Materialien 1967
Berufungsskandal in München aufgedeckt
Einem erneuten parteipolitischen Amtsmissbrauch der Hochschulabteilung des Bayerischen Kultusministeriums kam die HU-Zentrale im Juli dieses Jahres auf die Spur. Sie richtete in diesem Zusammenhang am 19. Juli 1967 den folgenden Offenen Brief an die Landtagsabgeordneten, die Mitglieder des Bayerischen Senats und die Presse:
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sehen uns erneut veranlasst, Sie auf einen hochschulpolitischen Übergriff des Bayerischen Kultusministeriums hinzuweisen.
Für die Besetzung des neu errichteten Lehrstuhls für Politische Wissenschaften an der Technischen Hochschule München stand Herrn Kultusminister Dr. Huber kürzlich eine Rangliste von vier Kandidaten zur Wahl, die eine Berufungskommission aus sieben Professoren der TH (darunter deren Rektor) in jahrelanger Beratungsarbeit aufgestellt hatte. An erster Stelle hatten sich die Hochschulvertreter für den Ordinarius und Direktor des Seminars für politische Bildung an der Universität Frankfurt, Herrn Prof. Dr. Thomas Ellwein, entschieden. Die vorliegenden Gutachten kennzeichneten diesen Kandidaten „als eine hervorragende Persönlichkeit – sowohl in menschlicher Hinsicht und in seinen pädagogischen Fähigkeiten, als auch auf dem Niveau seiner wissenschaftlichen Qualifikation“. Als Früchte der politischen Forschungs- und Bildungsarbeit Prof. Ellweins liegen bis jetzt unter vielen anderen neun Bücher aus seiner Feder (darunter die bekannten Standardwerke „Das Regierungssystem in der Bundesrepublik“ und „Politische Verhaltenslehre“) sowie vier von ihm herausgegebene wissenschaftliche Werke vor. Von den Dozenten des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin wurde er beauftragt, in der Sammlung „Die Wissenschaft von der Politik“ den Band über das „Regierungssystem in der Bundesrepublik“ zu übernehmen. Diese Arbeit bezeichnete Ernst Fraenkel, der Nestor der Politologie in Deutschland, als meisterhafte lehrbuchartige Behandlung eines Fragenkomplexes …, der für die Entwicklung des politikwissenschaftlichen Studiums als zentral angesehen werden muss“.
Zur Zeit betreibt Prof. Ellwein eine groß angelegte Forschungsstudie über „Politik und Verwaltung“ in Deutschland. Vom Bundesinnenministerium wurde er vor einigen Monaten mit sechs weiteren deutschen Professoren in den Beirat zur Wahlrechtsreform berufen. Die für politischen Unterricht an einer Technischen Hochschule besonders wünschenswerte Anziehungskraft des Dozenten über Fachgrenzen hinweg verbürgte Prof. Ellweins Popularität als regelmäßiger politischer Kommentator des Deutschen Fernsehens. Sogar lokalpolitische Gesichtspunkte sprachen für diesen Kandidaten, da er aus München stammt und von 1955 bis 1958 die Bayerische Landeszentrale für Heimatdienst1 leitete. Er musste somit der Kommission und jedem unvoreingenommenen Betrachter in jeder sachlichen Hinsicht geradezu als Ideallösung erscheinen. Er selbst war zur Übernahme des Lehrstuhls im Falle seiner Berufung bereit.
Auf der zweiten Rangstufe nannte die Vorschlagsliste der Hochschule zwei Kandidaten: einen bekannten politischen Schriftsteller und Rundfunkpublizisten, Autor von fünf einschlägigen Büchern, sowie einen habilitierten, zweifach promovierten Privatdozenten der wissenschaftlichen Politik mit besonderer TH-Erfahrung, vierfacher Buchautor und ehemals kommissarischer Vertreter des Stuttgarter Lehrstuhls von Prof. Golo Mann.
Auf den dritten Ranglistenplatz hatte die Hochschulfakultät schließlich den nicht habilitierten Lehrbeauftragten für politische Wissenschaften, Rechtsanwalt Dr. Rudolf Schuster – wie es in der Begründung hieß, „wissenschaftlich und dozentisch in deutlichem Abstand“ – eingestuft. Als größere wissenschaftliche Arbeit liegt von ihm bisher nur seine unter dem Titel „Die deutsche Frage“ als Buch erschienene Doktorarbeit vor, die entsprechend seiner Ausbildung überwiegend dem Fachbereich des öffentlichen Rechts zugehört.
Die Berufungskommission bat auch für den Fall; dass die Verhandlungen mit den auf Platz 1 und 2 genannten Kandidaten scheitern sollten, ausdrücklich darum, Herrn Dr. Schuster nicht vor einer erneuten Prüfung des gesamten Problems zu berufen. Weder Abstimmungsergebnisse und sachliche Argumente der akademischen Gremien noch wissenschaftliche Beurteilungen konnten jedoch Herrn Minister Ludwig Huber und seine Referenten von Elmenau und Boeckh beeindrucken: sie hoben das CSU-Mitglied Dr. Schuster, den Favoriten des klerikalen Petra-Kreises, im April 1967 vom 3. Ranglistenplatz auf den ersten politischen Lehrstuhl der Technischen Hochschule München. Mit dem Kandidaten der Hochschule, Prof. Ellwein, nahm man entgegen dem ursprünglich geäußerten Plan, wenigstens unannehmbare Scheinverhandlungen mit ihm zu führen, sicherheitshalber erst gar keine Verbindung auf.
Schon viele Monate vor dieser „Wahl“ wurde, wie in politisch relevanten Fällen hier offenbar gebräuchlich, wegen dieses Lehrstuhls aus dem Ministerium und verwandten Kreisen parteipolitisch in die Hochschule hineinintrigiert: Es wurden vielfältige Versuche unternommen, die endgültige Berufungsentscheidung zugunsten des CSU-Kandidaten zu präjudizieren. So führte bereits neun Monate vor seiner Berufung ein amtliches Protokoll Dr. Schuster als Lehrstuhlinhaber auf. Bereits 1966 stellte man ihm Gelder für den Lehrstuhl zur Verfügung und übertrug ihm entgegen dem erklärten Willen und den akademischen Regeln der Fakultät Verhandlungskompetenzen mit anderen Hochschulen. Die Mitglieder der Berufungskommission suchte man unterschriftlich auf diesen Kandidaten festzulegen, bevor sie einen Überblick über die Wahlmöglichkeiten haben konnten. Günstige Gutachten für Konkurrenten fielen unter den Tisch, Kandidatur-Begründungen wurden zuungunsten der vorderen Listenplätze und zur euphemistischen Aufwertung des ministeriellen Favoriten tendenziös zurechtgebogen.
Wir betrachten diese neueste Berufungsentscheidung des Kultusministers und deren Vorgeschichte als ein bedauerliches Beispiel von Amts- und Ermessensmissbrauch. Trotz ihres Debakels im Fall Pölnitz2 , ungeachtet aller Kritik an der sachlich unverantwortlichen Zurücksetzung höchstqualifizierter Wissenschaftler wie etwa der Professoren Flitner, Klug und Sontheimer, denken die zuständigen Vertreter der bayerischen Exekutive und die sich ihrer bedienenden konservativen Kreise offenbar nicht daran, von ihrer provinziellen Hochschulpolitik abzulassen. Wieder hat es diese Gruppe verstanden, einen Hochschullehrer, der nicht in ihren kulturpolitischen Schrebergarten passt, aus dem bayerischen Hochschulleben hinauszumanipulieren. Das ist in diesem Fall besonders unverantwortlich, weil damit die Chance verspielt wurde, der geplanten Einrichtung eines „Politischen Zentrums“ der Münchner Hochschulen die bestmöglichen personellen Startbedingungen zu verschaffen. Wir appellieren an Volksvertretung und Öffentlichkeit, weitere derartige Schädigungen des Ansehens, der Leistungsfähigkeit und der Freiheit unserer akademischen Bildungsstätten mit allen demokratischen Mitteln zu verhindern.
Mit vorzüglicher Hochachtung
HUMANISTISCHE UNION
gez.: Rainer Haun
Mitteilungen der Humanistische Union 32 vom Mai/September 1967, 11.
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1 Heute Landeszentrale für politische Bildung.
2 Götz Freiherr von Pölnitz war als Student aktives Mitglied der katholischen Studentenverbindung Rheno-Bavaria München im KV geworden, wurde bereits mit 24 Jahren im Juni 1931 verantwortlicher Schriftleiter der Akademischen Monatsblätter, der Verbandszeitschrift des KV. Er leitete diese Zeitschrift bis August 1935 und versuchte dabei, den KV an den NS-Studentenbund heranzuführen. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Mitglied der NSDAP und der SA, in der er Rottenführer war. Er hielt nach eigenen Angaben aus dem Jahr 1939 Schulungsvorträge „bei den Lehrgängen der obersten SA-Führung, bei der NS-Frauenschaft, bei der NS-Volksbildungsstätte, bei verschiedenen SA-Stürmen und im Hilfsbund der Österreicher“. Daneben war er Gutachter für die Hitlerjugend und den NS-Studentenbund. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte v. Pölnitz wegen seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus nicht an die Universität zurückkehren, sondern war ab 1947 als Administrator der Fürstlich-Gräflichen Fuggerschen Stiftung in Augsburg tätig. 1952 wurde er außerplanmäßiger Professor in München und 1954 ordentlicher Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Dillingen. 1961 wurde er als Professor nach Erlangen berufen und war dort 1963/64 Universitätsrektor. Während seiner Tätigkeit als Gründungsrektor der Universität Regensburg wurden ihm wegen seiner Rolle in der Nazi-Zeit schwere Vorhaltungen gemacht.