Materialien 1958

Münchens unwirtliche Gastwirte

Bald nur noch exquisite Lokale und Selbstbedienungsgaststätten?
GK, München

Die Gastronomie Münchens und des oberbayerischen Landes genießt bei den Einheimischen und Fremden gleichermaßen hohes Ansehen. Daran ist nicht zu rütteln. Weißwürste, Schweinshaxe mit Kraut und Knödl, warmer Leberkäs und Brathendl sind bayerische Nationalgerichte, die auch in der Fremdenverkehrswerbung ihre Wirkung nicht verfehlen.

Im Augenblick allerdings sieht es so aus, als stünden den bayerischen „Schmankerln“ schlechte Zeiten bevor … Viele Gastwirte sehen sich nämlich in Kürze zu einer Maßnahme genötigt, die – sollte sie sich allgemein durchsetzen – den Ruf Bayerns als gastliches Land erheblich mindern würde:

1. Die Abgabe warmer Speisen muss auf die Mittag- und Abendstunden beschränkt werden. Die Gaststätten sehen sich gezwungen, den Arbeitszeitbedingungen durch ein weniger umfangreiches Speisenangebot Rechnung zu tragen.

2. Stundenweise Betriebsschließungen werden sich als notwendig erweisen.

3. Die Gaststätten werden einmal in der Woche wechselweise einen Ruhetag einführen.

Diese „Drei-Punkte-Proklamation“ wird unter der fettgedruckten Überschrift „Eine Bitte an unsere Gäste“ zur Zeit vom Landesverband für das bayerische Hotel- und Gaststättengewerbe an seine Mitgliedsbetriebe verteilt. Der Verband empfiehlt, das Plakat in den Lokalen an gut sichtbarer Stelle anzubringen. Ein paar erläuternde Sätze sollen dem Gast Verständnis für die beschränkte Bewirtung entlocken.

Als Begründung führt der Verband die „unaufhaltsame Personalabwanderung“ an, die im gastronomischen Gewerbe infolge der 5-Tage-Woche und des Ladenschlussgesetzes um sich greife. Der Koch und das Serviermädchen verlangten „soziale Gleichstellung“ mit den übrigen Arbeitnehmern. Eine Abgabe von warmen Speisen zu jeder Tagesund Nachtzeit müsste demnach Preiserhöhungen zur Folge haben. Aber das wiederum möchten die Gastwirte und Hoteliers „im Hinblick auf den guten Ruf der preiswerten bayerischen Küche unter allen Umständen vermeiden“.

Noch sind die Ansichten über diese Maßnahmen selbst im Lager der Wirte geteilt. Die großen Münchener Hotels sagen unumwunden, dass sie da nicht mitmachen können. Ihre Gäste aus aller Welt würden für derartige Einschränkungen kein Verständnis aufbringen. Aber auch die kleinen Wirte sind mit dem Vorhaben ihres Berufsverbandes nicht alle einverstanden. „Wir müssen die Gäste halt immer noch dann bedienen, wenn sie essen wollen, und nicht, wenn es uns passt“, sagt eine resolute Münchener Wirtin. Sie weigert sich entschieden, das Verbands-Plakat in ihrem Lokal aufzuhängen. Der Sachwalter des Münchener Fremdenverkehrs, der sozialdemokratische Stadtrat Karl Erhart, der eigentlich darum besorgt sein müsste, dass Münchens guter Ruf als gastliche Stadt erhalten bleibt, hat indes „volles Verständnis“ für die Forderungen der Gastronomen. Seiner Meinung nach müssen sich die Gäste eben langsam an die Einschränkungen gewöhnen. Im übrigen ist er der Ansicht, dass es in München über kurz oder lang nur noch zwei Arten von Restaurants geben wird: exquisite Lokale mit Ober-Bedienung und Selbstbedienungsgaststätten. Womit das Todesurteil für die gemütlichen Münchener Gasthäuser gesprochen wäre …


Die Zeit 10 vom 6. März 1958.