Materialien 1960

Das Knie allein blieb unverletzt ...

über Will Elfes

Der Vater, ein Eisenbahnschlosser, ist stark, ein Kämpfer aus der katholischen Arbeiterbewegung, bekannt und erfolgreich, aktiv im Reichsvorstand der Zentrumspartei und Mitglied des preußischen Staatsrats. Sein Vorname Wilhelm ist Programm. Schon die Eltern der Eltern sind konservativ bis in die Knochen. Der Kaiser repräsentiert das Reich, den Fortschritt und die Zukunft. Für einen klassenbewussten katholischen Arbeiter ist es selbstverständlich, im Einvernehmen mit der Autorität sich für die Emanzipation seiner Klasse einzusetzen und sich durchzusetzen.

Der am 29. Februar 1924 in Mönchengladbach geborene Will beginnt früh zu verstehen, welche Kämpfe seine Eltern ausfechten. Als die Nazis an die Macht kommen, wird der Vater, der 1927 Polizeipräsident von Krefeld wurde, entlassen. Die Eltern, Elisabeth und Wilhelm Elfes, selbst in schwerer Bedrängnis – der Vater schlägt sich als Handelsvertreter durch – , tun alles für die Ausbildung ihres Sohns. Will macht das Abitur und muss im Anschluss zur Wehrmacht, sehr zum Missfallen der Eltern, erlebt die Kämpfe um Stalingrad, wird viermal verwundet und gerät in Kriegsgefangenschaft. Der Vater ist nach dem 20. Juli 1944 zeitweilig inhaftiert, kann aber vor der Gestapo in letzter Minute fliehen. Die Naziherrlichkeit bricht zusammen. 1945 gehört Wilhelm, der enge Freund Konrad Adenauers, zu den Mitbegründern der CDU, ist federführend bei der Ausarbeitung des Ahlener Programms der Partei: Jetzt soll eine neue Zeit anbrechen.

Wie viele andere Entwurzelte zieht Will mit seinem Freund Adam Rainer Lynen ruhelos durch die Trümmerwüsten eines zerstörten und hoffnungslosen Landes, vergräbt seine Not in seinem Innersten, formt hin und wieder aus Holz und Ton Gestalten, die wandern und vergeblich versuchen heimzukehren. Der Vater fährt an die Düsseldorfer Kunstakademie, im Koffer einige Modelle und zeigt sie. Will hat jetzt einen Studienplatz, zieht aber weiter, ruhelos, versucht ein Studium in Karlsruhe, zieht weiter, baut sich eine Hütte am Rhein. Zu Lynen gesellt sich auch Joseph Beuys. Die drei vom Krieg gezeichneten Freunde halten sich aneinander fest. Will zieht drei Jahre später weiter nach Hamburg, zieht wieder weiter, kommt 1954 nach München. Die ersten Jahre hier kennt er vor allem den Hunger.

Wie sich von einem Übervater lösen, der diszipliniert und nur ein Ziel vor Augen seinen Weg geht? Den Ausweg zeigen Dichtung und Musik. Der Vater begreift, er lässt seinen Sohn. Will, der im Hinterhaus der Wörthstraße 7 wohnt, tritt in Lokalen auf, vor allem im „Komma-Klub“ in Schwabing. (Wie bekannt, ist ja der Punkt das Ende, nach dem fort-schrittlichen Komma geht es immer weiter!) Hier rezitieren bekannte Schauspielerinnen, Lyriker und Erzähler, dazwischen singt Will zur Gitarre selbst vertonte Lieder von François Villon, Brecht, Tucholsky, Kästner und Ringelnatz. Er vertont Balladen seiner Freunde Lynen und H.C. Artmann; es erscheinen Schallplatten, so die „Tucholsky-Platte“ und die „Galgenlieder“ nach Christian Morgenstern. Für öffentliche Einrichtungen der Stadt wird Will ab Anfang der Sechziger Jahre häufiger tätig. Seine Plastiken, vor allem Betonreliefs, sind an Kirchen, Krankenhäusern und Schulen, so an der städtischen Schule in der Dachauer Straße zu sehen. Für das Konzentrationslager in Dachau entwirft er ein Mahnmal. Ein von ihm 1963 gestalteter Kopf von Bert Brecht befindet sich im Archiv des Valentin-Karlstadt-Musäums. In der Großen Münchner Kunstausstellung steht 1964 seine Bronzebüste von Albert Einstein.

Den Weg seines Sohnes vor Augen, waren auch dem Vater Zweifel gekommen. Er ist schließlich ausgestiegen, hat 1951 mit der CDU gebrochen. Wilhelm Elfes opponiert gegen die Westintegration der Bundesrepublik und gründet mit dem ehemaligen Reichskanzler Joseph Wirth den „Bund der Deutschen“, eine Partei, die ein wiedervereinigtes, neutrales und entmilitarisiertes Deutschland anstrebt. Am 6. März 1959 spricht er im Augustiner-Bräu zum Thema „Will Bonn Frieden?“ Der sowjetische Friedensvertragsentwurf sei ein konstruktiver Vorschlag für die Wiedervereinigung Deutschlands. Wilhelms Rhetorik zerpflückt die Bonner Politik, greift die Staatsregierung des Freistaats an, fordert in wuchtigen Sätzen den Weg der Vernunft, wie ihn die Schweiz und Österreich vorgeben: Neutralität zwischen den hochgerüsteten Blöcken, die dominiert sind von der Sowjetunion und von den USA. Später wird Wilhelm aktiv in der „Deutschen Friedensunion“ und in der „Aktion Demokratischer Fortschritt“, vergeblich.

Will findet Vaters Weg besser als den ursprünglichen. Aber es ist nicht seiner. Er lebt in den leisen Worten der Dichter, in ihrer poetischen Nachdenklichkeit, in ihrer Ironie. Und er beteiligt sich an Ausstellungen im In- und Ausland. 1965 erhält er den Schwabinger Kunstpreis.

Das Denken und Fühlen eines ganzen Lebens kreist für ihn um Macht und Ohnmacht und um die sinnlose Existenz uniformierter Befehlsempfänger. Posthum erscheint seine Langspielplatte „Song – Der General“ nach Texten von H.C. Artmann und Gisela Pfeiffers „Attacke der Hähne“: Ein scheinbar allmächtiger General wird hilflos und ist jetzt auf die Unterstützung eines einfachen Soldaten angewiesen.

Von außen verlangte Pflicht bleibt indiskutabel. Auch wenn nur die innere Pflicht erzwingt, das Rechte zu tun, entsteht Unrecht. Erst innere Freiheit ermöglicht, das Rechte wirklich werden zu lassen. Vater, was meinst Du dazu?

Am nächsten sind Will Elfes, der siebenundvierzigjährig am 20. November 1971 in München stirbt, immer die Gedichte von Christian Morgenstern gewesen:

Das Knie

Ein Knie geht einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts!
Es ist kein Baum! Es ist kein Zelt!
Es ist ein Knie, sonst nichts.

Im Kriege ward einmal ein Mann
erschossen um und um.
Das Knie allein blieb unverletzt -
als wärs ein Heiligtum.

Seitdem gehts einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.
Es ist kein Baum, es ist kein Zelt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.


Günther Gerstenberg
Sommer 2009

Überraschung

Jahr: 1960
Bereich: Kunst/Kultur

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