Materialien 1957

Kein Platz für die Wahrheit?

Niemand hat seinerzeit verstehen können, welche Gründe die Bundesregierung hatte, gegen die Vorführung des französischen Films „Nacht und Nebel“ in Cannes durch den deutschen Botschafter in Paris protestieren zu lassen. Es waren ja nicht unterschiedslos und summarisch die Deutschen, die hier angeklagt wurden, sondern das Naziregime, jene Verbrecher, die 1933 einen in der Weltgeschichte beispiellosen Massenmord vorbereiten halfen und die Unmenschlichkeit von Jahr zu Jahr skrupelloser zur Richtlinie ihrer verwerflichen Politik erhoben. Seit dem Ende der Schreckenszeit sind zwölf Jahre vergangen. Wer wollte aufstehen und behaupten, dass kein Grund mehr bestehe, uns zu erinnern? Schweigen löscht die Schmach nicht aus. Die Tatsachen waren furchtbar genug, und es würde uns nur ehren. sie niemals aus dem Gedächtnis zu verlieren, auch um unserer Kinder und ihrer Zukunft willen.

„Nacht und Nebel“, mit dem Text von Jean Cayrol, ist eine gültige, in keiner Einzelheit übertreibende, so objektiv wie möglich gehaltene Dokumentation, ein stück Historie, die für immer durch die Konzentrationslager und ihre unglücklichen Opfer gekennzeichnet ist. Die Knochen der Vergasten, Verhungerten, Hingerichteten türmen sich vor dem Räumpflug zu Hügeln und Bergen, und es gibt Augenblicke, wo man glaubt, vor solcher Anhäufung des Grauens ratlos die Augen schließen zu müssen. Es ist alles andere denn ein bequemer, sondern ein an Herz und Nieren gehender Dokumentarfilm. Der Film ist bisher nur in geschlossenen Aufführungen gezeigt worden. Der Millionenmasse der deutschen Kinobesucher aber bleibt er unbekannt. Kein Filmtheater wagte es, ihn öffentlich vorzuführen. Ist kein Platz mehr für die Wahrheit, auch wenn sie so massiv an unser Gewissen schlägt? Oder fehlt es an Mut, ein Stück der deutschen überwundenen Vergangenheit, von der sich unsere heranwachsende Schuljugend selbst keine Vorstellung machen kann, in aller Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen?

Metall. Zeitung der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland 6 vom 20. März 1957, 10.
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“Kein Platz für die Wahrheit?“

Unter der Rubrik „Angekreidet“ habt Ihr Euch dankenswerterweise in dem Artikel „Kein Platz für die Wahrheit“ mit dem Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ beschäftigt.

Im Luitpold-Kino München (einem der schönsten und größten Kinos Münchens) wird dieser Filmstreifen kostenlos gebracht. Die Unkosten übernimmt sehr wahrscheinlich die Besitzerin. Ist das nicht sehr anerkennenswert?

J. Knes, München


Metall. Zeitung der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland 8 vom 17. April 1957, 11.

Überraschung

Jahr: 1957
Bereich: Gedenken

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