Materialien 1955

Geschehen/Gesehen

40 Mark Wochenlohn für Stenotypistin

Ein bekanntes Münchner Musikhaus stellte eine 31jährige Stenotypistin vorübergehend für Hilfsarbeiten ein, um sie dann nach 2 Monaten als Stenotypistin weiterzubeschäftigen. Nach dem Einzelhandelstarif hätten der Kollegin 277.- DM monatlich zugestanden. Sie erhielt jedoch wöchentlich weiterhin nur DM 40.- und wurde auch nicht ihrer Tätigkeit entsprechend in die Angestelltenversicherung umgemeldet. Auf diese Weise glaubte diese feine Firma auch um die Weiterzahlung des Gehaltes während der Krankheit herumzukommen. So erhielt die Kollegin für die Zeit ihrer dreiwöchigen Arbeitsunfähigkeit lediglich 52 Mark von der Krankenkasse. Erst die Gewerkschaft klopfte diesem „angesehenen“ Arbeitgeber mit Erfolg auf die Finger. Die Kollegin schied selbst fristlos aus und erhielt den vorenthaltenen Gehalt nachbezahlt. Wahrscheinlich stände es dafür, auch die Gehaltsverhältnisse der verbliebenen Angestellten einer Kontrolle zu unterziehen.

Lehrlinge helfen sich selbst

Ein angeblich „patriarchalisch“ geleitetes altes Schuhhaus in München pflegt besondere Lehrlingsausbildungsmethoden. Die 10 Lehrlinge sind grundsätzlich in erster Linie für Putz- und Hilfsarbeiten da. Zum Verkauf werden sie nur in unumgänglichen Fällen herangezogen. Dafür dürfen sie um so länger im Staub des Schuhlagers packen, schlichten und aufräumen. Um die Arbeitszeit nicht zu kurz kommen zu lassen, stellt der Inhaber persönlich die Geschäftsuhr verstohlen um eine viertel Stunde zurück. Als dies an einem Samstag wieder geschah und die Lehrlinge erst auf dringliche Vorstellung endlich um 19 Uhr nach Hause gehen durften, beschlossen sie, sich auf ihre Weise schadlos zu halten. Sie kamen geschlossen am Montag früh statt um 8 Uhr erst um 9 Uhr ins Geschäft. Allerdings versicherten sie sich gleichzeitig der Hilfe der Gewerkschaft, die daraufhin die Manieren dieses“ väterlichen“ Berufsausbilders unter die Lupe nahm und beim Gewerbeaufsichtsamt die Abstellung dieser sonderbaren Methoden veranlasste. Aus der Selbstwehr der Lehrlinge versuchte der Chef vor den Gewerkschaftsvertretern sogar eine Tugend seines Hauses zu machen. Die Lehrlinge hätten für die verlängerte Samstagsarbeit von ihm aus „freiwillig“ am Montag früh später anfangen dürfen.


Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München, unpag.