Flusslandschaft 1950

Zensur

Um das „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ vom 18. Dezember 1926 gab es heftige Kontroversen. Damals warnte die kritische Öffentlichkeit davor, dass der Zen-
surparagraph die Grauzone zum Verbot avantgardistischer, kritischer und radikal analysierender Diskurse überschreiten und den Weg in eine vom Staat autoritär definierte und kontrollierte Mei-
nungseinfalt bereiten werde. Die Bundesregierung legt jetzt Anfang der fünfziger Jahre den „Ent-
wurf eines Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ vor. Erich Kästner wehrt sich: „Die Antragsteller und die Auftraggeben wollen ein Kuratelgesetz gegen Kunst und Literatur zuwege bringen. Sie sagen Schmutz und meinen Abraxas1. Da für sie beides ein und das selbe ist, nicht aber fürs Strafgesetzbuch, brauchen sie ein Sondergesetz zur Entmündigung moderner Men-
schen. Da helfen keine Schwüre, das Gesetz werde großzügig gehandhabt werden. Nicht einmal dann, wenn es keine falschen Schwüre wären. Denn der jetzigen Regierung werden andere folgen. Vielleicht solche, denen es noch viel besser in den Kram passt, die Kunst, die Bürger und den Feier-
abend zu dressieren.“2

Der Münchner Verleger Willi Weismann3 plant ein Buch mit dem Titel „Wir heißen euch hoffen“ und lädt Schriftsteller aus Ost und West zu einem Gespräch nach Starnberg ein. Einige trauen sich nicht zu kommen, andere weichen dem übermächtigen Druck, wieder andere kommen erst recht. Es sind über Dreihundert, die erscheinen.4 Einige der Texte sind brisant.5


1 Ballett von Werner Eck, 1948 vom Bayrischen Kultusminister verboten.

2 Zit. in: Dieter Kuhr: „Saubere Aktionen?“ In: Gewerkschaftliche Monatshefte 7 vom Juli 1965, 422; siehe dazu auch „Der Trojanische Wallach“ von Erich Kästner.

3 Willi Weismann (21. Januar 1909 in Mühlheim an der Ruhr – Juni 1983 in München). „Dem baskenbemützten Herrn sieht man Skepsis zum Zeitgeschehen an, gemildert durch verschmitztes Schnauzbart-Lächeln: Der Münchner Verleger Willi Weismann wird bis zum 21. Juni im Marbach’schen Schiller-Nationalmuseum vorgestellt. Das „Marbacher Magazin" 33/1985 liefert aus dem Nachlaß den Briefwechsel mit Exil-Autoren: Broch, Canetti, Jahnn. Der Adressat erweist Wendig-
keit, Beharrlichkeit, Risikobereitschaft. Mit Broch ersann er den Falt-Buchumschlag, den Klappentext als Leporello. Das „Marbacher Magazin" nahm die Idee für den Lebenslauf Weismanns auf. Nach der Buchhändlerlehre wechselte er vom Jung-Stahlhelm zur SPD, von Zehrers Tat zu Niekischs Widerstand. Nach dessen Verhaftung hatte Weismann Meldepflicht bei der Gestapo. Das Kriegsende erlebte er in der Widerstandsgruppe „O 7“. Als selbsternannter Polizei-Kommissar übergab er München kampflos. Die Währungsreform übersteht er als Verleger von Krimis und ermöglicht so den literarisch an-
spruchsvollen „Willi Weismann Verlag". Kontakte zur Buchstadt Leipzig stempeln ihn zum Kommunisten. Resignierte Konsequenz aus Verlagsdurchsuchungen und Beschlagnahmen: Rückzug des mutigen Editors ins Kinderbuch-Exil. („Mar-
bacher Magazin", 33/85: „Broch — Canetti — Jahnn. Willi Weismann und sein Verlag 1946-1954", bearbeitet von Jochen Meyer; Schiller-Nationalmuseum, Marbach …)“ David Dambitsch in Die Zeit 21 vom 17. Mai 1985.

4 Siehe „Von einem, der auszog, den Zensor zu suchen“ von Willi Weismann.

5 Siehe „Hinter der Kulisse“ von Friedrich M. Reifferscheidt.