Materialien 1963

Am Beispiel München ...

wird statistisch nachgewiesen, daß die City schon heute das Gebiet höchster Arbeitsplatzdichte ist und gemäß struktureller Wachstumserwartungen einzelner Wirtschaftszweige, nämlich denen des tertiären Sektors, zu einer weiteren Konzentration von Arbeitsplätzen tendiert. Um die zentrifugale Tendenz wichtiger Wirtschaftszweige aufzufangen, muß die City schwerpunktmäßig erweitert wer-
den, anstatt daß das Wachstum im traditionellen Zentrum stagniert, weil keine Baufläche mehr für neue Betriebe vorhanden ist, und die Betriebe sich gezwungen sehen, auf Nebenzentren auszuwei-
chen. Die ifas empfiehlt als Voraussetzung für eine Erweiterung des Stadtkerns den Ausbau eines öffentlichen Verkehrsnetzes, das dem Individualverkehrsmittel im City gebiet überlegen ist, indem es die einzelnen Teile der City möglichst gut miteinander verbindet und damit den Verkehr IN-
NERHALB der City mühelos und rasch erledigt. (München plant zur Zeit den Bau einer Unter-
grundbahn.) Zur Ergänzung dieser langfristigen Planungsaufgaben rät die ifas der Stadt München dringend dazu, „schon jetzt die Standortwahl der nach außen drängenden Betriebe so zu beeinflus-
sen, daß ihre spätere Anbindung an das Zentrum … möglichst wenig Schwierigkeiten bereitet“ (Bd.4, S.140).

Wie eine repräsentative Verbraucherbefragung über die Beurteilung des Verkehrs in Hamburg (Bd. 1) zeigte, und die Münchener Untersuchung bestätigte, hat das Individualverkehrsmittel heute noch immer wichtige Vorteile gegenüber dem öffentlichen Verkehrsmittel: es ist bequemer und führt trotz verstopfter Straßen schneller zum Ziel. Die zu erwartende Zunahme der Kraftfahrzeug-
dichte wird sich künftig aber belastend auf den Verkehr auswirken: die Verkehrsfläche wird knap-
per, der Verkehrsablauf langwieriger. Zwar lassen die Ergebnisse der ifas hinsichtlich der Gründe für einen Autokauf erkennen, daß Autos in Zukunft mehr für die Freizeit angeschafft werden; je-
doch wächst auch das Bedürfnis nach einem Auto für den Berufsweg, und zwar um so stärker, je mehr die Bevölkerung an den Rand der Städte zieht. Diese Entwicklung kann nur durch die Ver-
besserung der öffentlichen Verkehrsmittel ausgeglichen werden. Zwischen öffentlichem und pri-
vatem Verkehrsmittel muß eine Art Arbeitsteilung stattfinden; auf keinen Fall wäre der Trend zur privaten Motorisierung abzustoppen. In Hamburg hat das öffentliche Verkehrsmittel bereits ent-
lastende Funktionen (z. B. beim Einkaufsverkehr). Wo die öffentlichen Verkehrsmittel gut funktio-
nieren, läßt erwiesenermaßen der Wunsch nach einem Auto nach (Bd. I, S. 83). Freilich hilft die Sperrung der Innenstadt für Autos, härtere Bestrafung für Verkehrssünder, Geschwindigkeitsbe-
grenzungen dem Verkehrsproblem nicht ab. Solche Maßnahmen rufen bloß verschiedene Interes-
senfronten auf den Plan (z. B. Autofahrer gegen Fußgänger) und fördern die bereits vorhandenen Aggressionen, mit denen die Betroffenen auf die technischen Schwierigkeiten des Verkehrs reagie-
ren (Klagen über disziplinloses Verhalten der Verkehrsteilnehmer, Ruf nach härterer Bestrafung auf Verkehrsdelikte etc.), (Bd. I, S. 103 f). Die ifas sagt für die Entwicklung der Cities, wenn sie ihrer jetzigen Entwicklung überlassen bleibt, zweierlei Tendenzen voraus: für die Bevölkerung wird die City durch zu große Entfernung an Attraktivität verlieren, und für die Wirtschaft werden ihre Standorte nicht länger rentabel sein. Beide Tendenzen führen zur Verödung der Innenstädte.

Die ifas arbeitet nicht mit „Leitbildern“; sie arbeitet aber auch keine „soziologische Theorie“ über die moderne Stadt aus; was sie mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung erarbeitet, beant-
wortet jedoch einen der strittigsten Punkte heutiger Stadtplanung: die Dezentralisation der großen Städte ist unwirtschaftlich, sie hemmt die rationalste Ausnutzung der heutigen Produktivkräfte.

Heide Berndt (Frankfurt/Main)

Besprechung von: Veröffentlichungen des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft (ifas), Bad Godesberg: Band 4, Hartenstein, Wolfgang und Lutz, Burkhardt: City München.  Eine Untersu-
chung der wirtschaftlichen Struktur und Dynamik der Münchener Innenstadt. Europäische Ver-
lagsanstalt, Frankfurt 1963 (150 Seiten, broschiert, 28.- DM).


Das Argument. Berliner Hefte für Probleme der Gesellschaft 30/1964, 180 f.

Überraschung

Jahr: 1963
Bereich: Umwelt

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