Materialien 1965
Die 68er-Bewegung: Persönliche und gesellschaftliche Wirkungen
Die Zustände an der FU Berlin im Wintersemester 1963/64 haben mich wachgerüttelt und politisiert, sodass ich an die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nach München zurückgekehrt bin, um sofort für den Konvent der Universität zu kandidieren. Nach meiner Wahl wurde ich im Sommersemester 1964 Sprecher der Staatswissenschaftlichen Fakultät und im Wintersemester 1964/65 und Sommersemester 1965 war ich der ASTA-Vorsitzende der LMU.
Insbesondere während meiner Zeit als ASTA-Vorsitzender war die Agitation und die ideologische Auseinandersetzung auch an der Universität München schon in vollem Gange. Der Begriff der „68er-Bewegung“ ist eine terminliche Verkürzung, denn die Entwicklung begann, v.a. in Berlin, bereits 1962/63 und verstärkte sich Mitte der 60er-Jahre auch in München, Tübingen und an anderen großen Universitäten und kollabierte 1968.
Typisch für die Situation an der Münchner LMU war zum Beispiel:
• Dass die Linke immer neue Gruppierungen mit den immer gleichen Leuten gründete, um mit diesen Namen eine breite gesellschaftliche Unterstützung vorzutäuschen.
• Dass die Linke wöchentlich mindestens zehn neue, vielfach langatmige und theoretisierende Flugblätter vor der Universität verteilte, die von der konservativen Studentenseite mit zumindest der Hälfte der Flugblätteranzahl beantwortet wurde. Es war durchaus nicht so, dass die Linke alleine machen konnte, was sie wollte. Es gab eine sehr vitale und aktive Gegenbewegung. Anders wäre nicht denkbar gewesen, dass ich 1964 als ASTA-Vorsitzender meinen Gegenkandidaten Michael Naumann, den späteren Kulturminister der Bundesrepublik Deutschland und Spitzenkandidat der SPD in Hamburg, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Konvent besiegen konnte.
• Die Polarisierung gegen den konservativen ASTA-Vorsitzenden äußerte sich vielfach in Sprechchören auf der Straße oder in Sälen mit dem Schlachtruf: „Faltlhauser von der CSU, Faltlhauser wo bist du?“.
• Der RCDS war 1964 völlig unterwandert von linken Ideologen. Der RCDS-Vorsitzende der LMU war ein LSD-Mann. Die CSU-Landesleitung war deshalb fest entschlossen, einen neuen Studentenverband mit neuem Namen zu gründen. Dies habe ich verhindert, indem ich gemeinsam mit Freunden die Linken in einer dramatischen Sitzung im Weißen Bräuhaus abwählen ließ und der konservative, ehemalige stellvertretende ASTA-Vorsitzende Bernd Schilling zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Das bedeutete: Es gab Mitte der 60er-Jahre noch konservative Mehrheiten, um die man sich aber heftig bemühen musste.
• Ich habe in dieser Zeit alle Facetten rabiater Auseinandersetzung miterlebt. Rainer Jendas1 war unser ideologischer Gegenspieler und Rolf Pohle, der spätere Terrorist und Waffenbeschaffer der RAF, war der aggressivste Kontrahent2.
Die Hauptziele unserer Arbeit damals waren, die Anliegen in der Universität und für die Universität zum Gegenstand der studentischen Vertretung zu machen. Das bedeutete gleichzeitig eine Ablehnung des so genannten gesamtpolitischen Anspruchs der Studentenschaft. Unsere These war: Es geht nicht um Vietnam, es geht nicht um die Notstandsgesetze, sondern um die Verbesserung der Bedingungen an den Universitäten. Deshalb organisierte ich heftig mit an dem großen Demonstrationstag „1. Juli 1965“ für bessere Studienbedingungen, deshalb organisierte ich einen sehr erfolgreichen Mensaboykott, bei dem die Studenten der LMU um die Universitätsbrunnen herum für die Hälfte des Mensapreises hervorragende, gesponserte Alternativkost erhielten. Deshalb versuchte ich, den damaligen Kultusminister Ludwig Huber, gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der CSU im Bayerischen Landtag, zu überreden, am 1. Juli als Redner aufzutreten und zusätzliches Geld für die Universitäten anzukündigen. Leider vergeblich.
Die Öffentlichkeit, die sich heute um die Arbeit der Studentenvertretungen überhaupt nicht mehr kümmert, war Mitte der 60er-Jahre auf unser Tun fokussiert. Umso mehr hielten wir uns damals für den Mittelpunkt der politischen Welt …
Wichtig waren auch Defizite in der Hochschulpolitik. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich 1965 bei Ludwig Huber auf seiner Couch in seinem Fraktionsbüro saß, um ihn zu bitten, der Hauptredner bei unserem „1. Juli-Protest“ zu werden. Das hätte aber nur Sinn gemacht, wenn er auch entsprechende Zukunftsperspektiven eröffnet hätte. Dazu war er jedoch nicht bereit und konsequenterweise hat er auch meiner Rednerbitte nicht entsprochen. Die notwendigen Wachstumsraten an Investitionen für die Universitäten kamen aber zwei, drei Jahre später, nachdem die radikalen Linken die Universität München von der Studentenseite her beherrschten. Durch den flächendeckenden Druck der Linken hat man die Haushaltskonsequenzen zugestanden, nicht aber durch das Bitten der gemäßigten Studenten. Deshalb kämpften die konservativen Studenten damals auch auf verlorenem Posten, wenn sie die Studienbedingungen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation rücken wollten, um dem „gesamtpolitischen Mandat“ der Studentenvertretung die Spitze zu nehmen und gleichzeitig die Staatsregierung kaum politische Zugeständnisse in der Hochschulpolitik machte.
Zum Versagen der Politik kam das Versagen gesellschaftlicher Gruppen. Dazu gehörte auch meine konservative Studentenverbindung, der CV. Dies hatte Franz Josef Strauß bereits früh erkannt. Strauß, Ehrenphilister der Tuiskonia München, hatte als Festredner im Dezember 1967 vor 800 Kommersteilnehmern scharf formuliert: „Wo bleibt angesichts dieser Situation ein überzeugender und Aufsehen erregender Beitrag der konfessionellen Studentenverbände zu Fragen des Hochschulausbaus und der Hochschulreform? Merken Sie nicht, wie sie sich vor der studentischen Öffentlichkeit — so weit diese sie noch bemerken kann — regelrecht lächerlich machen?“
Auch ich persönlich habe 1965 intensiv in den CV-Verbindungen für Kandidaten zum Studentenkonvent geworben – ein mühsames Geschäft. Das Ergebnis waren Bewerbungen, die von Pflichterfüllung und nicht von politischer Leidenschaft getragen waren. Die Linken hatten mit diesen Kommilitonen keine großen Schwierigkeiten. Kein Wunder, dass auch in München ab dem Jahre 1966 die Mehrheiten kippten …
Die Agitation der Linken an der FU Berlin, die Entwicklung an der LMU München und die gesamte gesellschaftliche Situation Mitte der 60er-Jahre hat mich politisch aufgeweckt und zum Politiker gemacht. Ohne die 68er-Bewegung wäre ich aus meiner heutigen Sicht sicherlich nicht in die Politik gegangen, sondern hätte mich ausschließlich in der Wirtschaft oder der Wissenschaft versucht.
Genau wie mir ging es einer großen Zahl junger Kollegen: Edmund Stoiber, Hans Spitzner, Eberhard Diepgen, Peter Gauweiler und viele andere mehr. Für sie alle gilt, dass sie durch die Polarisierung der Studentenbewegung der 60er-Jahre zur Politik gefunden hätten. Die 68er haben mit Zeitverzögerung für den Nachwuchs von CSU/CSU und FDP gesorgt …
Kurt Faltlhauser
Politische Studien. Zweimonatszeitschrift für Politik und Zeitgeschehen 422 vom November/Dezember 2008, 25 ff.
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1 Rainer Jendis.
2 Hier zeichnet Faltlhauser ein Horrorgemälde von Pohle.