Materialien 1955
Man kann sich heute gar keine rechte Vorstellung mehr darüber machen ...
wie das damals war, was es da alles an Zensur gegeben hat, welche Filme bei uns tatsächlich verbo-
ten waren. “Rom, offene Stadt” von Rossellini war z.B. jahrelang verboten, weil dieser Film die Wehrmacht in einem ungünstigen Licht erscheinen ließ. Das ist natürlich so nicht als der offizielle Verbotsgrund angegeben worden. Der offizielle Verbotsgrund lautete, dass die guten Beziehungen zu Italien gestört werden würden, wenn ein Film in Deutschland laufen würde, in dem man angeb-
lich sehen konnte, wie schlecht die Italiener von der Wehrmacht denken. Solche Verbotsfälle hat es serienweise gegeben. Es gab natürlich auch Fälle von Selbstzensur oder Rücksichtnahme auf ir-
gendwelche Interessen wie z.B. die Kirche. Es gab meinetwegen Filme, die damals aus den ver-
schiedensten Gründen und den verschiedensten Rücksichten heraus wirklich auf die Hälfte zusam-
mengekürzt worden sind. Da ist z.B. eine Arbeitskopie beim bischöflichen Dekanat vorgeführt wor-
den, wo den Leuten dann gesagt worden ist, was von kirchlicher Seite aus alles nicht passte. Da-
raufhin wurde dann dieses und jenes aus den Filmen herausgenommen, bis meistens nur noch ein Torso übrig war. Dieser Aspekt hat uns wirklich interessiert, ebenso wie daneben natürlich auch die politischen Implikationen in den Filmen selbst. Wir waren z.B. der Ansicht, dass das ganze westdeutsche Kino der Adenauer-Zeit vollkommen autoritär geprägt war. Selbst dann, wenn mani-
fest nicht direkt politische Inhalte vorgekommen sind, wie meinetwegen in all den Arztfilmen, stellten wir doch fest, dass z.B. diese Ärzte immer autoritäre Figuren waren, die freilich wie z.B. Sauerbruch als Denkmal hingestellt worden sind. Diesen regelrechten Hagiographien haben wir sehr wohl eine autokratische Tendenz nachgesagt. Wir wiederum wurden ob solcher Aussagen kritisiert in der Öffentlichkeit, weil das ja angeblich ganz unpolitische Filme gewesen seien. Neh-
men Sie meinetwegen den Film “Stresemann”, der scheinbar für einen demokratischen Politiker Reklame machen sollte, aber dabei total autoritär strukturiert war.
Enno Patalas
Enno Patalas, Filmkritiker, im Gespräch mit Simone Stewens im Alpha-Forum, Sendung vom 20. November 2000, BR-Alpha.