Materialien 1964

Im Dezember 1964 ...

wurde Tschombé von Bundespräsident Heinrich Lübke, dem bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel, dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt und späteren Bundespräsidenten Karl Carstens und dem Regierenden Bürgermeister von Westberlin, Willy Brandt, empfangen. An allen seinen Besuchsstationen kam es zu Protesten. Am 12. Dezember traf Tschombé in München ein, er war für mehrere Tage im Hotel »Bayerischer Hof« abgestiegen. Davor verteilten einhundert Student/innen Flugblätter und warfen Stinkbomben in das Hotelfoyer, das unbetretbar wurde. Auf seinem Weg zum Erzbischof von München-Freising, Julius Kardinal Döpfner, wurde Tschombé mit Sprechchören verfolgt und sein Wagen sowie das erzbischöfliche Palais mit Stinkbomben beworfen. Im Flugblatt der »Aktion für internationale Solidarität«, einer Aktionseinheit einzelner Mitglieder des Münchener SDS und der Münchener Anschlag-Gruppe, war unter der Überschrift »Was hat der Mörder Tschombé bei uns zu suchen?« Folgendes zu lesen: »Wo immer es galt die Interessen der belgischen, englischen und amerikanischen Großindustrie zu vertreten, stand Moise Tschombé bereit. Die Tatsache, dass achtzig Prozent der kongolesischen Wirtschaft in der Hand der belgischen, englischen und amerikanischen Gesellschaften sind, erklärt, warum gerade die Regierungen dieser Länder in bestem Einverständnis mit Moise Tschombé die Strafexpedition gegen Stanleyville unter dem Vorwand der Geiselbefreiung organisierten. So wurde das grauenhafte Blutbad von denen provoziert, die vorgaben, es verhindern zu wollen. Das Ergebnis war vorausgeplant: das Blut von Stanleyville lenkte die manipulierten Emotionen in die gewünschte Richtung. Die westeuropäischen Zeitungen konzentrierten sich mit Absicht auf die minutiöse Darstellung von Bestialitäten und unterschlugen damit das Entscheidendste: zum Schutz westlicher Konzerninteressen setzt Tschombé belgische Panzer, amerikanische Flugzeuge, deutsche SS-Leute, südafrikanische Rassisten und französische OAS-Terroristen ein.«1 Das Flugblatt endete mit einem programmatischen Satz: »Die Unterdrücker des kongolesischen Volkes sind auch unsere Unterdrücker«.


Niels Seibert, Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964 – 1983, Münster 2008, 28 f.

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1 Die Organisation armée secrète (OAS) war eine rechtsextreme Untergrundbewegung französischer Militärangehöriger während der Endphase des Algerienkriegs.

Überraschung

Jahr: 1964
Bereich: Internationales

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