So hatte ich dann bald Gelegenheit, Männern vor der Haustür Kaffee und Zigaretten zu reichen, die dort im Auftrag von Geheimdiensten observierten. Das Telefon wurde überwacht, und schon bekam ich auch keinen Interzonenpass mehr. Das Wort „Frieden“ war Synonym für Kommunist geworden; wer nicht „SBZ“ sagte, war ein Aufrührer.

Endgültig decouvriert als „Kommunist“, als „Fellowtraveller“ als „Agent“ aber hatte ich mich, als ich 1950 Schriftsteller aus Ost und West zu einem Gespräch nach Starnberg einlud. Über 300 waren erschienen. Die Presse war nicht zugelassen, weil viele sich sonst gefürchtet hätten, frei zu reden. Das Aufsehen war um so größer. „Schriftsteller in den Katakomben“ war eine bezeichnende Überschrift, und die Zeitung der Amerikaner nannte mich einen bezahlten Sowjet-Agenten. Der Beschluss, gemeinsam das Buch „Wir heißen euch hoffen“ herauszugeben, ging vollends zu weit. Die Schriftsteller wurden in ihre Schranken verwiesen: sie hätten mit Politik nichts zu tun. Die Autoren wurden unter Druck gesetzt, keine Beiträge für das Buch zu geben. Als es dennoch erschien, hielt der Terror an. In Besorgnis wollte der eine seinen Beitrag zurückziehen, der andere versuchte sich in der Presse reinzuwaschen vom Makel roter Infektion. Selbst ein damals so bekannter Autor wie Tami Oelfken musste sich vom Verleger Witsch mitteilen lassen, dass man unter solchen Umständen kein Buch mehr von ihr bringen könne. Einer hatte besser vorgebaut. Er schrieb, dass er sich gerne mit den Kollegen aus der „Ostzone“ unterhalten möchte „über Klopstocks Versmaße und Balzacs Romantechnik, nicht aber über den Frieden und die Wiedervereinigung Deutschlands.“

Mir schien, gerade die Schriftsteller seien aufgerufen, für das Volk zu sprechen und ganz besonders in dieser Situation. Das 3. Reich hatte das Volk Schweigen und Gehorsam gelehrt. Das neue Regime, das soeben die allgemeine Wehrpflicht wieder einführte, hätte es wohl gerne dabei belassen. So wurde das nächste Buch: „Worte wider Waffen“ zu besonderem Ärgernis.

Natürlich musste ich damit rechnen, dass der „bezahlte Sowjetagent“ Folgen haben würde. Als ich einen Reisepass beantragte, wurde mir dieser versagt, weil ich lt. § 7a, so die Begründung, „die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährde“. Zwar waren die meisten der hierzu angegebenen Begründungen einfach aus den Fingern gesogen und nachweislich der Phantasie eines V-Mannes entsprungen, aber was blieb, muss wohl sehr belastend gewesen sein. Da hieß es: „hat an einer Tagung des Deutschen Kulturbundes teilgenommen“; hat den sowjet-zonalen Aufruf zum Frieden unterzeichnet“; „gehört zu dem Personenkreis, mit dem Mitglieder der ost-nationaldemokratischen Partei in Briefwechsel treten sollen“. Und ähnlich schwerwiegende Vorwürfe. Aber das Schlimmste war das „Starnberger Gespräch“ und die Veröffentlichung solch staatsgefährdender Bücher, mit denen Schriftsteller aus Ost und West zum gemeinsamen Kampf für Frieden und Verständigung aufriefen. Ich sei „ein eifriger Propagandist der kommunistischen Idee, der sich die Zerstörung der Staatsform zum Ziel gesetzt hat“ – für jedermann klar, was so jemand im Ausland anstellen wird.

Darum also gab es keinen Pass. Da mir das unverständlich war, schrieb ich an das Passamt, ich glaubte, meinen Teil zu den Grundlagen beigetragen zu haben, die die Existenz dieser Bundesrepublik überhaupt erst ermöglichten, im Gegensatz zu manchem der hohen Beamten heute in diesem Staat.

Um aber einen praktischen Beitrag zu leisten für Frieden, Verständigung und Wiedergewinnung einer einheitlichen deutschen Kultur und Nation, begann ich mit dem Interzonenhandel: ich importierte Bücher aus der DDR und vertrieb sie hier in der Bundesrepublik. Das war nicht recht. Auf einer Buchhändlertagung wurden solche Leute als Landesverräter bezeichnet, ohne dass einer von diesen Sachwaltern des Geistes und der Kultur Widerspruch erhob. Ich führte auch DDR-Kinderbücher ein. Das brachte mir besonders bösen Tadel ein. So schrieb die Schwäbische Landeszeitung, hier würde der Versuch gemacht, unsere Kinder durch Infiltration kommunistischen Gedankengutes zu vergiften.

Nun trat der Staatsanwalt auf den Plan. Die Einfuhr von Kinderbüchern wurde gleich grundsätzlich verboten, und alle Sendungen aus der DDR mussten der Staatsanwaltschaft vorgeführt werden. Das führte zu grotesken Situationen. Ein DDR-Lexikon zum Beispiel musste von der „Spalter-Flagge“ gesäubert werden, weil anders der Bestand der Bundesrepublik gefährdet war.

Die Strafkammer des Landgerichts München bescheinigte mir, dass ich „hinreichend verdächtig sei, Bücher eingeführt zu haben, die u.a. zur Unterdrückung der demokratischen Freiheit dienten“. Aber Renns Spanienbuch musste schließlich doch freigegeben werden. Da hatte doch dieser Engels 1845 einen Text zur Unterwühlung der fdGo1 geschrieben: „Grundsätze des Kommunismus“. Dieses Buch gehöre, so bestätigte der Staatsanwalt, zur kommunistischen Propagandaliteratur. Das sei auch im Vorwort ausdrücklich festgestellt. Und so kam es mit den Büchern von Franz Mehring in den staatsanwaltschaftlichen Reißwolf. Inzwischen war die KPD verboten worden. Das brachte Makarenkos Buch „Flaggen auf den Türmen“ noch im nachhinein in eine sehr merkwürdige Situation. Das Gericht schrieb: „… dessen ungeachtet könnte er natürlich einen Leser, der verallgemeinernde Schlüsse zieht, zu der Folgerung kommen lassen, die Lehre des Kommunismus sei auf jedem Gebiet, zu jeder Zeit und an jedem Ort, jeder anderen Weltanschauung überlegen und vorzuziehen. Daher könne das Buch mit den entsprechenden Hinweisen, etwa durch die Drahtzieher der illegalen KPD dazu verwendet werden, kommunistische Gesinnungen…“ Die Frage, ob das alles nicht auch für „Das Kapital“ zutreffe, wurde verneint; hier handele es sich um Weltanschauung, und die sei erlaubt.

Jetzt war es mir wirklich zu schwer geworden, mich zwischen der grundgesetzlichen Meinungsfreiheit und dem Verbot, diese zu äußern, zurechtzufinden. Ich bat deshalb hohe amtliche Stellen, mir doch Unterlagen zu geben oder zu nennen, aus denen man schließen könne, was nun eigentlich verboten und was erlaubt sei. Man wies das weit von sich: Eine Zensur findet nicht statt. Schließlich gab mir das bayerische Staatsministerium dann doch eine Liste mit Buchtiteln, deren Überprüfung ergeben habe, dass sie inhaltlich als staatsgefährdend anzusehen seien. Darunter befanden sich die deutschen Autoren Weinert und Weiskopf, der Franzose Aragon und der Sowjetrusse Ilja Ehrenburg. Auch Scholochow hatte bereits in den dreißiger Jahren die schmutzige Absicht, die Bundesrepublik zu gefährden, als er sein Buch „Neuland unterm Pflug“. veröffentlichte. Das war zwar inzwischen in der ganzen zivilisierten Welt erschienen, aber deshalb vielleicht noch gefährlicher.

So war wohl klar, was mit Büchern wie Gotsche „Märzstürme“, Reisner „Hamburg auf den Barrikaden“, Braune „Das Mädchen an der Orga Privat“, die man bei einer Haussuchung fand, geschah: Sie kamen in den Reißwolf. Das Argument, diese Bücher aus den zwanziger und dreißiger Jahren gehörten zur Literaturgeschichte und schilderten deutsche Historie, verfing nicht. Denn, so schrieb das Gericht: „Diese Bücher gehören zur sogenannten Bürgerkriegsliteratur, deren sich die illegale KPD bedient, um die arbeitende Bevölkerung auf den mehr oder weniger gewaltsamen Sturz der kapitalistischen Gesellschaft ideologisch vorzubereiten.“ Kistenweise verfielen Bücher auch weiterhin der vorsorglichen Beschlagnahmung, „weil ihr Einziehen zu erwarten sei“ – darunter z.B. Ernst Moritz Arndt „Kurzer Katechismus für deutsche Soldaten“.

Von besonderer Gefahr für die freiheitliche Grundordnung erschien dem Staatsanwalt das Buch Irrweg einer Nation. Es wurde Anlass eines Prozesses, wohl weil der Verfasser Alexander Abusch inzwischen Minister in der DDR geworden war. Das Buch wurde als objektiv staatsgefährdend eingezogen. Das Gericht zitierte in seinem Beschluss als besonders gravierend das Nachwort, wo Abusch über Westdeutschland schreibt: „Es ist und bleibt dort die Aufgabe des Volkes, die historisch notwendige demokratische Reform der Gesellschaft an Haupt und Gliedern nachzuholen.“ Damit war für das Gericht alles klar. Das war „die Aufforderung zur Beseitigung aller genannten Verfassungsgrundsätze und zur Unterdrückung der demokratischen Freiheit“; denn hier „wird für jeden normalen Leser die strikte Forderung erkennbar, die in der Sowjetzone mit Hilfe von Täuschung, Drohung und Gewalt durchgesetzte Errichtung eines kommunistischen Diktatursystems auf dem Gebiet der Bundesrepublik nachzuvollziehen.“

Aber es wurde hinter allem Schwulst der Freiheitsphrasen doch noch deutlich, warum Staatsanwälten und Richtern gerade dieses Buch so gefährlich erschien. Sie zitierten es sogar; Abusch hatte geschrieben: „14 Generäle, die einst an Hitlers Seite paradierten, jetzt Generäle der Bundeswehr, tausend Richter und Juristen, die zu Hitlers Zeiten die Antifaschisten auf das Schafott schickten, nun in bundesrepublikanischer Würde.“ Als Klaus Gysi, der spätere Kulturminister der DDR und jetzt ihr Botschafter in Rom, damals Leiter des Aufbauverlages, als Zeuge vernommen werden sollte, wollte der Staatsanwalt ihn gleich im Saal verhaften lassen, um nachher, etwas kleinlaut, aber doch darauf zu verzichten.

Meine Frage an das Gericht zum Schluss des Prozesses: Ist Zensur denn nicht ehrlicher, anständiger und fairer, anstatt derart dehnbare Gesetzestexte wie Gummi zu dem gewünschten Ergebnis zurechtzubiegen und das dann als objektive Rechtsfindung auszugeben?

So war das also. Die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik wurde schon damals gefährdet: durch Bücher aus den Jahren 1845 bis 1933, durch die „Spalterflagge“, durch das Wort DDR und so weiter. Ich habe die Folgen als Verleger erlebt, andere erlebten sie als Autoren, als Buchhändler, auch als bloße Käufer.

All das sind auch heute jederzeit wieder mögliche Folgen von Gesetzen, die mit Begriffen wie „staatsgefährdend“, „gegen die freiheitliche Grundordnung gerichtet“ arbeiten und so der Willkür polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Auslegung ausgeliefert sind.

Um Gottes willen! Habe ich vielleicht auch hier doch irgendwo die fdGo angegriffen oder gar zu Gewaltanwendung aufgefordert? Na dann auf Wiedersehn, Herr Staatsanwalt.

Willi Weismann


kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf, 2/1976, 128 ff.

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1 = freiheitlich demokratische Grundordnung.

Überraschung

Jahr: 1950
Bereich: Zensur

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