Materialien 1967

Der Schweyk aus der Türkenstraße

… Später arbeitet er bei verschiedenen Firmen: Loewe Opta, Apparatewerk Bayern, Schomandl, Bürklin und Stahlgruber: mehr und mehr ist er für Formgestaltung und Werbung zuständig. 1962 macht er sich als Werbegraphiker selbständig.

Er lebt inzwischen mit seiner Frau im Falkweg in Pasing-Süd.

»Ein wunderschönes Haus mit 1.000 m2 Grund. Nix wie Bäume und ruhige Leute rundherum.«

1967, an einem Samstag Vormittag im Februar geschah das, was sein Leben verändern sollte. Er saß in seinem Büro im ruhigen Falkweg über einer diffizilen Zeichnung für die Schweizer Firma »Controlls«: ein Regler für die Gaszufuhr von Ölöfen. Die sollte später vergrößert werden für die Messe. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Er bastelte nur noch an kleinen Verbesserungen. »Da plötz-
lich, die Fensterscheiben zitterten, der Hund sprang vom Fensterbrett, mir ergoss sich die Tusche aus dem Tuschtrichter über die Zeichnung«- ein Starfighter hatte direkt über ihnen die Schallmau-
er durchbrochen. »Das war das erste Mal, dass ich so etwas erlebt hatte. In dieser ruhigen Gegend, wo wir extra hingezogen sind, kommt da so ein damischer Flieger daher, fliegt über’s Haus, weil’s ihm grad Spaß macht, durchbricht die Schallmauer und versaut mir die Zeichnung. Eine Arbeit von mehreren Wochen. Ich war der Verzweiflung nahe. Ich hatte nicht mehr die Zeit, die Zeichnung neu zu machen und die Messe wird schließlich nicht verschoben! Und den Auftrag wollte ich auch nicht verlieren! War ein Riesenauftrag. Also beschloss ich, dass etwas passieren müsse.

Der Krieg war schließlich vorbei, und jetzt fangen die wieder von vorne an! Da musste einfach etwas passieren! Und weil ich ein Fachmann für Werbung war, hab’ ich gedacht: eine Anzeige aufgeben, das ist es! Eine, die nicht überlesen wird, worüber die Leute aber auch nicht lachen.«

Am 4. Februar erscheint in der AZ eine Anzeige: »Flugabwehrgeschütze mit ausreichender Munition gesucht zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung im westlichen Luftraum Münchens. Zuschriften erbeten unter …«

»Ja, und dann kamen Zuschriften. Flakgeschütze sind angeboten worden, sogar eine Boden-Luft-Rakete.« (Lacht)

»War aber alles nicht das Richtige. Ich wollte ja eigentlich gar nicht auf die Flieger schießen. Dann kam aber die Presse, nachdem die Anzeige im >Hohlspiegel< erschienen war: >Wann schießen Sie? Wann schießen Sie endlich?<

Ich sagte nur: >Die Piloten werden sich wundern!< Mehr nicht. Dabei hab’ ich noch gar nicht ge-
wusst, was ich mach’. Dazu hab’ ich Zeit gebraucht. Weil schießen musste ich dann wohl, wo ich gesagt hab’, die Piloten werden sich wundern, sonst wär’ ich unglaubwürdig geworden.

Was tut man, wenn man schießen muss, aber nicht will? Man greift auf alte Wurfgeschosse zurück. Ich hab’ mir von einem Schreiner Leonardo da Vinci’s Steinschleuder nach bauen lassen: 1,20 lang, 1 Meter breit und vielleicht 70 cm hoch. Man konnte original schießen damit. Die Frage war nur: Mit was?

Rossbollen wäre zu lächerlich gewesen. Aber was den Bayern hervorhebt, ist der Knödel. Bei ge-
nügend Platz fliegt so ein Knödel schon seine 50, 60 Meter. Ein Bereich, in den sich kein Flieger wagen durfte.«

- Wie oft haben Sie tatsächlich geschossen?

»Geschossen habe ich so oft die Medien da waren und das war sehr oft. Erschienen sind die Artikel mit großen Fotos in der NEW YORK TIMES, LIVE, SUN, SAN FRANCISCO CHRONICLE, einfach in fast allen amerikanischen Blättern. Dann auch in der Europa und sogar im NEUES DEUTSCH-
LAND, DDR

- Dann kamen die Flugzeuge auf den Fotos auf Bestellung?

»Ja« (lacht).

- Und sie wurden in Amerika bekannter als hier?

»Die haben einen ganz anderen Humor, die haben verstanden, was ich gewollt hab’. Hier hat es nur geheißen >Ulk< oder >Blödsinn<. Oder >der spinnt! Schießt mit Knödel auf Flieger!< Ich habe Einladungen nach Amerika gekriegt und ein amerikanischer Major Murphy aus Schleißheim hat mit mir einen Friedensschluss unterzeichnet. Ich war nämlich gegen das Überfliegen von Deut-
schen und Amis. Ich war dann auch auf der Weltausstellung 1967 in Montreal mit einer verkleiner-
ten Schleuder, weil ich eben Erfolg gehabt habe.

Und warum habe ich Erfolg gehabt? Weil ich die Leute von hinten durch die kalte Küche gepackt habe. Das ist der Humor. Da verliert nämlich keiner sein Gesicht. Keinesfalls will ein Politiker oder ein Militär sein Gesicht verlieren. Es sei denn, man kommt durch die Hintertür, dass er lachen muss. Dann ändert er auch aus Spaß und Dollerei die Flugroute und plötzlich sind keine Flugzeuge mehr da. Das war praktisch der erste Aufstand gegen die Obrigkeit.«

- Mögen Sie den Schweyk?

»Freilich, ich habe alle Filme über ihn gesehen.«

- Und den Valentin?

»Ich habe vom Hannes König, dem Initiator des Valentin Musäum1 den ersten Valentin-Taler bekommen mit der Aufschrift: >Ernst ist das Leben, heiter kunnt’s sei! <«

- Und was regt Sie heutzutage auf?

»Dieser Rotzlöffel von der >Jungen Union< der in seiner unverschämten Weise behauptet, dass >die Alten< keinerlei teuere Operationen mehr brauchen. Da habe ich die Gesundheitsministerin um Erklärung gebeten und an die Presse einen offenen Brief gegeben. Die Gesundheitsministerin hat mit einem nichtssagenden Brief geantwortet, der >Jungen Union< ist dazu nichts mehr einge-
fallen. Seit etwa 25 Jahren existiert LFD, das >Liberale Forum Deutschland<, seit 5 Jahren bin ich dabei. Es ist eine offene Gesprächsrunde und hat ein Grundsatzprogramm, das auch seit fast 25 Jahren existiert, anscheinend bereitet es den Parteien eine Höllenangst, weil es das Ende des regierenden Wasserkopfes bedeuten würde. Es ist eine Schande, wie unsere Regierung mit den Menschen und der Natur umgeht. Ich bin sehr froh darüber, alt genug zu sein, um das traurige Ende Deutschlands nicht mehr erleben zu müssen.«

Helmut Winter
(Dem Knödelschütz’ ist irgendwie der Humor vergangen.)


Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 892 ff.

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1 Seit 2000 Valentin-Karlstadt-Musäum.

Überraschung

Jahr: 1967
Bereich: Umwelt

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