Materialien 1961
Der Streit um Ludwig II.
„Dem Bayerland starbst da zu früh …“ —
Wenn Demokraten dem König die Treue wahren
Immer noch aktuelle Frage in München:
Soll Ludwig II. wieder ein Denkmal bekommen?
Am Nachmittag des 13. Juni 1886 stürzte er sich, vierzigjährig, nachdem er drei Tage zuvor seines Thrones entsetzt worden war, unterhalb von Schloss Berg in den Starnberger See – ein hochge-
wachsener, durch unmäßige Völlereien aufgedunsener Mann, dessen anomal kleiner Schädel ein krankes Gehirn barg: König Ludwig II. Ob er Selbstmord verüben oder dem Irrenarzt Dr. Gudden entfliehen wollte, der ihn zu betreuen hatte und ihn auf diesem Spaziergang begleitete (und mit ihm den Tod in dem kaum brusttiefen Wasser fand), bleibt eine nie zu klärende Streitfrage.
Die „einsame Majestät“
Seither geht der Vers um: „Dem Bayerland starbst du zu früh, dein treues Volk vergisst dich nie.“ Rank und schlank, zwischen Fackelträgern im üppig geschmückten Schlitten einherjagend, als
ein bildschöner, majestätischer Einsamer, der, umzingelt von seinen Hofschranzen, romantische Schlösser errichtete und dorthin entwich, wenn er die Kamarilla nicht mehr zu ertragen vermoch-
te, so ist der „Märchenkönig“ Ludwig II. in die Erinnerung seines treuen Volkes eingegangen – des Volkes, das er als „Phäaken“ tief verachtete und von dem er sich nach Möglichkeit isolierte.
Seine Vor- und Nachfahren auf dem bayerischen Königsthron waren fast durchweg quasi bürgerliche Gestalten gewesen, wohlgelitten in den Straßen Münchens, in denen sie sich ebenso selbstverständlich wie unauffällig bewegten; persönlich sparsam, aber splendid, wenn es galt, etwas zum Wohle der Untertanen zu unternehmen; vielseitig interessiert und immer in frucht-
barem Kontakt mit Künstlern, Gelehrten, Kaufleuten, Handwerken. Er, Ludwig II., brachte sein Land an den Rand des Bankrotts. Seine Schlösser, ausschließlich für ihn allein gebaut, zeugen nicht gerade von einen kultivierten Geschmack. Sein Volk sah ihn kaum, die Staatsgeschäfte kümmerten ihn wenig, Richard Wagner betete er an (und dieser ihn). Bismarck finanzierte ihn
mit einigen Millionen aus dem Welfenfond, die er ohne Scheu entgegennahm: von patriotischen Bayern wird noch heute hitzig bestritten, daß diese Zuwendungen in direktem Zusammenhang mit der Tatsache standen, daß der König von Bayern durch ein von Bismarck entworfenes Schreiben an die deutschen Fürsten den Anstoß zur Übertragung der Kaiserwürde an Wilhelm I. gab.
Der Streit um Ludwig II.
Damals grollte ihm sein Volk, aber seine Absetzung und sein Tod verklärten ihn. Wer heutzutage die Leserbriefspalten der Münchner Zeitungen liest, findet rührend-naive Episteln, in denen die Verdienste sämtlicher bayerischer Könige summiert, potenziert und Ludwig II. zugeschrieben werden. Die ihm gewidmeten schriftlichen Apotheosen sind schier beispiellos. Aber auch Gedenk-
gottesdienste, Trauerfeiern und Ludwig II.-Ausstellungen finden ein nach Tausenden und Zehn-
tausenden zählendes, begeistert-ergriffenes Publikum, darunter immer wieder prominente sozialdemokratische Funktionäre.
Dass die Münchner Zeitungen mit Briefen und Artikeln über den „Märchenkönig“ stets aufs neue an ihn erinnern, liegt daran, dass die Landeshauptstadt kein Denkmal Ludwigs II. aufweisen kann. Das einzige Monument wurde während des Krieges zum Zwecke der Einschmelzung abmontiert. Wunderlicherweise blieb der Kopf erhalten; er gelangte vor einiger Zeit nach München, und seither erhallt der Schrei nach einem neuen Denkmal.
Gipsmodell zu Probezwecken
So einig sich aber das bayerische Volk in seiner Verehrung für diesen König ist, so uneinig sind
sich die Münchner über sein Andenken in Stein oder Bronze. Der „König-Ludwig-Jugendclub“ – Vorsitzender Hans Heindl: „Manche unserer Mädel verehren Ludwig II., weil er ein so überaus schöner Mensch war“ – wünscht das Denkmal wieder am alten Platz, auf der Corneliusbrücke. Es gibt aber erbitterte Gegner dieses Standorts, und zwar mit folgenden Argumenten: Das Wasser unter der Brücke erinnere an seinen Tod, ein in der Nähe befindliches Gefängnis an die ihm kurz zuvor widerfahrene Schmach.
Der „Verein zur Wiedererrichtung eines Denkmals für König Ludwig II. von Bayern e.V. München“ rief zu einer Spendenaktion auf. Der Münchner Bildhauer Fritz Behn erstellte ein 3,60 Meter hohes Gipsmodell, der Verein plazierte es probeweise an der Prinzregentenbrücke. Dagegen protestierte nicht nur sofort und zwar mit Recht aus architektonisch-ästhetischen Gründen – die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, sondern auch die „Vereinigung dem Ge-
denken König Ludwigs II. von Bayern“. Der gefiel zunächst einmal das Modell nicht und dann schon gar nicht der Standort; der Prinzregent, dem die Brücke gewidmet ist, gilt nämlich als Gegner Ludwigs II.
Die „Vereinigung Ludwig II. – Deine Treuen“ wiederum zeigte sich glücklicherweise mit der Aktion des „Verein zur Wiedererrichtung eines Denkmals für König Ludwig II. von Bayern e.V. München“ einverstanden, nicht aber der „Jugendclub“, der sein „Befremden über die wesensfremde Darstel-
lung“ des Gipsmodells laut kundtat und seinen eigenen Plan außerdem billiger durchzuführen versprach. In die erregten Debatten der vier Vereine hinein platzten Briefe an die Zeitungen, in denen Münchner und Nichtmünchner schüchtern versuchten, Wahrheit und Legende über Ludwig II. voneinander zu trennen. Ein Hagel von beleidigenden Repliken erstickte derartige „Anmaßun-
gen“ im Keime.
Im Herbst 1960 kam es zu einer Art Einigung. Das gerettete Haupt des Königs sollte, so wurde beschlossen, dort angebracht werden, wo einst das dazugehörige Monument stand, auf der Corneliusbrücke. Das Gipsmodell, inzwischen vom Chef des Hauses Witteisbach gutgeheißen, würde, in Erz neugeformt, bei der Prinzregentenbrücke das Andenken an den König wachhalten. So sei der „unselige Streit um eine bleibende würdige Verehrung Ludwig II.“ endlich begraben, so wurde bekanntgegeben.
Jetzt an der Isar?
Er war es keineswegs. Kurz vor der Jahreswende schlug der Präsident der Schlösser-, Gärten- und Seenverwaltung einen neuen Standort für das Behn-Denkmal vor, in den schönen Anlagen an der Isar. Die Proteste kamen sofort. Das Monument dürfe auf keinen Fall „versteckt zwischen Bäumen und Büschen“ stehen, sondern mit Ausblick auf die Stadt. Demzufolge müsste also eine Schneise
in die Anlage geschlagen werden, worüber die nichtmonarchistischen Münchner, die sehr an den alten Bäumen hängen, in Rage gerieten. Der „Jugendclub“ fühlte sich außerdem benachteiligt und sparte nicht mit Seitenhieben gegen alle.
Kurios an der ganzen Auseinandersetzung ist nur eins: dass nämlich Mittel für ein noch so pompöses Denkmal des „Märchenkönigs“ längst reichlich vorhanden sind, nicht bloß dank der Spendenaktion, sondern auch im Haushaltsplan der Stadt München. Aber sie müssen dort von Jahr zu Jahr übertragen werden, weil sich die Ludwig II.-Patrioten untereinander nicht einig werden können.
Otto von Loewenstern
Die Zeit 11 vom 10. März 1961.