Materialien 1965
Wie die CSU zu Geld kam
Strauß klagt gegen Augstein auf Widerruf des Korruptionsvorwurfs
Ungeklärte Affären mit Code-Namen wie Fibag, Onkel Alois, Schützenpanzer HS 30, Starfighter F-140, SPIEGEL-Affäre sowie der mittlerweile recht ansehnliche Grundbesitz des Partei-Vorsit-
zenden Franz Josef Strauß – das alles kam 1965 vor der 18. Zivilkammer des Landgerichts Mün-
chen zur Sprache. In der Sache ging es um den Vorwurf der Korruption, den Rudolf Augsteins Nachrichtenmagazin gegen Franz Josef Strauß erhoben hatte. Dieser klagte wegen Beleidigung und verlangte Widerruf sowie Schmerzensgeld. Alle Welt erwartete, dass nun endlich die Dunkel-
kammer von Gerüchten und halbwegs aufgedeckten Skandalen um Strauß, in der Politiker und Journalisten seit gut zehn Jahren herumstocherten, gründlich durchleuchtet würde. Doch dazu kam es nur in Ansätzen. Immerhin wurden bis dahin kaum bekannte Praktiken der Parteienfi-
nanzierung offengelegt.
„Ein Stuhl für den Herrn Minister muss frei bleiben“, rief der Wachtmeister ins Gedränge. Die Platzsorge galt dem Bundesverteidigungsminister a.D. Franz Josef Strauß. Doch dieser, längst aus dem Bundeskabinett geschieden und nunmehr Landesvorsitzender der CSU, erschien zu der für ihn wichtigen Verhandlung am 9. März 1965 keineswegs im Münchner Justizpalast, der einen An-
sturm von Publikum und Presse wie seit den Höhepunkten des Spektakels um den Mordfall Vera Brühne nicht mehr erlebte.
Es gehe um „verhältnismäßig kitzlige Dinge“, ermahnte der Vorsitzende Jäger die ersten Zeugen zu besonderer Genauigkeit. Sie sollten darüber gehört werden, ob Strauß „Geld angenommen hat, das ihm nicht gehörte“, wie der SPIEGEL mehrmals behauptet hatte. Dessen Herausgeber Rudolf Aug-
stein erschien mit dicken Akten und in Begleitung renommierter Anwälte. Auf der Zeugenbank traten Herren mit Verfügungsgewalt über dicke Sonderkonten auf, sie wanden sich, einige wichtige Zeugen waren nicht verfügbar.
Job Zimmermann, untersetzt, kahlköpfig, Geschäftsführer der „Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Bayerns e.V.“, gab dem Gericht bekannt, sein Förderverein habe als Hilfsorgan der bayerischen Wirtschaftsführung seit 1953 monatlich 5.000 Mark an Strauß bezahlt. Es habe sich um einen „Be-
willigungsfonds“ gehandelt mit dem Zweck, dem Leiter der CSU oder seinem Stellvertreter „inner-
halb seines politischen Arbeitsgebietes eine größere Dispositionsmöglichkeit zu verschaffen“. Der Gedanke, dass diese Bettage für persönliche Zwecke verwendet würden, habe den Geldgebern ferngelegen. „Wir betrachteten den Führer der größten Partei in Bayern als ehrbaren Partner.“ Zum Teil seien sogar Gehälter aus diesem Fonds bezahlt worden. Der Beklagte Augstein ging zum Angriff über: „Warum wurden denn die Gelder nicht einfach an die Partei selbst gezahlt?“ Protest der beiden Gegenanwälte. Die Frage wurde nicht zugelassen, weil hier nicht die Finanzierung der CSU zur Verhandlung stehe. Augsteins Rechtsvertreter Otto Gritschneder stieß nach: „Ist Ihnen bekannt, dass Herr Enzensberger, ein früheres Vorstandsmitglied von BMW, über die Zuwendun-
gen gesagt hat: ,Es muss aufhören, dass wir über Job Zimmermann die Häuser des Herrn Strauß bezahlen?’“ Der Zeuge schwieg.
Strauß-Anwalt Günter Ossmann sah eine Chance, die CSU von dem Odium zu befreien, sie allein erhalte derartige Zuwendungen aus der Wirtschaft: „Sind solche Zahlungen auch an andere Par-
teien geleistet worden?“ Doch der Zeuge verkündete zur allgemeinen Erheiterung: „Für einen Dis-
positionsfonds nicht. Nur die stärkste Partei ist besonders gut behandelt worden, weil sie für unse-
re Zwecke besonders geeignet erschien.“
Die Spenden der Wirtschaft seien von Strauß zu politischen Zwecken „im weitesten Sinne des Wor-
tes“ verwendet worden, sagte der frühere Generalsekretär und heutige Schatzmeister der CSU, Friedrich Zimmermann. Eine lückenlose Buchführung liege vor. Auf Gritschneders Frage, ob es sich um partei- oder staatspolitische Zwecke gehandelt habe, verschanzte sich Zimmermann hinter seine Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter. In anderem Zusammenhang räumte er ein, es seien „natürlich auch Reise- und Bewirtungsspesen dabei gewesen“.
Die Entscheidung, ob es sich um politische Verwendungszwecke handle, habe nur dem verfügungs-
berechtigten Strauß zugestanden, sagte Zimmermann. Nach seinem Wissen liefen die Gelder jetzt noch auf ein von Strauß bestimmtes „Sonderkonto II“ ein, sie seien überhaupt nicht kontrolliert worden, bis kürzlich bei einer „stichprobenweisen“ Überprüfung. Der Vorsitzende wollte die „Dis-
position“ genauer ergründen: „Hat Strauß zum Beispiel einmal eine Opernkarte von dem Geld ge-
kauft?“ Zimmermann: „Ein gutes Beispiel. Auch der Kauf einer Opernkarte könnte politisch sein, wenn ein auswärtiges Staatsoberhaupt zu Gast ist.“
Regelmäßige Geldzuwendungen – allerdings nicht noch einmal 5.000, sondern nur 250 Mark im Monat – erhielt Strauß auch vom Herausgeber des konservativen „Münchner Merkur“, Felix But-
tersack. Wie dieser als Zeuge bekundete, wurden diese Zahlungen von April 1952 an als „persön-
liches Honorar“ geleistet. Strauß habe – wie auch andere Politiker – der Zeitung dafür als „Berater, Anreger, Ideengeber und Kontaktmann zur oberbayerischen Bevölkerung“ gedient. Oder er habe sich ihm, Buttersack, für Gespräche über die Psychologie der Bayern und über „Bauernfragen“ zur Verfügung gestellt.
Im Mai 1957, bei fortschreitender Karriere von Strauß, sei der Vertrag gelöst worden. Nach den Aussagen des Zeugen Buttersack diktierte der Vorsitzende ins Protokoll: „Als Sonder- und Atom-
minister war er uns nicht mehr wert…“. (Gelächter) „… als früher. Als Wehrminister hat es dann aufgehört, da war er eben verschwunden.“ Rudolf Augstein fragte seinen Münchner Verlegerkolle-
gen: „War er der einzige Bundesminister, den Sie als Berater hatten?“ Buttersack: „Ja, nein, ich hatte noch einen Minister, aber der ist jetzt Kanzler.“ Augstein: „Hat der Kläger Auslagen für Sie gehabt, als er schon Bundesminister war?“ Buttersack: „Gott, er hat mich mal zum Essen eingela-
den.“
Wie Franz Josef Strauß das ihm – auf welche Weise auch immer – zugewachsene Vermögen ange-
legt hatte, legte dann seine Ehefrau Marianne dar: 1957/58 seien aus gemeinsamen Mitteln (Frau Strauß stammt aus dem wohlhabenden Brauerhaus Zwicknagel) verschiedene Grundstücke in München-Schwabing, am Ammersee und in Südfrankreich gekauft worden. Nachdem der franzö-
sische Besitz für die drei Kinder zu klein geworden sei, habe man 1964 ein weiteres Grundstück dazuerworben.
Befragt zu der Aufsehen erregenden SPIEGEL-Geschichte über den „Onkel Alois“, dem der dama-
lige Verteidigungsminister Strauß millionenträchtige Rüstungsaufträge zugeschanzt haben soll, sagte die Diplom-Volkswirtin Marianne: Dr. Brandenstein, als alter Bekannter in der Familie „Ali-
si“ genannt, habe sie gebeten, ihm eine neue Stelle zu vermitteln, nachdem er wegen eines Herz-
infarkts seine Fabrik und sein Vermögen verloren habe. Sie habe seine Papiere in den Einlauf fürs Ministerbüro ihres Mannes gegeben. Als 1960 die Äußerung Brandensteins, er habe der Familie Strauß-Zwicknagel laufend Zuwendungen gemacht, bekannt geworden sei, habe ihr Mann dem „Alisi“ ein Hausverbot aufgebrummt. „Er hat bestimmt nicht einen Pfennig für uns gezahlt.“ Nur bei drei oder vier Besuchen in Rott am Inn habe er kleine Geschenke mitgebracht: eine Goldmün-
ze, vier Porzellanfiguren und eine Tischdecke.
Nun berichtete allerdings der Antikorruptions-Referent des Bundesverteidigungsministeriums, Helmut Schnell, dem Gericht von einer norddeutschen Firma Backhaus, deren Angestellter und später sogar Teilhaber jener Dr. Brandenstein gewesen sei. Die Firma besaß zeitweilig das Monopol für die Lieferung von Panzerketten und betrog den Bund, wie der Regierungsdirektor ermittelte, um rund sechs Millionen Mark. Es kam zwar zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Brandenstein, aber nie zu einer Anklage. Wegen Bestechung verurteilt wurden indes der Junior-
chef der Firma sowie ein höherer Offizier des Verteidigungsministeriums.
Eine Frage des Augstein-Anwalts Gritschneder kam ziemlich überraschend: „Hat sich der Zeuge vermittelnd oder beratend für den Kläger betätigt im Zusammenhang mit der Verhaftung des Journalisten Ahlers in Spanien und der hier gegen den Kläger Strauß sowie seinen Staatssekretär Hopf und den Obersten Oster erhobenen Vorwürfe?“ Der Regierungsdirektor aus Bonn verwies auf seine beschränkte Aussagegenehmigung. Auch die Aussagen des nächsten Zeugen hatten nur be-
schränkten Beweiswert.
Niemals, widersprach der Passauer Verleger Johann Evangelist Kapfinger seinem Kollegen Aug-
stein, habe er behauptet, mit Strauß „halbe-halbe“ machen zu müssen in der „Fibag-Affäre“, bei der es um den nie zustande gekommenen Bau von amerikanischen Militärsiedlungen durch eine baye-
rische Interessengruppe ging. Allenfalls, räumte er auf Gritschneders Drängen ein, könnte er ein-
mal ausgerufen haben: „Schade, dass ich teilen muss.“ Er habe aber damit nicht Strauß gemeint, sondern den Kaufmann Winkler.
In der Fortsetzungsverhandlung am 6. April erschien zwar der Kläger Strauß, der Augstein keines Blickes würdigte, die wichtigsten Zeugen aber fehlten: Brandenstein, Rüstungskaufmann und ehe-
maliger Hausfreund der Familie Strauß, ließ dem Münchner Gericht mitteilen, er sei krank und bleibe wohl für immer verhandlungsunfähig. Der ehemalige Geschäftsführer der dubiosen „Ar-
beitsgemeinschaft demokratischer Kreise“ schickte ein Telegramm: „Plötzlich erkrankt.“ Eine weitere Zeugin meldete sich aus der Schweiz unabkömmlich. Ein ebenfalls vorgeladener Offizier des Verteidigungsministeriums war inzwischen nach Korea versetzt worden.
Danach blieb dem Gerichtsvorsitzenden nur der Versuch, dem CSU-Vorsitzenden und dem SPIEGEL-Herausgeber einen Vergleich vorzuschlagen, um „diese Geschichte im Guten aus der Welt zu schaffen“. Denn ein kleiner Test über das bisherige Verfahren ergebe, dass gewisse Dinge geklärt seien, andere aber seien „weniger klar“. Und was die noch ausstehenden Zeugen aussagen würden, könne man sich denken.
Auf eine Formulierung von Strauß-Anwalt Ossmann antwortete Augstein mit einem Wort: „Nein.“ Der Richter versuchte es noch einmal: „Vielleicht kann man den Ausdruck Korruption durch Be-
stechung ersetzen.“ Augstein: „Ich habe immer geschrieben, dass ich ihn für viel zu intelligent halte, als dass er sich in strafrechtlichem Sinne bestechen ließe.“ Strauß: „Ich habe Augstein auch nicht vorgeworfen, dass er nach dem Krieg mit nichts anfing und heute 30 Millionen Mark be-
sitzt … Von der Waterkant bis zu den Alpen versteht man unter Korruption immer ein und das selbe.“ Augstein: „Es war das gute Geld des Volkes, das er sich in die Tasche gesteckt hat … Wenn das nicht Korruption ist, dann gibt es keine Korruption.“
Der Prozess eskalierte. Auf neue Beweisanträge (der Minister habe sich auf Kosten eines US-Flug-
zeugkonzerns „vergnügliche Nächte mit leichten Mädchen“ gemacht) und weitere, ungewöhnlich massive Angriffe des angesehenen Gegenanwalts konterte der Kläger: „Was wir parteiintern ver-
einbart haben, geht Sie gar nichts an. Und Ihnen, Herr Gritschneder, sage ich, dass Sie Rechts-
vertreter eines Mandanten sind, der von der obersten deutschen Strafverfolgungsbehörde des Landesverrats angeklagt ist.“ Fußscharren und Buhrufe erfüllten den auch am Abend noch dicht besetzten Schwurgerichtssaal. Der Vorsitzende wies den SPIEGEL-Chef daraufhin, dass er noch replizieren könne. Augstein: „Ich verzichte.“
Noch einmal, am 15. Juli, wurde ein Zeuge befragt. Der frühere Geschäftsführer der Edeka-Ver-
lagsgesellschaft in Hamburg, Walfried Mayer, sagte aus, Strauß habe von seiner Firma zwischen 1953 bis 1956 monatlich 600 Mark Mitarbeiterhonorar erhalten. Er habe den Politiker wegen seiner „pädagogischen und philosophischen Talente“ engagiert. „Seine Tätigkeit ersparte uns ein eigenes Korrespondenzbüro in Bonn, Strauß war besser und billiger.“
Völlig überraschend verkündete Landgerichtsdirektor Jäger noch am selben Tag die Entscheidung: Rudolf Augstein musste widerrufen, dass Strauß seit 1945 ein enorm hohes Vermögen erworben habe, und außerdem ein Schmerzensgeld von 25.000 DM plus Zinsen zahlen. Der Widerruf musste aber nicht öffentlich, sondern nur durch schriftliche Erklärung erfolgen. Der vor allem im Leitarti-
kel „Unheilbar gesund“ definierte Vorwurf der Korruption, so fasste der Vorsitzende die 80 Seiten Begründung zusammen, treffe deshalb nicht zu, weil die erwähnten Zuschüsse von der bayerischen Wirtschaft nicht für Strauß persönlich, sondern als Subventionen für die Partei gegeben worden seien.
Was weiter geschah
Gegen das Urteil legte Rudolf Augstein Berufung ein, wobei er geltend machte, nur aus Zeitungen und Zeitschriften zitiert zu haben. Das Oberlandesgericht München aber bestätigte Schmerzens-
geld und Widerruf in vier Punkten. Begründung: „Die Pressefreiheit legitimiert nicht die Behaup-
tung oder Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Tatsachen.“ Augstein wandte sich an den Bundes-
gerichtshof, der ihm eine Brücke baute: Widerruf bedeute nicht, dass der Betroffene von der Un-
richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt sein müsse. Als der SPIEGEL-Herausgeber immer noch nicht widerrufen wollte, belegte ihn das Landgericht München mit einer Beugehaftstrafe von 250.000 Mark. So erfolgte dann der Widerruf mit den vom BVG empfohlenen „Vorbehalt“. Anfang 1967 kam es zu einem ersten SPIEGEL-Gespräch zwischen den langjährigen Kontrahenten.
Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 163 ff.