Materialien 1961

RA Otto Gritschneder gestorben

Er hat nie jemandem nach dem Mund geredet und er hat sich nicht gefürchtet vor niemandem. Noch im hohen Alter hat er als erster in einem glänzenden Text die Schattenseiten des ehemaligen Münchner Erzbischofs Faulhaber beschrieben, der mit seiner antidemokratischen Polemik, wenn auch unabsichtlich, Hitler den Weg bereitet habe. Warum er das an das Licht der Öffentlichkeit brachte? „Weil es die Wahrheit ist.“

Er war ein gewappelter Anwalt, wie man in Altbayern sagt. Seine Mandanten haben das zu schätzen gewusst: Einst, in der Spiegel-Affäre, hat er Rudolf Augstein gegen Franz Josef Strauß vertreten. Die katholischen Bischöfe haben daraufhin dafür gesorgt, dass er, der felsenfeste Katholik, keine juristischen Glossen mehr für Kirchenblätter schreiben durfte. Darüber konnte sich Gritschneder noch Jahrzehnte später empören. Er hat den Baron von Finck gegen das Fernsehmagazin „Panorama“ verteidigt. Er hat mit einer Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof das Vorhaben der CSU zu Fall gebracht, mit einer Klausel den kleinen Parteien und Wählergruppen den Weg in die Kommunalparlamente zu versperren. Er hat Günter Grass gegen die katholische Kirche und deren Vorwurf verteidigt, Grass sei ein „Pornograph“.

Er, der Widerständler gegen das Hitler-Regime, war Anwalt von Nazi-Verbrechern, denn „verteidigt muss jeder werden“. Und jüngst hat er sich noch der Popularklage gegen die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts angeschlossen. Nur einem bestimmten Mandat hat er sich immer verweigert: Er vertrat, da war er bekennender Fundamentalist, niemals vor dem Gericht eine Scheidungssache, weil er „den Staat nicht für zuständig“ hielt, Ehen zu scheiden. Dieses Geschäft hat er seinen Kanzleikollegen überlassen. Gritschneders Fundamentalismus wurde geradezu flammend, wenn es um die Verteidigung des Lebensrechts ungeborener Kinder ging. Da wurde er zu einem Savonarola.

Er war ein selbstbewusst-eigenwilliger, manchmal störrischer Kopf, der sich nicht gemein machte mit den Strömungen der Zeit und der sich einer Parteiräson nicht unterordnen mochte: Seine Zeit als Politiker im Nachkriegs-München hat deshalb nicht lange gedauert. Nach vier Jahren als parteiloser Stadtrat zog er sich 1952 von der Politik zurück und widmete sich seiner Anwaltskanzlei und seiner großen Familie – neun Kinder, dazu später zwei Dutzend Enkelkinder. Er war einer von den Anwälten, die man „von altem Schrot und Korn“ zu nennen pflegt. Unter den Juristen ist er das, was Karl Valentin unter den Kabarettisten ist: ein verschrobener, superber Könner.

Als Sohn eines königlich bayerischen Eisenbahnsekretärs in der Münchner Vorstadt aufgewachsen, kam er 1924 an das Wittelsbacher-Gymnasium, wo der Geheimrat Gebhard Himmler als Rektor wirkte. „Das war ein frommer Mann“, erinnerte sich Gritschneder, „der kann doch nichts dafür, dass sein Sohn Heinrich missraten ist“. Kurz vor der Abiturfeier hatte Gritschneder seinen ersten Zusammenstoß mit den Nazis: Mit einigen Freunden störte er das Absingen des Horst-Wessel-Liedes, rief lauthals „Pfui“, verließ die Arena und trat alsbald in die Bayerische Volkspartei ein. Er studierte Jura, geriet nach dem ersten Examen mit den Nazis aneinander: Als 1937 dem inzwischen selig gesprochenen Jesuitenpater Rupert Mayer wegen „Kanzelmissbrauchs“ der Prozess gemacht wurde, stenographierte der junge Jurist die Verhandlung mit: Beschlagnahme und Verhör folgten. Und als der Assessor Gritschneder 1939 Anwalt werden wollte, bekam er die Quittung: „Wegen gänzlich staatsabträglichen Wesens, vollkommen klerikal und jesuitisch, unaufrichtig, durchtrieben, einem Nationalsozialisten von Grund auf zuwider“. Die Nazis wollten ihn („zwar fachlich geeignet, politisch jedoch derart unzuverlässig“) ins Generalgouvernement Polen schicken. Warum er das Ansinnen ablehnte, hat er auf eine Formel gebracht: „Es gibt eine Grenze, wo der Jurist sagt, bei diesem Verein kann ich nicht mitmachen, lieber verkaufe ich am Obstkarren Äpfel.“

Gute Anwälte gibt es viele; aber kaum einen anderen, der mit solcher Hartnäckigkeit die Rechtslastigkeit der Weimarer Justiz und die verbrecherischen Urteile der Nazi-Justiz entlarvt hat. Viele Archive würden jubilieren, hätten sie Dokumente in den Ordnern, wie Gritschneder sie bei Recherchen ausgegraben hat. Sie waren Grundlage für Werke wie „Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H.“ Gritschneder konnte spannend formulieren. Und so floriert, heute unter der Ägidie seines Sohnes, seit 1953 sein juristischer Pressedienst: „gri“ war einer der ersten, der Rechtsinformationen pressegerecht servierte.

Seine Post ließ er mit dem Augustinus-Zitat stempeln, dass Staaten ohne Gerechtigkeit nichts anderes seien als Räuberbanden. Er liebte solche Sätze. Auch den: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.“

Er selbst gehörte zu denen, die nicht geschlafen haben. Am 4. März 2005 ist Otto Gritschneder, 91 Jahre alt, in München gestorben.

Heribert Prantl


Mitteilungen der Rechtsanwaltskammer München II/2005, 20.

Überraschung

Jahr: 1961
Bereich: Kunst/Kultur

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