Materialien 1961
Das bestrafte Gewissen
Der peinliche Prozess/Neuer METALL-Report von Bernt Engelmann (II)
„Wir schämen uns für die deutsche Justiz!“ schrieben zwei junge Staatsanwälte aus Hessen. „Mein Glaube an die Rechtspflege ist erschüttert,“ erklärte ein Senatspräsident aus dem Rheinland. Arbeiter, Studenten, Ärzte, Professoren, aber auch Rentner, Lehrlinge, Schüler schickten Geld, die Teilnehmer eines IG-Metall-Lehrgangs veranstalteten eine Sammlung. Und alle Spenden, die auf dem Postscheckkonto München 468 64 des Rechtsanwalts Dr. Betz ein-
gingen (und noch eingehen), tragen den Vermerk: „Für Hans Herrschaft“. Was mag dahinter-
stecken? Nun, so erfreulich diese Beweise für Solidarität und lebendige Demokratie sind, sie drücken zugleich die Empörung über eine Ungerechtigkeit aus, die von unserer Justiz „im Namen des Volkes“ an einem Mitbürger verübt worden ist: an dem Münchener Wirtschaftsberater Hans Herrschaft. Was ihm passierte, kann uns allen geschehen!
Vor sieben Jahren, im Sommer 1960, erhielt Hans Herrschaft ein sehr verlockendes Angebot: Der damals 40jährige, nicht eben auf Rosen gebettete Banatdeutsche, der sich in München eine neue Existenz aufzubauen versuchte, sollte „Generalmakler“ einer Baugesellschaft werden, die an 47 Orten ausgedehnte Grundstücke aufkaufen, erschließen und mit Wohnblocks für amerikanische Armeeangehörige bebauen wollte. Diese Firma, „Finanz-Bau-AG“, kurz FIBAG, genannt, schien über Staatsaufträge im Wert von vielen hundert Millionen Mark sowie über glänzende Empfeh-
lungen zu verfügen. Herrschaft konnte sich ausrechnen, wie gut er dabei verdienen würde.
Doch er wollte zuvor Näheres über Kapital und Hintermänner der FIBAG wissen. Bis März 1961 musste er sich mit vagen Andeutungen begnügen. Dann aber offenbarte ihm ein FIBAG-Teilhaber, dass er an der Firma der Passauer Verleger Kapfinger zu einem Viertel beteiligt worden sei – als Entgelt für das Einbringen „glänzender Beziehungen“ und die „ideelle Förderung“ des Millionen-
projekts.
Herrschaft stutzte. War Kapfinger nicht einer der engsten Freunde von Strauß, der seinerseits damals Verteidigungsminister war und nach dessen Wünschen bei dem ganzen Projekt verfahren werden musste? Und war nicht andererseits die FIBAG, ein bislang unbekanntes Unternehmen, von Strauß mit Empfehlungsschreiben ausgestattet und seinem amerikanischen Kollegen Gates wärmstens ans Herz gelegt worden? Da stimmte doch etwas nicht!
Herrschaft ließ sich noch einiges mehr erzählen. Dann reichte es ihm, sozusagen. Er wollte nicht
in einen Korruptionsskandal verwickelt werden — lieber verzichtete er auf gutes Einkommen! Er sagte der FIBAG adieu und unterrichtete einen ihm bekannten Bundestagsabgeordneten wie auch die Presse.
So kam der Stein ins Rollen, der zur FIBAG-Affäre und zur Einsetzung eines Untersuchungsaus-
schusses führte, vor den Herrschaft als Zeuge geladen wurde. Am 10. April 1962 sollte er in Bonn vor dem Ausschuss aussagen. Doch bis es soweit war, erhielt Hans Herrschaft seltsame Warnun-
gen, Drohungen sowie die Nachricht, dass Minister Strauß verbreite, er, Herrschaft, habe „seltsame Ostkontakte“.
Kassiber an die Presse
Herrschaft ließ sich nicht einschüchtern. Er hatte sich nichts vorzuwerfen! Allen Warnungen zum Trotz fuhr er nach Bonn und machte seine Aussage, die darin gipfelte, ihm sei von zwei FIBAG-Teilhabern glaubhaft versichert worden, der mit 25 Prozent Anteil belohnte „ideelle“ FIBAG-För-
derer Kapfinger sähe sich verpflichtet, seinen zu erwartenden Millionengewinn mit Minister Strauß zu teilen!
Durch diese Aussage eines bis dahin unbescholtenen und rechtschaffenen Mannes schien die Kar-
riere des Ministers Strauß beendet – doch es kam anders: Tags darauf wurde vom Staatsanwalt beim Landgericht München ein Haftbefehl gegen Herrschaft beantragt, vom Richter verfügt und, sobald Herrschaft aus Bonn zurückgekommen war, vollstreckt! Unter dem Verdacht der „Staats-
gefährdung durch illegale Ostkontakte“ kam Herrschaft in Untersuchungshaft.
Während der Wochen, die er dann in U-Haft saß, wurde er nicht ein einziges Mal staatsanwalt-
schaftlich zur Sache gehört oder vernommen. Dagegen nahm ein anderer, für Staatsgefährdung nicht zuständiger Staatsanwalt sich seiner an und riet ihm, eine Ehrenerklärung für Strauß abzu-
geben, wodurch er seine missliche Lage verbessern könne.
U-Häftling Herrschaft lehnte entrüstet ab. Es gelang ihm, mittels Kassibers die Presse von dem seltsamen Angebot der Staatsanwaltschaft zu verständigen. Das löste helle Empörung in der Öffentlichkeit aus.
Am 11. Mai 1962 wurde Herrschaft so unversehens aus der U-Haft entlassen, wie er hineinge-
kommen war. Der Haftzweck war offenbar erfüllt. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Staatsgefährdung nahm seinen Fortgang, und es schleppte sich nun durch die Jahre: Mal war es dies, mal das, was zur Verschiebung der Hauptverhandlung zwang. Und kam doch einmal eine Sitzung zustande, so musste sie vorzeitig abgebrochen werden.
Das ominöse „Protokoll“
So ging es fünf Jahre lang — Minister Strauß war inzwischen vom Untersuchungsausschuss mit knapper Mehrheit einigermaßen rehabilitiert worden, wohl nicht zuletzt, weil der Kronzeuge Herrschaft ja noch immer als „illegaler Ostkontakte verdächtig“ galt und das Interesse der Öffentlichkeit an dem Prozess erlosch.
Seinen einzigen Höhepunkt hatte dieses der bayerischen Justiz nicht eben zur Ehre gereichende Verfahren, als zum Entsetzen aller Beteiligten, die Richter nicht ausgenommen, eines Nachmittags durch Zufall offenbar wurde, worauf sich der einstmals gegen Herrschaft erlassene Haftbefehl rechtlich gestützt hatte: auf nichts!
Die Akten der Staatsanwaltschaft – so wurde peinlich offenbar – hatten nämlich bis zum Tage der Verhaftung aus einem einzigen, die Blätter 2 bis 9 umfassenden Protokoll bestanden, das jedoch einen in der Geschichte der Strafjustiz zivilisierter Völker wohl einmaligen Mangel aufwies: Es war nicht unterschrieben worden – weder vom Vernommenen noch vom Vernehmenden. Ja, es ent-
hielt nicht einmal die Bezeichnung der vernehmenden Behörde, sondern nur am Kopf des ersten Blattes die geheimnisvolle Chiffre L II G.
Es ist in diesem Zusammenhang belanglos (und auch bis heute unbekannt), wer das „Protokoll“ L II G fabriziert hat – kein Rechtsstaat kann anonyme Vernehmungen anonymer Zeugen als Beweis-
mittel gelten lassen! Kein Richter darf, nur auf solche „Beweise“ gestützt, einen Haftbefehl erlas-
sen.
Übrigens – auch in den ganzen Jahren der „Ermittlung“ und im Hauptverfahren konnte der Staatsanwalt nichts Wesentliches gegen Herrschaft zusammentragen. Und schließlich wurde das ganze Strafverfahren sang- und klanglos eingestellt — Kosten zu Lasten der Staatskasse (sprich: der Steuerzahler).
Allerdings – nur die Gerichtskosten sind dem nun endlich rehabilitierten Herrschaft erlassen. Seine eigenen, sehr hohen Anwaltskosten in dem schier endlosen Prozess muss er selbst tragen, ebenso alle geschäftlichen Verluste, die ihm durch die Haft, die jahrelange Diffamierung als „Ostagent“ und die zeitraubenden Vernehmungs-, Beratungs- und Verhandlungstermine ent-
standen sind. Allein damit ist Hans Herrschaft, ohnehin kein Krösus, ein geschlagener Mann.
Doch das ganze finanzielle Opfer, das ihm seine Standfestigkeit in der FIBAG-Affäre abgefordert hat, ist noch weit größer: Die Gegenseite wusste ihn durch weitere Verleumdungen in einen ganzen Rattenschwanz von Zivilprozessen zu verwickeln, zuletzt mit der im Wahlkampf 1965 aufgestellten Behauptung, Herrschaft sei schon Jahre vor der FIBAG-Aussage als Ostagent inhaftiert gewesen.
Herrschaft musste diesen jeder Grundlage entbehrenden Zwecklügen entgegentreten. Zwar ge-
wann er seine Prozesse — aber erst nach langem Instanzenweg und meist nicht vollständig, das heißt: seinen Gegnern wurden in einigen Nebenpunkten „berechtigte Interessen“ zugebilligt, während sie in der Hauptsache verurteilt wurden. In der Praxis bedeutete das, dass Herrschaft zwar insgesamt nur den bei weitem kleineren Teil der Kosten zu tragen hatte. Aber auch das waren — bei auf sechsstellige Beträge festgesetzten Streitwerten — sehr erhebliche Summen.
Hinzu kommt, dass seine Gegner — natürlich stets gut bei Kasse — jeweils die gesamten Ge-richtskosten prompt erlegten. Dadurch wurden sie, wenn Herrschaft im Prozess nur der Haupt-sache nach siegte, mit dem Rest der Kosten automatisch seine Gläubiger — eine für Herrschaft fatale Lage. Denn nun versuchten seine Gegner in durch Verweigerung von Ratenzahlungen in den Ruin und womöglich zum Offenbarungseid zu treiben.
Warum? Gewiss nicht aus unchristlicher Rachsucht, sondern sicherlich aus rein praktischen Erwä-
gungen: Die für Minister Strauß und seine Freunde so peinliche FIBAG-Affäre ist nämlich noch nicht ausgestanden. Noch befasst sich die Bonner Staatsanwaltschaft damit und bereitet eine An-
klage vor. Da wäre es für die Spezis vielleicht besser, wenn Herrschaft, der Hauptbelastungszeuge, die Lust am Kampf verliert. Und womöglich wäre ein prozessmüder, finanziell ausgebluteter Herr-
schaft am Ende gar bereit, sein staatsbürgerliches Gewissen und sein Zeugengedächtnis nicht län-
ger zu strapazieren.
Dreimal Musterbeispiel
Der Fall Herrschaft ist ein Musterbeispiel dafür, wie einer vor Gericht zwar siegen, aber mit zig-
tausend Mark Kosten ruiniert werden kann. Er ist auch ein Musterbeispiel für den Missbrauch der Justiz zu politischen Zwecken und schließlich ein Musterbeispiel für die Leichtfertigkeit, mit der bei uns auf dem Gebiet des „Staatsschutzes“ verhaftet wird.
Zugleich aber ist der Fall Herrschaft auch ein ermutigendes Beispiel für die Standhaftigkeit eines einfachen Bürgers und für die Solidarität Gleichgesinnter, die ihn jetzt durch Spenden auf das Konto seines Anwalts vor dem völligen Ruin bewahren. Eine Justiz, die es so weit kommen lässt, dass der grundlos Verhaftete und schuldlos Verleumdete auf Spenden angewiesen ist, verdient ihren Namen nicht! Sie muss endlich lernen, gerechte, nicht „fiskalische“ Kostenentscheidungen zu treffen. Wo hier „der Hase im Pfeffer liegt“, lesen Sie in der nächsten Ausgabe. (Fortsetzung folgt)
Metall 18 vom 5. September 1967, 16.