Materialien 1968
1968, ach ja, 68 ...
Da war ich bei der Besetzung der Kammerspiele dabei, es ging um die Notstandsgesetze. Das hat mich endgültig geheilt von Demonstrationen jeder Art. Um 19 Uhr machten die Kammerspiele auf, wir gingen in den Saal, der voll war, sagten, wir wollten über die Notstandsgesetze diskutieren, die Schauspieler solidarisierten sich mit uns. Da kam Everding, bat, den Saal zu räumen. Nichts ge-
schah. Er wollte jemanden verantwortlich machen aber wir übernahmen alle die Verantwortung.
Dann stand eine Dame in Nerzjäckchen in der zweiten Reihe auf: sie sei schon dafür, dass darüber diskutiert würde, das sei extrem wichtig. Sie wohne aber in Grünwald und da sei es schwierig, einen Babysitter zu finden und gerade für heute Abend hätte sie einen gefunden. Deshalb würde sie vorschlagen, doch zunächst die Vorstellung zu geben und nachher zu diskutieren.
>Abstimmen!< meinte Everding. Und neunzig Prozent waren plötzlich dafür zu spielen, dass die Dame im Nerzjäckchen ihr Stück bekam. Wir gingen hinaus und mein Entschluss stand fest: >Nie mehr!<
Johannes Schaaf
Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 878.