Materialien 1969

„Opel-Häusler lehrt Euch – Lehrlinge, wehrt Euch!“

Die Firma „Opel Häusler“ in der Landsbergerstraße wird in diesem Jahr hundert Jahre alt. Stattlich fürwahr! In dieser nunmehr 100-jährigen Firma (was nichts aussagen soll) werden über 100 Lehrlinge nach einem 100 Jahre alten Gesetz ausgebildet. Ein derartig seltenes Jubiläum muss gebührend gefeiert werden, dachten die Mitglieder des Arbeitskreises „Münchner Lehrlinge“ und so kamen sie denn auch am vergangenen Freitag in der Mittagspause zur Firma Häusler. Mit ihnen kam in einer antiquierten Karosse eine 100-jährige Dame; die „Oma Reichsgewerbeordnung (siehe Titelblatt). Eben jenes Gesetz aus dem Jahre 1869 (in Worten: achtzehnhundertneunundsechzig) in dem es u.a. heißt:

„Der Lehrling ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen“, der die „Befugnis zum Halten von Lehrlingen besitzt.“

Das Jahr 1869 verdient es kurz charakterisiert zu werden. 3 Jahre zuvor endete der Preußisch-Bayerische Krieg, dessen Sensation die erstmalige Einsetzung von „Hinterladern“ auf preußischer Seite war. Mittlerweile hat man da probatere Mittel. Beispielsweise A- und H-Bomben, chemische und bakteriologische Waffen usw. Man wurde nicht müde seit der Zeit, zu forschen und Gesetze zu erlassen (Steuergesetze z.B., um die steigenden Rüstungsausgaben zu finanzieren) und das nicht nur auf militärischem Gebiet.

Zurück aber zu „Opel Häusler“. Dort ist es, so führten die AK-Mitglieder in einem Flugblatt aus, üblich, dass Lehrlinge bei schlecht geführten Berichtsheften die Lehrlingshilfe teilweise oder ganz zurückbehalten wird, dass Lehrlinge am Samstag STRAFarbeiten müssen (ohne Entgeld versteht sich!). Bei „Opel Häusler“ gibt es keinen Jugendsprecher, obwohl das Gesetz einen solchen ab 6 beschäftigten Jugendlichen fordert. Diese „betriebsspezifischen issstände“ führen die Mitglieder des AK „Münchner Lehrlinge“ zurück auf die „prinzipiell veraltete Berufsausbildung“. Sie fordern daher:

1. Keine Samstagsstrafarbeit mehr!
2. Wahl eines Jugendsprechers bei der Fa. Häusler!
3. Weg mit 100-jährigen Oma-Gesetzen!

Wir brauchen ein einheitliches Berufsausbildungsgesetz, das die Zukunft der arbeitenden Jugend sichert und nicht die Gewinne der Unternehmer!

Weiter kritisieren sie, dass auch für die Ausbildung der Lehrlinge allein der ‚Unternehmer zuständig ist (also auch für die theoretische Ausbildung). Es müssen daher überbetriebliche Lehrlingswerkstätten und Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden, die den Erfordernissen der Zeit entsprechen. Ihre Finanzierung könnte aus den Gewinnen der Konzerne getätigt werden. Der Lehrling, dessen Arbeitskraft außergewöhnlich billig ist, darf nicht ausgebeutet werden. Er muss einen, seiner Leistung entsprechenden Lohn bekommen.

Mit Flugblättern und Megaphonen agitierten ca. 30 junge Genossen, „Opel Häusler“ beweist, wie man Lehrlinge bescheißt, Opel-Häusler lehrt Euch – Lehrlinge wehrt Euch!“ bei starkem Schneefall und nasskalter Witterung. Die Lehrlinge standen derweil unterm Werkstattor und wussten nicht so recht was tun. Ab und zu warf einer einen Schneeball auf die Gruppe. Anders die Geschäftsleitung. Einer ihrer Vertreter kam schon in den ersten Minuten und erkundigte sich, wieso sie nicht zum „zuständigen“ Lehrlingsausbilder gegangen seien. Wie überhaupt die Herrn Geschäftsleiter sehr nervös reagierten. Nach kurzer Zeit kam er ein zweites Mal. „Ob es sich rentiert, wenn ich die Polizei hole, nicht dass Sie inzwischen weg sind!“, meinte er besorgt: Die Genossen zeigten sich gleichmütig und da meinte er, dass man im Büro weiterreden könne. Da jedoch auch dieses großzügige Angebot nicht verfing, zog er mit der Bemerkung „Schade, dass man mit Ihnen nicht reden kann“, ab. Die Polizei kam auch mit zwei Autos, nahm Personalien auf, murmelte was von Hausfriedensbruch, verhielt sich aber ansonsten ruhig. Auch ein milchgesichtiger Popo1 schlängelte sich durch die Reihen und versuchte, ein Flugblatt zu ergattern. Personalchef, Lehrlingsausbilder, Geschäftsführer samt diverser Speichellecker (die eine „lange-Haare“-Debatte führten), Polizei mit und ohne Uniform, alle waren da – nur vorerst keine Lehrlinge. Man muss die Geduld und Beharrlichkeit der Genossen bewundern. Sie ließen sich nicht beirren, zeigten keine Frustrationserscheinungen, sondern versuchten weiter, mit Lehrlingen in Diskussion zu kommen. Und sie wurden belohnt. Plötzlich waren sie da und es entwickelte sich eine Diskussion. Die Lehrlinge wiesen auf die fatale Tatsache hin, dass sie bei jedem Versuch, etwas „zu machen“, Repressionen zu erwarten hätten. An erster Stelle stünde hier die Samstags-Strafarbeit. Die AK-Mitglieder wiesen auf die Notwendigkeit der Organisierung der Lehrlinge auf breiter Basis hin. Die Solidarität der einzelnen Lehrlinge untereinander verhindere Repressalien gegen einzelne. Dem stimmte denn auch die Mehrzahl der Lehrlinge zu. Und sofort begannen sie etwas konkreter über mögliche Formen zu diskutieren. Die Wahl eines Jugendsprechers unterstützten sie. Nun wurde von Seiten der Geschäftsführung, unterstützt durch die Polizei, erneut der Versuch unternommen, „die Sache von der Straße wegzubekommen“. Die Polizei spielte auf Hausfriedensbruchparagraphen an, die Geschäftsführung – jovialer – wollte „mal über die Sache reden“. Die Diskussion versandete allerdings sehr schnell. Wir hatten Gelegenheit, mit dem Betriebsboss zu reden, der die Behauptung, es gebe bei „Opel Häusler“ Samstags-Strafarbeit, zu widerlegen suchte.

Nach seinen Worten sind Samstags lediglich 2 voll ausgebildete Mechaniker im Betrieb, weil „wir ja am Samstag gar keine Lehrlinge beschäftigen dürfen“. Auf Nachfragen gestattete er „apo press“, an einem x-beliebigen Samstag eine unangemeldete Kontrolle durchzuführen. (Wir werden das an einem der nächsten Samstage tun und darüber berichten). Zur detaillierten Beschreibung reichte er uns an den Personalchef, Herrn Probst, weiter. Dieser wusste ebenfalls nichts von Lehrlings-Samstagsarbeit und bekräftigte die Einladung an uns, „Opel Häusler“ zu besuchen. Er räumte ein, dass den Lehrlingen „aus erzieherischen Gründen“ in bestimmten Fällen die Lehrlingsbeihilfe einbehalten wird. Anschließend an diese Gespräche befragten wir erneut Lehrlinge zu diesem Thema:

„apo press“: „Die Herren der Geschäftsleitung bestreiten, dass es Samstags Strafarbeit für Euch gibt. Wie ist das?“
Lehrlinge: „Das hängt vom Berichtsheft ab. Wenn wir ein schlechtes Heft haben, müssen wir Samstag kommen.“
„apo press“: Wer verhängt diese Strafe?
Lehrlinge: „Der Lehrmeister.“
„apo press“: „Und wie geht das vor sich?“
Lehrlinge: „Der Lehrmeister schreibt sich die Namen der ‚Kandidaten’ auf ein Blatt und liest das Freitagabend dann vor.“
„apo press“: „Hat jemand von Euch, also aus diesem Kreis, schon Samstags gearbeitet?“
Lehrlinge: „Ja, fast alle!“
(Dieses Gespräch ist nicht wörtlich, sondern sinngemäß wiedergegeben!)

Weiter meinten die Lehrlinge, dass eine kurzfristige Besserstellung nur über eine Änderung der „Gewerbeordnung“ (also des Ausbildungsgesetzes) zu erreichen sei. Einem Lehrlingszusammenschluss gaben sie längerfristig große Chancen, befürchteten aber, dass auf dem Weg dahin die Bosse die jeweiligen Sprecher unter Druck setzten könnten. Zur Verstärkung der arg bedrängten Geschäftsleitung trat nun der Betriebsratsvorsitzende der Firma auf den Plan. Er erklärte die Wahl eines Jugendsprechers zur „Angelegenheit der Jungen“. Ein Lehrling habe sich vor einiger Zeit um eine Jugendvertretung bemüht, aber nicht einmal sechs Lehrlinge zusammengebracht. (Nach dem ‚warum’ dieses Fakts fragte er sich nicht.) Er reagierte überhaupt sehr nervös und offensichtlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Die Beschaffung der Wahlordnung, die Aufklärung über „Wie“ und „Was“ der Wahl delegierte er an die Jugendlichen. (Obwohl das Betriebsverfassungsgesetz ausdrücklich diesen Aufgabenkreis dem Betriebsrat zuweist.)

Als das Gespräch sich immer mehr im Kreis drehte, flüchtete er zur Verunglimpfung eines Lehrlings. XY sei schon seit März krank, müsse außerdem 5 Monate nachlernen und ausgerechnet der will einen Jugendsprecher.

Wir fragten den Betriebsrat: „In dem Flugblatt wird gesagt, es gäbe hier Samstagsarbeit für Lehrlinge, stimmt das?“

Er antwortete (wörtlich): „So, das steht da drin? Da steht viel drin, was eine faule Angelegenheit ist.“

„Ja können Sie uns sagen, stimmt das oder stimmt das nicht?“

Auf die Frage möchte er nicht eingehen. Er entfernte sich eilig. Die Mittagspause der Lehrlinge war mittlerweile zu Ende gegangen und die „Herrn“ druckten sich sanft in Richtung Werkstatt. Die Mitglieder des Arbeitskreises rückten ebenfalls ab.

Wenn man nach Erfolg oder Misserfolg dieser Aktion fragt, würde ich mich für ersteres entscheiden. Trotz miesen Wetters gelang es mit Lehrlingen in Kontakt zu kommen und die Diskussion zeigte ja (so dürftig sie auch gewesen sein mag), dass Bereitschaft und Interesse besteht, die eigene Lage zu verändern. Inwieweit das für die Zukunft gilt und wirksam wird, wird sich zeigen müssen. Immerhin, die Nervosität und Aggressivität der Geschäftsleitung ist ein deutliches Indiz dafür, dass man hier ins Schwarze getroffen hat. Die Genossen haben angekündigt, dass sie „Opel Häusler“ nicht aus den Augen verlieren wollen. Falls es zu Unterdrückungsversuchen kommen wird, wollen sie neue Aktionen starten. Im übrigen betonten sie in einer Presseerklärung, dass die „Oma Gewerbeordnung“ weitere Betriebe in München aufsuchen wird.
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Der Arbeitskreis „Münchner Lehrlinge“ trifft sich jede Woche
am Montag um 19.30 Uhr in der Reisingerstr. 5/Rgb.
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Im gesamten Bundesgebiet wird derzeit, koordiniert von der SDAJ, diese Kampagne gegen die Reichsgewerbeordnung durchgeführt. Zum „Geburtstag“ des Uralt-Gesetzes, am 21. Juni rufen sie zu einer zentralen Demonstration nach BONN auf. Die Aktionen stehen unter den Forderungen:

1. Brauchst DU einen billigen Arbeitsmann, schaff Dir einen Lehrling an!
2. Statt Unternehmergeschwätz Ausbildungsgesetz!
3. In der Rüstung sind sie fix, .für die Bildung tun sie nix!
4. Bildung ist kein Ungeheuer, doch den Bossen viel zu teuer!
5. Das Übel an der Wurzel packen, alle Großkonzerne knacken!

Diese Slogans sind auch auf Kleinplakate (deren Rückseite gummiert ist) gedruckt. In einem Horten-Kaufhaus klebten diese Dinger überall. – sogar an der Tür des Geschäftsführers. Der setzte DM 50,- zur Belohnung für die Ergreifung der „Täter“ aus, erfuhr aber dennoch nichts. Die Zettel klebten weiter und bewirkten u.a., dass auf die schulische Ausbildung nunmehr mehr Wert gelegt wird als bisher.

(he)


apo press. Informationsdienst für die Außerparlamentarische Opposition 14/II vom 21. April 1969, 2 ff. (Foto der „Oma“ auf der Titelseite)

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1 = Politische Polizei