Materialien 1964
In einem internen Streit der Gruppe ...
der primär zwischen Dieter Kunzelmann und Christofer Baldenay ausgetragen wurde, wurde be-
tont, daß die Subversive Aktion Distanz zum Marxismus halten wolle. In „Konklusionen“, einer Art Protokoll und Perspektive der Münchener Mikrozelle, wurde herausgestellt: „Der Formulierung von Theorie und Praxis der Revolution muß ein bis zu den filigransten Punkten intensiviertes Marxstudium vorausgehen: nicht wo er recht hatte, und wo hatte er es nicht, sondern warum trotz Marx oder auch wegen Marx die Entfremdung von Mensch und Welt, Arbeit und Produkt, Bewußt-
sein und Sein sich hypertrophierte.“ Und weiter unten wird ein erstes Fazit des Streits gezogen: „Auf der Schimäre einer revolutionären Klasse, die im 19. Jahrhundert das Proletariat verkörpern sollte, können wir selbst bei einem kollektiven Bewußtwerdungsprozeß nicht aufbauen: Sozialge-
setzgebung war das Ventil des 19. Jahrhunderts, Reservate des Lustprinzips könnten es im 20. Jahrhundert werden. Revolution von oben, inszeniert durch Berufsrevolutionäre, ist uns verhaßt. Eine dritte Lösung müssen wir finden.“
Über diese „Reservate des Lustprinzips“ wurde auf dem „Konzil“ der Gruppe im April 1964 in Bad Wiessee diskutiert. Ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung bildete sich heraus: Die Abschaffung der gesellschaftlichen Repression konnte nicht mit einem Schlag geschehen, sondern mußte als Prozeß verstanden werden, indem sich einzelne, zusammengefaßt in Gruppen, Stück für Stück aus dem Zusammenhang von Repression und Manipulation herausbewegten. Es wurde der Plan ge-
faßt, daß die Akteure der Subversiven Aktion sich ein Haus suchten, um dort zusammenzuziehen. Das Reservat des anderen Zusammenlebens, „Kommune“ genannt, sollte exklusive Besitzverhält-
nisse im privaten Bereich aufsprengen und solidarisch-zärtliche Verhältnisse vorwegnehmen. Im Kontext repressiver Vereinsamung und kollektiver Brutalisierung, die in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschten, sollten Inseln bzw. Reservate, Gemeinschaften oder Kommunen gegründet werden, die neue Lebens- und Verhaltensweisen ausprobierten und so im Reich der Repression ein kleines Reich der Freiheit schufen. Um nicht alten anarchistischen Illusionen zu verfallen, daß nämlich Herrschaft und Repression in einer Idylle von Gemeinschaft zu beseitigen seien, hoben die Diskus-
sionsteilnehmer hervor, daß die psychischen Mechanismen von Unterdrückung und Unterwerfung auch in einer Kommune nicht abgeschafft werden könnten. Es galt, erste Ansätze der Befreiung zu unternehmen, die darauf angewiesen waren, gesellschaftliche Interventionen und Provokationen zu starten, um aus der sozialen Isolation herauszukommen.
Im Mai 1964 wurde die Jahrestagung des Bundes deutscher Werbeleiter und Werbeberater als Gelegenheit genutzt, eine Störaktion durchzuführen. Es wurde ein Flugblatt verteilt, das in kurzen Thesen das komplizierte Denken der Gruppe vorführte und bloßstellte: „Wir fordern euch auf: Hört auf mit der totalen Manipulation des Menschen. (…) Hört auf, die Menschen als knetbare Masse zu betrachten, die dumpf euren eingehämmerten Befehlen gehorcht. Wir wagen zu pro-
phezeien: Der Mann auf der Straße wird sich eines Tages der repressiven Gesellschaft und seiner selbst bewußt werden. (…) Er wird wissen, was er zu zerschlagen hat, um sich zu befreien.“
Bernd Rabehl