Materialien 1968

Politische Prozesse

IV. Vorgänge vom 10.1. bis 17.1.1968 (Betreten der Universität) Sachverhalt und Vorgeschichte:

Am 18.12.1967 fand in der Universität München ein Teach-in statt, in dem die Ausweisung des persischen Studenten Farazi anlässlich des Schahbesuches diskutiert werden sollte. Die Diskussion weitete sich aus auf die Frage, ob Spitzel der Geheimdienste ein Recht zum Betreten der Univer-
sität hätten. Um diese Frage zu klären veranstaltete man ein Go-in in die Vorlesung von Rektor Becker, der jedoch keine Stellungnahme abgab. Bei einem erneuten Teach-in am nächsten Tag, bei dem der Senat zu dieser Frage Stellung nahm, und den Studenten der Vorwurf des Linksfaschis-
mus gemacht wurde, identifizierten Studenten gegen 17.00 Uhr den Polizisten Hartmann, ein Mit-
glied der politischen Polizei.

Um dagegen zu protestieren und andererseits die Reaktion der Studenten und Professoren auf Polizisten in der Universität zu testen, gingen die Studenten Koderer, Aschenbrenner, Wetter, sowie 3 weitere, jeder bekleidet mit einem vollständigen und vorschriftsmäßigen Uniformrock der Münchner Stadtpolizei mit Dienstmütze am 10.1.1968 in den Hörsaal 118, in dem Prof. Kuhn seine Vorlesung abhielt. Auf die Frage von Kuhn, der die Studenten anfangs für wirkliche Polizisten hielt, erklärte Aschenbrenner, sie seien gekommen, um ihn vor linksradikalen Elementen zu schützen. Als Kuhn schließlich erkannte, dass es sich um verkleidete Studenten handelte, forderte er sie wiederholt vergeblich auf, den Hörsaal zu verlassen. Als sie nicht gingen, brach er seine Vorlesung ab und verließ den Hörsaal.

Nach ihm verließen auch die uniformierten Studenten den Hörsaal. Der von Kuhn herbeigeholte Verwaltungsdirektor Spörl forderte die Studenten auf, die Universität zu verlassen. Die Studenten kamen dieser Aufforderung jedoch nicht nach, sondern gingen danach in den Hörsaal 201, wo Prof. Maurach gerade las. Dort spielte sich dasselbe ab wie bei Kuhn.

Daraufhin verließen die Studenten das Universitätsgelände. Ohne die Polizeiuniformen kehrten
sie gegen 11.45 Uhr in die Universität zurück, um mit den Studenten über den Sinn der Aktion zu sprechen. Mehreren Aufforderungen des Syndikus Schattenfroh, das Haus zu verlassen, kamen sie nicht nach. Schließlich wurden sie von Dienstkräften der Universität aus dem Haus gedrängt.

Mit eingeschriebenem Eilbrief vom 10.1.1968 erteilte der Rektor den betreffenden Studenten ein Hausverbot von einem Monat. Das Hausverbot war für sofort vollziehbar erklärt worden.

Am 12.1.1968 ging Koderer trotz des Hausverbotes wieder in die Universität, wo er mit Studenten diskutierte. Anschließend nahm er um 13.00 Uhr an einem Teach-in im Lichthof teil.

Auch Wetter nahm an dieser Diskussion teil, nachdem er vorher in mehrere Vorlesungen gegangen war und die Studenten zur Teilnahme an dem geplanten Teach-in aufgefordert hatte.

Koderer nahm am 17.1.1968 in der Universität an einer Veranstaltung der Godesberger Rektoren-
erklärung zur Hochschulreform teil. Ebenfalls am 17.1.1968 ging Wetter zusammen mit dem Stu-
denten Opfermann in das Dienstzimmer des Syndikus und verlangten eine Satzung der Universi-
tät, um die Maßnahmen der Universität gegen sie überprüfen zu können. Sie verließen die Univer-
sität erst, als man ihnen ein Exemplar der Satzung ausgehändigt hatte.

Am 25.1.1968 schließlich nahmen Koderer und Aschenbrenner an einer Veranstaltung, die sich mit dem Linksfaschismus auseinander setzte, in der Universität teil. Einer Aufforderung des Beauf-
tragten des Rektors, die Universität sofort zu verlassen, kamen sie nicht nach.

Folgende Einzelstrafen wegen erschwertem Hausfriedensbruch, § 123 II wurden gegen Koderer, Aschenbrenner und Wetter ausgesprochen:

wegen Vorfall v. 12.1.1968:
KodererEinzelstrafe von 2 Monaten
WetterEinzelstrafe von 6 Wochen

wegen Vorfall v. 25.1.1968:
Koderer: Einzelstrafe von 1 Monat
Wetter: Einzelstrafe von 1 Monat

wegen Vorfall v. 17.1.1968:
Aschenbrenner: Einzelstrafe von 2 Monaten
Koderer: Einzelstrafe von 3 Monaten

Diese Einzelstrafen sind in folgenden Urteilen enthalten:

Wetter: Urt. v. 22.5.68, AGRätin Dr. Glum, EStA Schmidt, RA Kittl.

Koderer/Aschenbrenner: Urt. v. 18.4.68, AGR Hofmann, EStA Heindl, RAe Wagner und Müller.

V. Vorgänge am 31.1.1968 (griechisches Generalkonsulat)

Sachverhalt: Am 31.1.1968 fand am Abend eine Veranstaltung der „Aktion Januar 1968“ im Kongreßsaal des Deutschen Museums statt. Weil die Veranstaltung sich auf die Beschwörung der neonazistischen Gefahr durch die NPD beschränkt hatte, rief der Student Schmitz-Bender zu einer anschließenden Demonstration vor dem griechischen Konsulat auf, um gegen die faschistische Militärdiktatur in Griechenland zu protestieren.

Es bildete sich ein Zug von etwa 100 bis 150 Demonstranten, die zu dem nahegelegenen griechi-
schen Konsulat zogen. Die Demonstranten bildeten Sprechchöre „Freiheit für Griechenland“ u.a. über ein Mikrophon forderten sie die Leute auf der Straße auf, mitzukommen, um gegen den Faschismus zu protestieren.

Über die geplante Aktion informiert, hatte sich inzwischen ein Polizeitrupp vor dem griechischen Konsulat aufgestellt. Als der Zug vor dem Konsulat angekommen war, wurde die Polizeikette durch ein Seil gesichert. Als die Demonstranten versuchten, die Polizeikette zurückzudrängen, entstand ein Gedränge und Geschiebe. Einige spritzten mit Farbspraydosen „Freiheit für Griechenland“ und ähnliche Parolen auf den Gehsteig und an die Wände des Konsulats. Schmitz- Bender brachte mit einer Sprühdose die Aufschrift „114“ (Widerstandsartikel der griechischen Verfassung) an die Kon-
sulatsfront in der Steinsdorfstraße an. Mehrere Fenster des Konsulats wurden mit Steinen einge-
worfen. Die Polizei behauptet außerdem, dass die Demonstranten auf die Polizisten der Sperrkette eingeschlagen hätten. Mehrere Demonstranten wurden verhaftet. Die Verhaftungsszenen wurden jeweils von einem Polizeiaufnahmeteam gefilmt.

Einige Male verlangten Demonstranten die Dienstnummer von Polizisten, die sich ihrer Meinung nach nicht korrekt benommen hatten, erhielten jedoch, wie üblich, in keinem Fall eine positive Auskunft.

Ein Zeuge berichtet Folgendes: „Plötzlich hörte ich einen Schmerzensschrei. Ein Demonstrant stand mit geballten Fäusten vor der Polizeikette und rief mehrmals: ,Eines von euch Schweinen hat mich geschlagen!.’ Andere Demonstranten verlangten die Dienstnummer der vor ihnen stehenden Polizisten. Als diese nicht reagierten, verlangte der geschlagene Demonstrant den Einsatzleiter, der nach einigem Hin und Her auch erschien. Als der Demonstrant ihm sagte, dass er von einem Poli-
zisten mit einem harten Gegenstand, vermutlich mit einem Schlagring, verletzt worden sei, sagte der Einsatzleiter lediglich, dass er da auch nichts machen könne.“

Später drängte die Polizeikette die Demonstranten in Richtung Deutsches Museum ab, wobei sich der Zug allmählich auflöste.

1.
Wetter, verurteilt wegen erschwertem Landfriedensbruch, § 125 I,   II in Tateinheit mit Aufruhr,
§ 115 zu einer Einzelstrafe von 1 Jahr.

Urteil v. 22.5.68, AGRätin Dr. Glum, EStA Schmidt, RA Kittl.

2.
Schmitz-Bender, verurteilt wegen erschwertem Landfriedensbruch, § 125 I, II, Verletzung der Bannmeile, Sachbeschädigung, Aufruhr zu 8 Monaten Gefängnis ohne Bewährung.

Urt. v. 7.6.68, AGR Dr. Hummel, StA Heindl, RA Kittl.

Schmitz-Bender – Rechtfertigungsgründe:

StA Heindl: Auch wenn in Griechenland Terror herrschen sollte (!) und man dagegen de-
monstriere, dürfe man nicht selbst zum Terror übergehen. Er zitierte Johnson, dass es keine Rechtfertigung für Gewalttätigkeiten gebe. Das Verhalten von Schmitz-Bender und anderer Demonstranten bezeichnete er als „Gesinnungsterror“.

Schmitz-Bender – Strafzumessungsgründe:

AGR Dr. Hummel: „Die Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt, da der Angeklagte als ,Überzeugungstäter’ ähnlich wie ein Kriegsdienstverweigerer keine Änderung seines Verhaltens erwarten lässt.“

VI. Vorgang vom 8.2.1968 (Amerikahaus)

Da uns zu diesem Vorfall bereits 3 Urteile mit Gründen vorliegen, bringen wir auf den nächsten Seiten die Originalsachverhaltensschilderungen dieser 3 Urteile.

Verurteilung wegen erschwerten Hausfriedensbruches , § 123 II, in Tateinheit mit Widerstand gegen die Staatsgewalt, § 113.

Vorfall vom 8.2.1968 (Amerikahaus)

Koderer, Heinz u. Aschenbrenner, Urt. v. 18.4.68,
AZ.: 42 Ds 69/68 verbd. m. 4 Ds 149/68
Az.: 2 Js 335/67, 2 Js 78/68, 2 Js 80/68
AGRat Hofmann, EStA Heindl
Verurteilung zu einer Einzelstrafe von 4 Monaten, dann allerdings zu einer Gesamtstrafe von
9 Monaten ohne Bewährung zusammengezogen. Bezüglich der übrigen in demselben Urteil abgeurteilten Fälle s. unter „Hausfriedensbruch“, „Landfriedensbruch“.

Sachverhalt:

Am Abend des 8.2.1968 wurde im Amerikahaus in München eine Ausstellung „Amerikanische Druckgraphik“ eröffnet. An der Eröffnungsfeier nahm auch der Angeklagte Koderer teil. Nach Beendigung der Ansprache des amerikanischen Kulturattaches stürmte eine Gruppe von etwa
10 Personen die Bühne, schwenkte die Vietcongfahne und versuchte, sich des Mikrophons zu bemächtigen. Dem Ordnungsdienst gelang es nicht, die Störer von der Bühne zu verdrängen. Im Saal wurden Stinkbomben und Knallkörper geworfen. Der Veranstaltungsleiter Dr. Peters forderte von diesem Zeitpunkt an die Anwesenden wiederholt deutlich vernehmbar über einen Lautspre-
cher auf, den Saal zu verlassen. Dieser Aufforderung wurde nur zum Teil entsprochen. Etwa 40 Demonstranten, darunter auch der Angeklagte, blieben im Saal und setzten sich vor der Bühne auf den Fußboden. Die um 20.35 Uhr eintreffende Polizei wurde von den Störern mit Sprechchören wie „Notstandsübung“ empfangen. Weiteren Aufforderungen, den Saal zu verlassen, leisteten die Demonstranten keine Folge. Sie mussten schließlich gewaltsam von der Polizei aus dem Saal ent-
fernt werden. Der Angeklagte leistete dem polizeilichen Vorgehen dadurch Widerstand, dass er sich an den noch am. Boden sitzenden Demonstranten festhielt, um das Hinausschaffen zu ver-
hindern. Als es einem Polizisten schließlich gelang, den Angeklagten teilweise aus der Umklam-
merung zu befreien, riß er sich los und klammerte sich erneut an die übrigen Demonstranten.

Rechtfertigungsgründe:

Die Angeklagten verteidigen sich damit, dass sie lediglich durch ihr Verhalten auf bestehende Mißstände hinweisen wollten. Den Angeklagten standen jedoch weder Rechtfertigungsgründe, noch Schuldausschließungsgründe zur Seite.

Den Angeklagten konnte die erkannte Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da sie keine Gewähr für künftiges Wohlverhalten bieten. Der Angeklagte Aschenbrenner hat in seinem letzten Wort erklärt, dass er „bis zum Sieg“ weiterkämpfen wolle. Der Angeklagte Koderer hat als Beruf „Revolutionär“ angegeben. Bei seiner Einstellung kann nicht erwartet werden, dass er sich in Zu-
kunft straffrei führen wird.

Strafzumessungsgründe:

Bei der Strafzumessung hat das Gericht zu Gunsten beider Angeklagten strafmildernd berück-
sichtigt, dass sie bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sind und dass sie wenigstens den äußeren Sachverhalt ihrer Straftaten zugegeben haben.

Straferschwerend fiel die Häufung der Straftaten bei beiden Angeklagten ins Gewicht. Zu ihren Ungunsten war zu berücksichtigen, dass sie, wie sie durch ihr Verhalten gezeigt haben, nicht auf bestehende Mißstände hinweisen, sondern selbst Mißstände schaffen wollten. Beim Angeklagten Koderer musste außerdem straferschwerend ins Gewicht fallen, dass er sich bei der Aktion am 8.5.1967 besonders hartnäckig gezeigt hat und dass bei der Aktion am 8.2.1968 im Amerikahaus ein erheblicher Schaden entstanden ist.

Verurteilung wegen erschwerten Hausfriedensbruches, § 123 II „gemeinschaftlich“.

Vorfall vom 8.2.1968 (Amerikahaus)

Wetter, Reinhard, Urt. v. 22.5.1968, AZ.: 63 AK 18/68 Jug. 98
AGRätin Dr. Glum, EStA Schmidt
Verurteilung zu einer Einzelstrafe von 3 Monaten Gefängnis, dann allerdings zu einer Gesamt-
strafe von 1 Jahr zusammengezogen. Bezüglich der übrigen in demselben Urteil abgeurteilten Fälle s. unter „Hausfriedensbruch“, „Beförderungserschleichung“, „erschwerter Landfriedensbruch“ und „Aufruhr“.

Persönliche Verhältnisse:

Gegen den Angeklagten wurde vom Jugendgericht München im Oktober 1967 ein Strafbefehl wegen Verletzung des Bay. Pressegesetzes erlassen. Es wurden 50,- DM Geldstrafe gegen ihn verhängt. Sonst ist er noch nicht vorbelastet.

Sachverhalt:

7) Am 8.2.1968 fand am Abend im Amerikahaus eine Ausstellung über amerikanische Druckgra-
phik mit einem Lichtbildervortrag statt. Der Angeklagte und andere Gleichgesinnte hatten sich Karten besorgt und besuchten diese Vorstellung. Nachdem der amerikanische Kulturattache seine Eröffnungsansprache beendet hatte, stürmte der Angeklagte mit noch einigen anderen, in der Hand eine Fahne von Nordvietnam haltend, auf das Podium und versuchte, sich des Mikrophons zu bemächtigen. Es wurde dabei im Chor geschrieen: „Ho Tschi Minh“, „Johnson, Mörder“. Der Angeklagte wurde mehrmals von dem Programmdirektor des Amerikahauses, der zur Wahrneh-
mung des Hausrechts befugt ist, persönlich aufgefordert, den Saal zu verlassen. Dessen ungeachtet blieb der Angeklagte im Saal und setzte sich schließlich mit noch anderen Demonstranten auf den Fußboden vor der Bühne nieder. Als die Polizei eintraf, forderte auch diese die Demonstranten über einen Lautsprecher nochmals auf, sich zu entfernen. Erst als diese Aufforderung unbeachtet blieb, wurden der Angeklagte und die übrigen Demonstranten gewaltsam aus dem Saal entfernt. Die Veranstaltung musste geschlossen werden.

Der Angeklagte war sich … bewusst, dass er sich auf die Aufforderung der zuständigen Person aus dem … Saal zu entfernen hatte.

Im Fall 7) leugnet der Angeklagte, von Dr. Peters persönlich aufgefordert worden zu sein, das Amerikahaus zu verlassen. Diese Einlassung wurde jedoch durch die widersprechenden Angaben des absolut glaubwürdigen Zeugen Dr. Peters widerlegt.

Rechtfertigungsgründe:

Der Angeklagte hat ferner geltend gemacht, sein Verhalten … sei von der Ansicht getragen gewe-
sen, er könne sich, da er zur freien Meinungsäußerung berechtigt sei, über die Rechte anderer und über die staatliche Ordnung hinwegsetzen. Sein Verhalten, mit dem er seine Meinung zu äußern pflege, entspreche der heutigen sozialethischen Ordnung und sei deshalb sozialadaequat.

Der Angeklagte hat hierzu ganz genau gewusst, dass seine Form, seine Meinung zu äußern, nur von einer Minderheit in Deutschland anerkannt wird. Das Gericht ist deshalb überzeugt, dass er sich dessen bewusst war, er dürfe sich nicht über die Rechte anderer und die staatliche Ordnung hin-
wegsetzen.

(Sozialadaequanz:) Das Verhalten des Angeklagten … kann nicht als sozialadaequat angesehen werden. Abgesehen davon, dass das Gericht, wie schon ausgeführt, davon überzeugt ist, dass der Angeklagte genau gewusst hat, dass sein Handeln unerlaubt ist, kann das Auflehnen des Ange-
klagten nicht als sozialadaequat angesehen werden. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob der sozialen Adaequanz, abgesehen von den Tatbeständen der §§ 96 a I 2, 240, 253 StGB eine Bedeu-
tung zugemessen werden kann und ob es sich hierbei dann um einen Rechtfertigungsgrund han-
delt oder ob ein sozialadaequates Verhalten bereits den Tatbestand ausschließt.

Nach der heute bestehenden sozial-ethischen Ordnung kann das Vorgehen des Angeklagten auf keinen Fall als sozialadaequat angesehen werden. Nach wie vor kommt der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dem Eigentum sowie dem Vermögen eines anderen eine erhebliche Bedeutung zu. Der Schutz von Eigentum und Vermögen, sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist auch heute noch eine wesentliche Aufgabe des Staates. Die Art und Weise des Vorgehens des Angeklagten, sich über die Rechte anderer, um seine Meinung zu vertreten, hin-
wegzusetzen, wird von einer Minderheit in Deutschland getragen. Sie kann nicht als sozialadae-
quat angesehen werden. (Vgl. hierzu auch das Bay. Ob. LG – NJW 62,1878 -, das im Rahmen des § 96 a I 2 StGB äußerste Zurückhaltung gegenüber der Anwendbarkeit der sozialen Adaequanz übte.)

Zur Beurteilung dieser Frage bedurfte es nicht eines Sachverständigengutachtens, da es sich um eine reine Rechtsfrage handelt. – Der Angeklagte kann sich auch nicht auf das Recht freier Mei-
nungsäußerung berufen, da dieses seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen findet (Art. 5 GG).

Strafzumessungsgründe:

Bei der Bemessung … wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass der Angeklagte noch sehr jung und so gut wie noch nicht vorbestraft ist.

Strafschärfend fiel jedoch die Hartnäckigkeit ins Gewicht, mit der der Angeklagte vorgegangen
ist. Er setzte sich über die Rechte anderer und die staatliche Ordnung bewusst hinweg und hat versucht, … eine Veranstaltung im Amerikahaus zu stören.

Geldstrafen konnten deshalb auch in den Fällen … 7) nicht in Betracht kommen … Soweit der Angeklagte wegen erschwerten Hausfriedensbruches verurteilt wurde, wurde für jede weitere solche Zuwiderhandlung eine erhöhte Strafe ausgesprochen … Im Fall 7) mussten 3 Monate Gefängnisstrafe ausgeworfen werden, da durch das Verhalten des Angeklagten die Versammlung im Amerikahaus erheblich gestört wurde. Sie musste sogar geschlossen werden.

Verurteilung wegen erschwertem Hausfriedensbruch, § 123 II.

Vorfall v. 8.2.1968 (Amerikahaus)

Kensche, Urt. v. 9.5.1968, AZ.: 42 Cs 506/68
AGR Geissler, EStA Seidl
Verurteilung zu Geldstrafe von DM 300,-, ersatzweise 30 Tage Gefängnis.

Sachverhalt:

Am Abend des 8.2.1968 nahm der Angeklagte an einer Veranstaltung im Amerikahaus teil … Im Verlauf dieser Veranstaltung kam es zu heftigen Tumulten … Saalordner und die inzwischen ein-
getroffene Polizei drängten die Demonstranten aus dem Saal, wobei mehrere Personen gewaltsam entfernt werden mussten. Der Angeklagte hielt die hierbei von der Polizei angewandte Härte für unverhältnismäßig. Um dagegen zu protestieren, setzte er sich zu einer Gruppe von 20 bis 30 Personen, welche sich inzwischen im umzäunten Grundstück des Amerikahauses … zu einer Sitzdemonstration niedergelassen hatten. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die Polizei ent-
fernten sich die Demonstranten nicht, sondern hakten sich z.T. gegenseitig unter. Schließlich wurden mehrere von ihnen, einschließlich des Angeklagten, durch die Polizei festgenommen.

Gründe:

Der festgestellte Sachverhalt erfüllt den Tatbestand des Hausfriedensbruches in der erschwerten Form des § 123 II. Der Angeklagte hatte nur die Befugnis, an der Veranstaltung teilzunehmen, nicht jedoch, sich auf die Straße zu setzen. Er hat sich trotz Aufforderung durch den Berechtigten nicht aus dem befriedeten Besitztum entfernt.

Der Angeklagte hat den Hausfriedensbruch gemeinsam mit anderen begangen.

Dass die Tatmotive bei den einzelnen Demonstranten verschieden waren, ändert daran nichts. Aus der glaubwürdigen Einlassung des Angeklagten geht vielmehr hervor, dass er sich gerade deshalb in den Garten des Amerikahauses setzte, weil er hier bereits Demonstranten vorfand, und so den Effekt des Demonstrierens verstärken konnte. Hieraus und aus der Tatsache, dass die Täter sich teilweise gegenseitig festhielten, lässt sich mit Sicherheit auf ein bewusstes und gewolltes Zusam-
menwirken, d.h. auf gemeinschaftliche Begehung schließen.

Rechtfertigungsgründe:

Dem Täter stehen keine Rechtfertigungsgründe zur Seite. Insbesondere findet das in Art. 5 GG garantierte Grundrecht auf freie Meinungsäußerung seine Grenze in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 II GG), d.h. solchen Normen, welche wie § 123 StGB nicht darauf hin wirken, das Grund-
recht des Art. 5 GG zu beschränken, sondern »dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtgutes dienen“ (Bonner Kommentar, Art. 5 A. II 2 b). Danach ist § 123 StGB als Schutznorm für das dem Eigentum entspringende Hausrecht eine der Schranken des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Überdies wurde dem Angeklagten durch die Verweisung aus dem Grundstück nicht sein Recht, gegen die Polizei zu protestieren, in erheblicher Weise beschränkt. Es wurde ihm lediglich diejenige Modalität der Meinungsäußerung, mit der er die Rechte eines Dritten verletzt, verweigert.

Schuld:

Der Angeklagte hat die Tat in schuldhafter Weise begangen. Nach seiner eigenen Einlassung war er sich bewusst, dass seine Handlung einen erschwerten Hausfriedensbruch darstellte. Er nahm das jedoch in Kauf, um nicht wegen unerlaubten Demonstrierens außerhalb des umzäunten Bereichs nach anderen Normen straffällig zu werden.

Die Annahme, er könne sich auf Grund des Demonstrationsrechtes über das Verbot des § 123 StGB hinwegsetzen, entschuldigt den Angeklagten nicht: Da er nicht über das Vorliegen eines Rechtfer-
tigungsgrundes irrte, sondern lediglich über eine rechtliche Wertung, liegt kein vorsatzausschlie-
ßender Tatbestandsirrtum vor. Der hier in Betracht kommende Verbotsirrtum war jedenfalls ver-
meidbar, da dem Angeklagten allein schon auf Grund seiner Vorbildung klar sein musste, dass das Grundrecht des Art. 5 GG nicht zu Straftaten berechtigt.

Strafzumessungsgründe:

Neben dem verschuldeten Verbotsirrtum wirkte sich strafmildernd aus, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist und dass er dem ihm zur Last gelegten Sachverhalt ohne Ausflüchte zugibt. Vor allem wurde dem Beklagten zugute gehalten, dass er den Hausfriedensbruch nicht zum Zweck einer Straftat, sondern zur Wahrnehmung seines ihm an sich zustehenden Demonstrationsrechtes begangen hat. Der Angeklagte machte einen ausgesprochen guten Eindruck und ließ erkennen, dass er keinesfalls zu denjenigen gehört, die zur Durchsetzung politischer Forderungen rück-
sichtslos die Rechte anderer missachten.

Straferschwerend musste dagegen berücksichtigt werden, dass über das Tatbestandsmerkmal der gemeinschaftlichen Begehungsweise hinaus in der großen Zahl der Mittäter und in der überaus hartnäckigen Weigerung, das Grundstück zu verlassen, ein recht erheblicher Eingriff in das Haus-
recht zu sehen ist.

VII. Kurzübersicht über die verhängten Strafen:

Wetter 1 Jahr Gefängnis o.B., da nur eine Strafe von nicht mehr als 9 Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Koderer 9 Monate o.B.
Schmitz-Bender 8 Monate o.B.
Aschenbrenner 4 Monate o.B.
Schlemper 4 Monate m.B.
Kohlhammer 4 Monate m.B.
Zehringer 3 Monate m.B.
Bokelmann 3 Monate m.B.
Klipphahn 3 Monate m.B.
Fichtel 6 Wochen m.B.
de Vos 1 Monat m.B.
Kensche 300 DM
Saharkiz 300 DM
Steinbrecher 200 DM
Bachmayer 30 DM
Tewes 3 Wochenenden Freizeitarrest
Vogel 1 Wochenende Freizeitarrest


Kürbiskern. Literatur und Kritik 4/1968, 689 ff.