Materialien 1961
Psychopater Leppich
„Jungfrau“ – ein Wort, das heute ein paar geile Dreckfinken in den Müllkasten geworfen haben, das unmodern und muffig geworden ist! Ein Wort, das in Deutschland bereits keinen Pfennig mehr wert ist! Wisst ihr auch, dass ein Volk zugrunde gehen muss, wenn es seine Jungfrauen nicht mehr heilig hält?
Ein sauberer Mann, der noch betet, bekommt von Gott die Kraft der Selbstbeherrschung. Er be-
darf der geschlechtlichen Anstachelung nicht, er lehnt sie aus gesunden, natürlichen Gründen, vor allem aber aus seiner Bindung an Gott ab. Nur die ausgemergelten Kerle, die mit achtzehn Jahren schon Geschlechtsverkehr hatten, sind bereits mit fünfundzwanzig … verlebt und abge-
wirtschaftet …
Der Mann, der sich öffentlich solche und ähnliche Gedanken über das Intimleben seiner Mitmen-
schen macht, heißt Johannes Leppich. Als „Pater Leppich“ ist er der Bevölkerung westdeutscher Großstädte bekannt, auf deren großen Plätzen er regelmäßig in Massenveranstaltungen als Seelen-
masseur aufzutreten pflegt, um – mit einem Aufwand an Rhetorik, die dem verstorbenen Partei-
redner Goebbels Ehre machen würde – die vom Weg der Tugend abgeratenen Zeitgenossen in den Schoß der (katholischen) Kirche zurückzuführen. Aber auch vor führenden Männern „der Regie-
rung, der Politik, der Verwaltung, der Behörden und der Betriebe“ hält er (nach eigener Aussage) Vorträge, und wenn es auch auffällt, dass er die „Männer der Regierung“ trennt von den Männern, die Politik machen, so ist doch als wahrscheinlich anzunehmen, dass er ihnen vieles zu sagen hat. Weitere Betätigungen des Paters sind: „pädagogische Vorträge vor Lehrern und Erziehern“, aske-
tische Vorträge „für alle Ordensfrauen der Stadt“, in der er sich gerade befindet, Vorträge vor Juristen, „und als Gegenstück dazu spricht er gern in den Zuchthäusern Deutschlands“.
Gelegenheit, den Mann näher kennenzulernen, der sich solche Mühe mit dem Seelen- und Ge-
schlechtsleben der westdeutschen Bevölkerung macht, bietet das im Düsseldorfer Bastions-Verlag erschienene Taschenbuch „Pater Leppich spricht - 3 x Satan“. Gedruckt mit kirchlicher Drucker-
laubnis, erreichte es inzwischen eine Auflage von 145 Tausend Exemplaren. Die Gesamtauflage aller Leppich-Bücher soll bei 700.000 liegen (der Verlag: „Im vergangenen Jahr verkauften wir rund 170.000 Bücher, alle drei Minuten wurde also ein Pater-Leppich-Buch gekauft“).
„Die Freiheit, ein Schwein zu sein, ist doch keine Freiheit“, so lautet der Schlachtruf des mit sol-
chen Lorbeeren des Erfolges ausgestatteten Paters. Wir wollen sehen, was er damit meint. Den Teufel erblickt er also in der „satanischen Freiheit“ des
„Liberalismus: Der Mörder, der Gangster, der schriftstellerische Wüstling, der Profitgierige in der Unterhaltungsindustrie – alle berufen sich auf die Freiheit.“
Da kommt der Jesuitenpater den Schattenseiten christdemokratischer Freiheit auf die Spur; aller-
dings kann er uns aus prinzipiellem Misstrauen gegen alle weltlichen Einrichtungen wiederum nur Gebete als einzigen Weg aus dem Dilemma ans Herz legen. An anderer Stelle ist er ziemlich ratlos, denn,
„keiner weiß, was kommt, und keiner weiß den Weg. Auch der Russe hat Angst, denn der Teufel hat immer Angst.“
Er sollte dem Sowjet-Teufel aber die Antipathie gegen gedruckte und illustrierte Schweinereien zugutehalten, denn in Russland gibt es keine Pornographie und keine Profitgierigen in der Unter-
haltungsindustrie. Woher sollte der Herr Pater das aber wissen, da er seine Informationen über den europäischen Osten aus dem „Rheinischen Merkur“ zu beziehen scheint, mit der Geschichte offensichtlich auf Kriegsfuß steht und in seinen „Predigten“ vorwiegend mit den Bildungslücken seiner Zuhörerschaft operiert. Meint doch der Westentaschen-Messias zum Beispiel:
„Meine Damen und Herren, Sie werden sich erinnern, dass die moderne Freiheit des Liberalismus auf dem Platz der Revolution in Paris verkündet und ziemlich heftig durchgesetzt wurde … da floss auf diesem Platz das Blut in solchen Strömen, dass es in den Abflusslöchern keinen Platz mehr hatte. Man war so frei, viele Tausende zu fesseln, zu foltern und zu köpfen.“
Von Leppichs unterschwellig-sadistischem Zungenschlag abgesehen stimmt die Geschichte nicht ganz, siehe „Großer Brockhaus“ oder „Knaurs Lexikon“. Weiter sagt der Pater:
„Liberal sein, das heißt ursprünglich so viel wie selbst frei sein und die Freiheit dem anderen zugestehen. In diesem Sinne sind wir wohl alle liberal.“
Soviel treuherzig servierte Unverschämtheit verschlägt einem schier den Atem, wenn man vorher liest:
„Das könnte Euch Managern der öffentlichen Meinung so passen: wir dürfen in der Kirche den Rosenkranz beten (dürft Ihr, d. Verf.) und Ihr vergiftet auf der Straße das Volk mit Marx und Lenin (darf niemand! d. Verf.)! Wir erwarten, dass der Rundfunk, die Kanzel des Äthers, auch den Christen gerecht wird – und das nicht nur durch ein paar Morgenandachten oder geistliche Choräle. Nicht anders denken wir auch über die Presse und den Film, zwei weitere Großmächte in der Beherrschung der öffentlichen Meinung. Unsere Bekenntnisschule wird zu einem kulturellen Ghetto, wenn es uns nicht gelingen sollte, auch auf das Kino, die moderne Schule der Glaubens-
losigkeit, Einfluss auszuüben.“
Leppich will also wieder das Mittelalter, es genügt ihm nicht, dass der kirchliche Einfluss in unse-
rem Lande noch viel zu oft zu geistigem Terror ausartet. Die Freiheit des Bürgers, sich zu bilden und zu informieren, wo und wie immer er will, soll noch mehr eingeschränkt werden, als das jetzt schon der Fall ist, aber:
„Wer uns die Religion, die erste Voraussetzung für die Lösung gesellschaftlicher Fragen, nehmen will, soll wissen, dass wir selbst einen neuen Kulturkampf nicht scheuen werden.“
Das glauben wir ihm gern, denn in Kulturkämpfen war die Kirche nie zimperlich. Seltsam nur, dass sie bei diesen Kämpfen eine Schlappe nach der anderen erlitten hat und erleidet. Sollte das nicht daran liegen, dass die Kirche in der Zeit ihrer absoluten Vormachtstellung versäumt hat, den Be-
weis dafür zu erbringen, dass „die Religion die erste Voraussetzung für die Lösung gesellschaftli-
cher Fragen ist“? Und wie meint das der Pater, wenn er sagt:
„Denken Sie an die kalte Hemmungslosigkeit, mit der man heute Frieden und Freiheit und Freude niederknüppelt, und das tut man nur, weil die Führer des Volkes jede Bindung an Gott ablehnen.“
Denkt er da an den Katholiken Salazar, den Katholiken Franco, oder meint er den katholischen General Satan? Und was sind das für seltsame Vorwürfe, wenn er auf seine rhetorische Frage
„Was habt Ihr aus unseren Kirchen gemacht?“
pathetisch die Antwort folgen lässt:
„Kasernen, Pferdeställe, Bordelle und Nachtlokale!“
Aber nicht nur hier liegt sein Wissen im Argen: heißt es doch im Kapitel „Materialismus“ zum Beispiel:
„Also zunächst zum Materialismus des Kapitalisten. Eines muss ich sofort feststellen: Nicht jeder Kapitalbesitzer ist Kapitalist.“
Nicht jeder Kapitalbesitzer ist Kapitalist, aber mindestens 95 Prozent aller Kapitalbesitzer lassen ihr Kapital für sich arbeiten und erzielen ohne eigene Arbeit erhebliche Gewinne; und eben das macht den Kapitalisten aus.
„Die Kapitalisten bringen zu ihrer Entschuldigung vor: Gott habe doch gesagt, ‚Macht Euch die Erde untertan!’ Das ist Gottes Auftrag; doch die Form, in der die Menschen ihn erfüllen, ist verschieden: kapitalistisch oder sozialistisch oder christlich.“
Die Kapitalisten bringen zu ihrer Entschuldigung gar nichts vor, auch nicht einen feingebildeten, jedenfalls nicht nachprüfbaren Gottesauftrag: sie haben das nicht nötig, weil sie in gutem Einver-
nehmen mit den Kirchen handeln, insofern sind „kapitalistisch und christlich“ keine Alternativen.
„Der richtige Sozialismus ist auf das Diesseits gerichtet und nur auf das Diesseits. Wir Christen stehen allerdings auch mit beiden Füßen auf der Erde, aber als Realisten wissen wir, dass der Mensch ein ewiges Leben hat.“
Da geht Herr Pater über die Auffassung seiner Kirche noch hinaus, die zwar der „menschlichen Seele“ ein ewiges Leben verspricht, nicht aber dem Menschen schlechthin (dessen Körper, wie jeder Mediziner bezeugen kann, nach Eintritt des Todes zu zerfallen beginnt). Doch so genau nimmt es der moderne Johannes nicht, der als Theolog doch wissen müsste, dass es sich selbst
bei der „ewigen Seele“ um einen Glaubenssatz handelt und nicht um eine nachweisbare Realität.
„Als Christen halten wir es für unsere Pflicht, Euch Arbeiter in Deutschland zur Kritik zu erziehen, damit Ihr wirklich mitreden könnt. Darin liegt der Sinn unserer katholischen Arbeiterorganisatio-
nen.“
Das ist nun wieder viel zu schön, um wahr zu sein. Sieht man vom moraltheologischen Bombast ab, stößt man beispielsweise auf folgendes:
„Ja, es stimmt. Wir haben einen furchtbaren Krieg hinter uns, der uns zerstörte Kirchen und Häu-
ser und ein Heer von Toten zurückgelassen hat. Aber zerstörte Kirchen und Häuser lassen sich wieder aufbauen, und Menschen werden jeden Tag genug geboren.“
Jetzt erkennt man einen anderen Leppich: den Zyniker. Und weiter sagt er:
„Daran geht Deutschland nicht zugrunde. Und wenn man mich fragt, geht denn unser Volk zu-
grunde, oder wird es noch eine Zukunft haben, dann gibt es nur eine Antwort: wir gehen noch einmal kaputt an unseren Frauen und Mädchen, die ihr Heiligstes jeden Tag in den Dreck werfen, gehen kaputt an der erotischen Überreizung und am verfluchten Sexualismus unserer Zeit! - Deutschland steht und fällt mit seinen Frauen!“
Immer das alte Lied. Kirchenmoral ist sexuelle Moral. Ihre ganze Verlogenheit wird offenkundig, wenn Pater Leppich über sexuelle Fragen spricht. Nicht ohne Berechnung beschwört er die deut-
schen Frauen, denn er weiß zu gut, dass in den Reihen seiner Zuhörer genug Hysterikerinnen sind, die auf ihn schwören. Und weiter in seinem Lieblingsthema:
„Ich war in Bremerhaven – dort, wo die Amerikaner zum erstenmal deutschen Boden betraten. Wissen Sie, was einem dort als deutsche Visitenkarte entgegengehalten wird? Eine Hure!“
Eine Hure für Bremerhaven wäre nicht viel. Es wird dort sicher noch mehrere geben, wie in allen Hafenstädten der Welt. Doch sind schon viele Menschen in Bremerhaven an Land gegangen und haben in dieser Stadt viel Bemerkenswertes gesehen, nur keine Huren. Wahrscheinlich haben sie nicht danach gesucht.
„Wissen Sie, dass heute in vielen Volksschulen, die auch Ihre Kinder besuchen, der Geschlechtsverkehr zuhause ist?“
Was mögen das für Schulen sein … vielleicht Bekenntnisschulen?
„Ich warne Euch: Wehe den Kindern, die nicht in einer Umgebung groß werden können, die vom Glauben her geprägt ist! Denn nur dort kann die Verantwortung vor dem Gewissen reifen, die allein zu jener Stärke und Selbständigkeit führt, die das Kind später als reifen Menschen bestehen lassen.“
Hitler und seine Anhänger waren samt und sonders in einer Umgebung groß geworden, die vom Glauben geprägt war. Aber wo war die Verantwortung vor dem Gewissen in jener Zeit ihrer Regie-
rung, wo war die Stärke und Selbständigkeit, die der Herr Pater so preisen?
„Ja, glauben Sie denn, man müsste erst selbst Morphinist oder Syphilitiker sein, wenn man über das Laster eines Rauschgiftsüchtigen oder die Geißel der Geschlechtskrankheiten reden will? In riesigen Irrenanstalten können Sie studieren, mit welchen Krankheiten der Sexualismus bezahlt wird. Da können Sie die angefaulten Früchte als Idioten, Krüppel und Kranke kennen lernen.“
Tatsächlich ist heute das Irresein in den wenigsten Fällen die Folge von Geschlechtskrankheiten – ebenso wenig, wie es das notwendige Ergebnis der Onanie ist, wie der schwarze Johannes seinen Zuhörern immer wieder weiß machen will. Eher schon wurden viele Menschen wahnsinnig, wenn sie längere Zeit keine Gelegenheit zu geregelten Geschlechtsbeziehungen hatten. Der Psychopater ergeht sich mit Leidenschaft in der Schilderung sexueller Schauermärchen und beweist damit, dass er in dieser Hinsicht möglicherweise krankhaft ist.
„Wenn heute die siebzehnjährigen Mädels mit einem Tangojüngling auf den Tanzboden gehen, sind sie oft schon vom ersten Schlager umgelegt und in den sexuellen Treibhaus-Dschungel eingeführt.“
„Ist das die Liebe? Nein, das sind die heulenden Saxophone und der laue Schmus der Guitarren und die verlogenen Schlager und die Tanzbewegungen und der Alkohol …“
„Es ist nicht wahr, dass wir zu viel Frauen in Deutschland haben, nicht zu viel Frauen, dafür aber zu viele Weiber.“
„Ja, es gab einmal eine Zeit, da schickte das deutsche Volk Missionare in die Welt und – heute sind es dafür Schönheitsköniginnen!“
Dieser Ton wird über Seiten hinweg durchgehalten. Ist er einerseits schlaue Berechnung (der Zulauf der Massen beweist ihre Richtigkeit), so ist er andererseits auch der Herkunft des 1925 in Ratibor/Oberschlesien geborenen Johannes Leppich erkennbar: Sein Vater war durch großen Fleiß vom einfachen Landarbeiter zum Aufseher im Zuchthaus von Ratibor avanciert; das Leben seiner Mutter „war ein einziges Martyrium“; „Not, Leid und Hunger prägten seine Kindheit. Aber: daheim betete man! Das ist wohl das große Geheimnis dieser Kindheit“; der 17jährige Johannes wurde von seinem Religionslehrer zu einem Exerzitienkurs ins Noviziarshaus Mittelsteine geschickt: „In diesem aufgeschlossenen Jesuitennoviziat traf er auf junge Menschen, deren Elan sich mit echt religiöser Haltung paarte. Er blieb“, wie der (ungenannt bleibende) Biograph Leppichs in dem erwähnten Buch zu berichten weiß.
Hat man den Vater Leppichs vor Augen, den engstirnigen Strebertyp, dazu die Mutter, die ihr Le-
ben als Martyrium empfand (oder deren Leben Johannes Leppich als Martyrium in Erinnerung hat), so wird einem die ganze Enge des Elternhauses klar, aus der auch keine Gläubigkeit heraus-
führen konnte. Noch in den wichtigen Entwicklungsjahren zwischen 15 und 18 blieb der junge Leppich durch seine Umwelt eingeengt und gehemmt. Man braucht kein Freud zu sein, um seinen weiteren Lebensweg psychologisch zu verstehen; solche und ähnliche Lebensläufe sind bei den meisten ehemaligen oder noch auftretenden Faschisten festzustellen.
Rolf Gramke
contra 10/1961, 106 ff.