Materialien 1956
NS-Literatur - ministeriell empfohlen?
Bayern hat als einziges Land der Bundesrepublik einen „Staatlichen Prüfungsausschuss für Schülerbüchereien“, eine Einrichtung, die dem Kultusminister beratend zur Seite steht und prüft, was unsere Jugend lesen soll und was nicht. Die Ergebnisse solcher Begutachtung werden dann im Amtsblatt des Ministeriums veröffentlicht, damit auch der letzte Lehrer in der Provinz etwas Ministerielles in der Hand hat, auf das er sich berufen kann, wenn er etwa ein neues Werk von Hans Friedrich Blunck, dem Präsidenten der weiland NS-Reichsschrifttumskammer, in seine Schulbibliothek einstellt. Auch andere Größen werden ihm wärmstens empfohlen, die im Dutzendreich mithalfen, „Literatur“ zu machen. Einstige Hitlerjugend-„Dichter“ fehlen ebensowenig auf der Titelseite wie nationalsozialistische Rassenforscher.
Was, so fragt man sich betroffen, haben sich die Herren des Prüfungsausschusses eigentlich gedacht, als sie die Bücher solcher Autoren mit brauner Vergangenheit zur geeigneten Lektüre für Schüler erklärten? Nichts, so möchte man hoffen, obwohl der Umstand, dass auch Bücher über die „Heldentaten“ der Göringschen Luftwaffe und anderer Fliegergeschichten im Titelverzeichnis nicht fehlen, den vagen Verdacht nährt, die Prüfungskommission sei nicht ganz frei von Opportunismus.
Die wackeren Pädagogen, die dem ministeriellen Komitee angehören, würden, zur Rede gestellt, eine solche Unterstellung vielleicht mit Entrüstung zurückweisen. Sie sind ja nicht etwa Literaturexperten, und ihre Aufgabe beschränkt sich nach den Richtlinien des Ausschusses auf die Beurteilung: ob die zu prüfenden Bücher nach Inhalt und Ausstattung untadelig sind. Leineneinband, Goldschnitt, saubere Typographie, gefällige Illustrationen — und das ganze nicht allzu teuer. Und schließlich – so werden die Verantwortlichen argumentieren -, wie sollen sie auch andere und bessere Bücher empfehlen, da ihnen doch die Mittel zur Anschaffung von Prüfungsexemplaren fehlen und sie nur auf Titel angewiesen sind, die ihnen die Verlage unaufgefordert einsenden?
E.A.T.
Metall. Zeitung der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland 14 vom 18. Juli 1956, 5.