Materialien 1955
Treff im Café Annast
SPIELBANK-KONZESSIONEN / BUNDESLÄNDER
Geld kommt auf jeden Fall
Bayerns Landtag wird bald wieder einen Untersuchungsausschuss bilden. Die CSU-Fraktion – seit ihrem Misserfolg bei der Regierungsbildung am Jahresende 1954 auf die Oppositionsbänke im Münchner Landtag abgedrängt – hat es am vergangenen Donnerstag in einer Fraktionssitzung so beschlossen.1 Der Ausschuss soll die Vorgänge untersuchen, die sich bei der Vorbereitung der Spielbank-Konzessionierung in Bayern abgespielt haben.
Diese Vorgänge liegen zum Teil schon länger zurück, denn schon vor Jahren waren immer wieder Versuche unternommen worden, auch in Bayern wie in anderen Bundesländern Spielbankgenehmigungen zu erreichen. Für solche Genehmigungen ist ein Gesetz Voraussetzung, das vom Bayrischen Landtag beschlossen werden muss. So war es nur natürlich, dass alle Spielbank-Interessenten Mühe und Zeit darauf verwandten, besonders die Abgeordneten des Parlaments von dem Nutzen solcher Einrichtungen zu überzeugen.
Dieser speziellen Aufgabe hatte sich schon vor Jahren der Münchner Importkaufmann und Besitzer einer Fischbratstube, Karl Freisehner, gewidmet. Sein offensichtlicher Kontakt zu Abgeordneten, Politikern und Schlüsselpersonen fand denn auch seine Anerkennung in dem Vertrauen, das ihm zahlreiche Spielbank-Bewerber bewiesen, als in der ersten Hälfte dieses Jahres ein Gesetz zur Errichtung von Spielbanken in Bayern ernsthaft zu erwarten war.
Die Bildung der Viererkoalition von SPD, FDP, Bayernpartei und BHE, die in der Spielbankfrage kein weltanschauliches Problem zu sehen schien, ermutigte zu dieser Annahme. Freisehner übertreibt sicher, wenn er sich am Zustandekommen dieser Koalition irgendwelche Verdienste zuschreibt (er bezeichnet sogar die Zusage der Spielbank-Genehmigung als eine der in Aussicht gestellten Gegenleistungen für diese Verdienste). Aber Freisehners diesbezügliche Angaben schienen selbst so skeptischen und unsentimentalen Verhandlungspartnern recht glaubhaft, wie sie etwa das „Münchner Spielbankkonsortium“ in den Herren Dr. Hubert Thelen und Dr. Otto Schmitz zur Verfügung hat.
Zumindest schlossen diese Herren vorsorglich, um der Freisehnerschen Hilfe auf jeden Fall sicher zu sein, am 17. Februar 1955 mit ihm einen Vertrag, der ihm eine Beteiligung zusicherte, falls das Konsortium mit einer Konzession zum Zuge kommen sollte. Das war rund einen Monat nachdem den Münchner Zeitungen zu entnehmen gewesen war, die Spielbankfrage sei wieder aktuell.
Dass sich das Münchner Spielbankkonsortium so rechtzeitig in die Entwicklung einschaltete, entspricht der Bedeutung dieser Gruppe auf dem Gebiet der Spielbanken im Bundesgebiet. Es handelt sich hier nämlich um Herren, die sich um den Münchner Bankier August Lenz geschart haben und die bereits erhebliche Anteile an außerbayerischen Spielbanken (Bad Neuenahr, Bad Dürkheim, Westerland, Baden-Baden und Konstanz) besitzen.
Sie sahen sich einer schwerwiegenden Entscheidung insofern gegenüber, als ihnen, da sie Kommanditisten so zahlreicher anderer Spielbanken waren, an einer Gründung weiterer Spielbanken – etwa in Bayern – gar nicht gelegen sein konnte. Da nun andererseits die Neugründung offenbar unvermeidlich schien, geboten es die Interessen des Konsortiums, möglichst mit von der Partie zu sein.
Es ging dem Konsortium, wenn nun schon Spielbanken in Bayern kommen sollten, im übrigen darum, dass eine einzige Gesellschaft alle projektierten Banken in Regie nehme, und da rechnete sich die Münchner Gruppe eine reelle Chance aus, zumal ihr Dr. Otto Schmitz wusste: „Auch der Finanzminister steht diesem Plan sympathisch gegenüber. Dass wir natürlich unsere Gesellschaft und nicht eine andere Trägerin dieser zentralen Lösung vorschlagen, ist ja wohl klar.“
Die Dinge liefen nun zunächst, wie Freisehner das vorausgesehen hatte. Am 8. März beschloss der Ministerrat der jungen Koalitionsregierung, gegen die Errichtung von Spielbanken keine grundsätzlichen Einwendungen zu erheben, und schon am 21. April entschieden sich Bayerns Parlamentarier in namentlicher Abstimmung mit 92 zu 79 Stimmen bei 16 Enthaltungen für die Errichtung von vier Spielbanken im Freistaat Bayern:
in Garmisch-Partenkirchen,
in Bad Reichenhall,
in Bad Kissingen,
in Bad Wiessee.
Es war vorgesehen, dass der bayrische Innenminister Dr. Geislhöringer von der Bayernpartei (dem auf Grund des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken vom 14. Juli 1933 das Recht der Konzessionserteilung zustand) das Vorschlagsrecht der Gemeinden bei der Auswahl der Konzessionäre beachten sollte.
Das ließ allerdings erwarten, dass die „zentrale Lösung“, die vom Münchner Spielbankkonsortium angestrebt wurde, zumindest in Frage stand, so dass sich die Herren des Konsortiums unabhängig von ihrem Kampf für die „zentrale Lösung“ auch der Mühe unterziehen mussten, sich um einzelne Bewerbungen zu bemühen.
Der erste Sturm um die bayrischen Spielbanken entstand nun, als Innenminister Dr. Geislhöringer aus Gründen, die bis heute nicht mehr erläutert wurden, einer Wiesseer Delegation am 27. April, sechs Tage nach dem Landtagsbeschluss über die Errichtung von Spielbanken, kategorisch erklärte, Bad Wiessee werde keine Spielbank erhalten. Trotz aller Proteste der Männer aus dem Tegernseer Tal ist es bei diesem Entscheid des Innenministers auch tatsächlich geblieben, wobei die Wiesseer seither mit massiven Andeutungen nicht geizen, dass an dieser Entscheidung sicher Interessengruppen ihre Freude hätten, denen Bad Wiessee, nahe bei München gelegen, als gefährliche Konkurrenz für die Garmischer Spielbank erscheine.
Am 10. Mai verließ eine Entschließung des Innenministers das Ministerium am Münchner Odeonsplatz, durch die den Gemeinden Garmisch-Partenkirchen, Bad Reichenhall und Bad Kissingen das Recht eingeräumt wurde, mit den Konzessionsbewerbern über die Bedingungen der Konzessionen zu verhandeln. Der Entwurf einer Spielordnung für die bayrischen Spielbanken war dieser ministeriellen Entschließung beigefügt.
Es spricht für die Wohlinformiertheit des Münchner Spielbankkonsortiums, dass diese Gruppe bereits am 9. Mai über die Ministerentschließung unterrichtet war.
Sie musste aus dieser Ermächtigung, die den Gemeinden erteilt wurde, den Schluss ziehen, dass eine „zentrale Lösung“, wie sie ihr vorgeschwebt hatte, in Bayern nicht mehr möglich war. Die Münchner Gruppe verlegte ihr Interesse also – da hinreichend geklärt schien, dass bei den Gemeinden für das Konsortium keine großen Hoffnungen auf eine Konzession bestanden, weil die Gemeinden schon andere Interessenten an der Hand hatten – nun wieder darauf, den Spielbankplan in Bayern überhaupt zu Fall zu bringen.
Helfen sollte hierbei wieder der in Spielbankfragen offenbar als omnipotent eingeschätzte Freisehner. Er sollte es nicht ohne Gegenleistung. Die Vereinbarung nämlich, die am 9. Mai 1955 zwischen dem Münchner Spielbankkonsortium und Karl Freisehner sowie dessen Tochter, Frau Ingeborg Wolf, zustande kam, hat folgenden Wortlaut:
„Falls in Bayern keine Spielbanken zustande kommen, insbesondere keine Spielbankkonzession erteilt wird (Ausnahme das bestehende Lindau) und bis zu den Parlamentsferien 1955 durch Kabinettsbeschluss und Landtagsbeschluss die bisherigen positiven Beschlüsse über Errichtung von Spielbanken in Bayern wieder aufgehoben werden und Beschlüsse gefasst werden, wonach keine Spielbanken errichtet werden sollen, erhält Herr Freisehner beziehungsweise, wenn er es wünscht, Frau Wolf oder die Cosmos GmbH. (eine Freisehner-Firma) durch das Münchner Spielbankkonsortium oder durch dessen Vermittlung ein unverzinsliches Darlehen von 260.000 DM, in Worten zweihundertsechzigtausend Deutsche Mark. Hiervon sollen seitens des Geldgebers sofort zirka 60.000 DM zur Abdeckung der Verbindlichkeiten der Cosmos GmbH. beim Bankhaus August Lenz & Co. verwendet werden.
Diese Vereinbarung betrifft nicht die sogenannten „Petit Roulette“ oder ähnliche derartige Umgehungsspiele, sondern nur staatlich konzessionierte Spielbanken nach Maßgabe des Reichsgesetzes vom 14. Juli 1933.
„Im obigen Fall werden die bisher mit Herrn Freisehner und Frau Wolf bestehenden Vereinbarungen, insbesondere der Vertrag vom 17. Februar 1955 und frühere Konsortialvereinbarungen, aufgehoben. Das obengenannte unverzinsliche Darlehen ist innerhalb einer Woche nach Vorliegen aller obengenannten Voraussetzungen, also wahrscheinlich des Landtagsbeschlusses, zur Zahlung fällig.“
Von einer Rückzahlung ist in der Vereinbarung keine Rede. Freisehner unterzeichnete im eigenen Namen sowie in Vollmacht seiner Tochter. Das Münchner Spielbankkonsortium band sich durch die Unterschrift seiner Herren Otto Schmitz und Hubert Thelen an diese Abmachungen, deren tieferen Sinn der Rechtsberater des Bankhauses Lenz & Co., Rechtsanwalt Oehl, überraschend so deutet: „Herr Freisehner sollte eine Entschädigung haben, falls er wegen eines generellen Spielbankverbotes nicht hätte so zum Zuge kommen können, wie es das Konsortium im Februar mit ihm vereinbart hatte.“
Inzwischen lag dem Landtag nämlich ein Antrag vor, die Spielbanken in Bayern doch wieder zu verbieten. Freisehner, der Mann mit den vielen politischen Verbindungen, stellte den Partner seiner ungewöhnlichen Abmachungen die Sache so dar, dass etliche Abgeordnete, die seinerzeit der Spielbankenkonzessionierung positiv gegenüberstanden, bei der Abstimmung über diesen neuen Verbotsantrag vermutlich krank sein würden und damit ein Spielbankenverbot für Bayern durchaus beschlossen werden könne. Ein solches Verbot war dem Konsortium 260.000 Mark wert. In diesem Zusammenhang kam nicht weiter zur Sprache, dass Karl Freisehner sich andererseits aber schon um die einträgliche Spielbankkonzession für Bad Reichenhall bemüht hatte – so dass in Wahrheit seine finanziellen Interessen immer gewahrt waren, wie der Landtag auch beschließen mochte.
Am 9. Juni nun trafen sich im Café Annast, gleich gegenüber dem Münchner Innenministerium, Karl Freisehner, der Bayernpartei-Abgeordnete Max Klotz und ein Simon Siegfried Gembicki, der sich ernstlich für die Kissinger Spielbankkonzession interessierte.
Seit diesem 9. Juni laufen auch jene Gerüchte um, die der CSU-Abgeordnete Hanauer schließlich im Landtag wiedergab – ohne allerdings die Namen der Beteiligten und die näheren Umstände zu nennen -, dass nämlich Freisehner seinem Gesprächspartner Klotz bei dieser Unterredung 30.000 Mark zur Weiterleitung an Mitglieder einer Partei übergeben habe. Der Abgeordnete Klotz, dem dieser Vorwurf nicht unbekannt ist, sagt aber: „Diese Besprechung hatte Freisehner angeregt, um mich mit Gembicki bekannt zu machen. Ich hatte nämlich in der Fraktion immer Bedenken gegen Gembicki, und die wollte Freisehner beseitigen. Im Verlaufe des Gespräches ist wohl erwähnt worden, dass Gembicki 30.000 Mark in München im Tresor habe, aber gegeben wurde gar nichts.“
Einen Tag nach diesem Treffen im Café Annast gegenüber dem Innenministerium zwischen Freisehner, dem Bayernpartei-Abgeordneten Klotz und Gembicki erteilte Klotzens Parteifreund Innenminister Geislhöringer – ganz im Gegensatz zu Freisehners Abmachung mit dem Münchner Spielbankkonsortium – zur allgemeinen Überraschung plötzlich die Konzessionen.
Zum Zuge gekommen war in Bad Reichenhall überraschenderweise als Konzessionär Frau Gerda Heidtmann, die Gattin des Kommanditisten der Homburger Spielbank. Ausgerechnet Freisehners Schwiegersohn Dieter Wolf wurde kaufmännischer Direktor der Spielbank, während Karl Freisehner selbst durch seinen Schwiegersohn Wolf für sich feststellen lässt, er habe nicht den kleinsten Anteil von Reichenhall im Besitz.
Angesichts der Zusagen, die Freisehner einlösen wollte, sobald er Konzessionär von Reichenhall sei, halten seine verschiedenen Partner von gestern diese Regelung für recht zweckmäßig.
Um die Werbung für Bad Reichenhall in den richtigen Händen zu wissen, übertrug die Spielbank die Werbeleitung Freisehners langjährigem Landtagsbekannten Lenz G. Rainer, der ehedem als Fraktionssekretär der Bayernpartei im Münchner Landtag gewirkt hatte.
In Garmisch kam der Wiesbadener Bankprokurist Carl Theodor Stöpel zum Zuge und nicht das Münchner Spielbankkonsortium. Man erklärt dies in München damit, dass Stöpel bereit gewesen sei, auf die weitgespannten Bedingungen der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen einzugehen, wozu die rivalisierende Münchner Gruppe nicht in diesem Umfange bereit war.
Dass die Vermittlertätigkeit des in politischen wie auch in Wirtschaftskreisen gleichermaßen bekannten Ex-Reichsministers Gottfried Reinhold Treviranus2 dem Garmischer Konzessionär dienlich gewesen sei, wird von allen Kennern der örtlichen Entwicklung betont. Treviranus ist Bevollmächtigter des hinter Stöpel stehenden Mainzer Bankhauses Bamberger & Co.
In Bad Kissingen endlich kam Simon Gembicki, der dritte Mann aus der Besprechung im Café Annast, zum Zuge, der selbst von ernsthaftesten Konkurrenten nicht mehr aus dem Felde zu schlagen war, nachdem er die Stadträte der CSU und der Freien Bürgerschaft, die in Kissingen den Stadtrat ausmachen, bei seinem Antrittsbesuch zu Jahresbeginn schon mit einer Empfehlung des Bad Homburger Oberbürgermeisters Horn überrascht hatte.
Gembickis Gattin, nebenbei Besitzerin des Rennstalls Elge in Bad Homburg, persönlich haftende Kommanditistin der Spielbank, und Gembicki selbst zögerten nicht, als der Endkampf um die Konzessionen entbrannte, eine Bestätigung des früheren hessischen CDU-Vorsitzenden Dr. Hilpert zu präsentieren, der dem smarten Spieler unter dem Datum vom 17. Mai 1955 attestierte, er habe „ihn allenthalben als einen zuverlässigen und Deutschen gegenüber sehr aufgeschlossenen Mann kennengelernt3 , der vor allem für die Bestrebungen der Christlich-Demokratischen Union wie aber auch für alle karitativen Zwecke stets tiefes Verständnis zeigte“.
Was sonst noch für Bayern von Belang sein konnte, bestätigte am gleichen Tag der Kaplan Einig aus Frankfurt am Main (Süd): „Frau Gembicki ist römisch-katholischer Konfession. Die beiden Kinder sind katholisch getauft und werden katholisch erzogen. Familie Gembicki nimmt am religiösen Leben der Pfarrei teil und unterstützt unsere karikativen Anliegen. Beide Kinder besuchen unseren Gemeindekindergarten.“ Solche Leumundszeugnisse können in schwierigen Fällen noch durch handschriftlichen Dank und Gruß des Kardinals Frings abgerundet werden.
Der Darlehens-Vertrag, den das Münchner Spielbankkonsortium mit Karl Freisehner geschlossen hatte, ist nun also gegenstandslos geworden, denn es gelang nicht, die Errichtung von Spielbanken in Bayern zu verhindern. Dass Karl Freisehner deswegen finanzielle Schwierigkeiten haben würde, war jedoch keine Sekunde zu erwarten. Unter anderem hat er von einer Interessentengruppe, die eine Konzession für Bad Wiessee haben wollte – wo es auf Anordnung des Innenministers dann gar keine Spielbank gab -, 30.000 Mark für seine Bemühungen bekommen.
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1 Da ein Untersuchungsausschuss gebildet werden muss, sobald mehr als ein Fünftel der bayrischen Abgeordneten es fordert, und da die CSU als stärkste Fraktion des Bayrischen Landtags über weit mehr als ein Fünftel der Abgeordneten verfügt, darf es als sicher gelten, dass der Ausschuss in einigen Wochen seine Arbeit aufnimmt.
2 1930 bis 1931 Reichsminister – zunächst für die besetzten Gebiete, später ohne Geschäftsbereich – im Kabinett Brüning I, vom 9. Oktober 1931 bis 30. Mai 1932 Reichsverkehrsminister im Kabinett Brüning II.
3 Gembicki kehrte nach Kriegsende als Staatenloser aus der Emigration zurück und war zunächst „Assistant Town Mayor“ in Frankfurt am Main.
Der Spiegel 42 vom 12. Oktober 1955, 14 ff.