Flusslandschaft 1956

Nazis

„Rund 85 Prozent der mittleren und hohen NSDAP- und SS-Führer erhalten, soweit sie vor 1933 Beamte waren, schon wieder ihre vollen Pensionen und haben außerdem erhebliche Nachzahlun-
gen bekommen, teilte Staatssekretär Weishäuptl vom bayrischen Arbeitsministerium mit. Eine Aufschlüsselung der Monatspensionen ergebe, dass rund 30 Prozent 500,- DM, 18 Prozent 1.000,- DM Pensionen erhalten.“1

Am 4. März protestiert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) im Hofbräuhaus am Platzl gegen die skandalösen Urteile im Penzberger-Mordnacht-Prozess. Professor Endes fragt in seiner Rede, ob „dieser Hitler-Oberst Ohm“ habe freigesprochen werden müssen, damit er in der neuen Armee wieder Verwendung finde. Am 24. März demonstrieren zweihundert Leute, unter ihnen Kriegsversehrte, vor dem Wehrbezirkskommando in der Seidlstraße.

Im April unterbreitet der CDU/CSU-Fraktionsvorstand Kanzler Konrad Adenauer den Vorschlag, Staatssekretär Hans Josef Maria Globke, in der NS-Zeit Mitverfasser und Kommentator der „Nürn-
berger Rassegesetze“ und von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramtes, noch vor der Wahlkam-
pagne 1957 als Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu bestellen:

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Draußen vor der Tür: „Was wollen Sie?“ „Verzeihen Sie, ich bin die Bundesverfassung.
Ich wollte mal fragen, ob Sie mich auch in Schutz nehmen können!“

Die Lagergemeinschaft Dachau trifft sich am 28. April im Salvatorkeller am Nockherberg. Es sprechen ehemalige KZ-Häftlinge aus Italien, Frankreich, Österreich und der BRD. Professor Endes greift die Schreibtischtäter Hans Globke und Otto Bräutigam an, die wieder hohe Ämter innehätten. Am Ersten Mai spricht vor 60.000 Menschen IG Metall-Vorstandsmitglied Fritz Strohtmann auf dem Königsplatz: Der Nationalsozialismus sei kein bedauerlicher Zufall gewesen. Man müsse weiter sehr wachsam sein.

Im Amtsblatt des Kultusministeriums werden den Lehrerinnen und Lehrern Bücher empfohlen, deren Autoren eine mehr als zweifelhafte Vergangenheit aufweisen.3

„‚Hakenkreuz am Stahlhelm’ – Die bayerische Wochenzeitung ‚Die Südpost’ veröffentlichte eine Notiz, die uns allen zu denken geben sollte. So heißt es: ‚Der Stahlhelm, Frontkämpferbund mit unrühmlichster Tradition, vereidigt neue Mitglieder unter der „alten Kriegsflagge“ und bezeichnet führende Funktionäre als „Gauleiter“. Das bayerische Innenministerium hat nun eine Überprüfung dieser höchst überflüssigen Organisation auf ihre weitere verfassungsmäßige Zulässigkeit eingelei-
tet.’ – Hoffentlich zeitigt dieses Unterfangen baldigen und gründlichen Erfolg. Diese Ewig-Gestri-
gen scheint überhaupt nichts anderes zu bewegen, als Deutschland wieder in ein waffenstarrendes Lager verwandelt zu sehen. – Liebe Kollegen! Diese Vorkommnisse sind keine Bagatellen mehr oder gar nur ein böser Alptraum, sondern Tatsachen. Es ist höchste Zeit, diesen Parasiten unserer jungen Demokratie endgültig ihr Handwerk zu legen. – Der Gewerkschaftsbewegung – im Stre-
ben für sozialen Fortschritt und einen gesicherten Lebensabend – soll nicht wieder aufs neue ein Bein gestellt werden, um mühevoll Erbautes der Zerstörung erneut preiszugeben. Herbert Schön-
ke, München“4


1 Süddeutsche Zeitung vom 10./11. März 1956.

2 Zeichnung: Josef Sauer im Simplicissimus 38 vom 22. September 1956, 601.

3 Siehe „NS-Literatur — ministeriell empfohlen?“.

4 Metall. Zeitung der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland 21 vom 24. Oktober 1956, 15.