Materialien 1969
Warum habt Ihr Euch nicht darauf berufen ...
daß der 1. Mai der Tag der für ihre Rechte und Interessen kämpfenden Arbeiterschaft ist? Weil Ihr in diesen Jahrzehnten den 1. Mai zu einer Festveranstaltung gemacht habt, die den Anschein erweckt, als würde die bestehende kapitalistische Gesellschaftsordnung der Arbeiterschaft zu ihrem Recht verhelfen. Ihr habt den 1. Mai zur Tribüne der Herren gemacht, die für die bestehende Gesellschaftsordnung Reklame machen und die die Interessen der Arbeiter mit Füßen treten. Oder wollt Ihr bestreiten, daß auf den 1. Mai Kundgebungen Vertreter der Parteien gesprochen haben, die die Hand erhoben für die Notstandsgesetze und für Verteuerung von Arbeiterwohnungen durch den „Weißen Kreis“? Ihr selbst speist am 1. Mai die Arbeiterschaft mit hohlen Worten ab, die der Ersatz für die Taten sein sollen, daß die Bundesregierung nun Ernst macht mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze. Aber an diesem 1. Mai konnten die zum Widerstand bereiten Arbeiter aus Eurem Munde noch nicht einmal etwas darüber hören, ob und wie sie mit Eurer Unterstützung rechnen können …
Warum ist der 1. Mai für Euch nicht mehr der Tag der für ihre Rechte und Interessen kämpfenden Arbeiterschaft? Weil die Gewerkschaften ihre Aufgabe gar nicht mehr im Kampf gegen den Kapitalismus und für eine Gesellschaft, in der die Arbeiterschaft zu ihrem Recht kommt, sehen. Sondern die Gewerkschaftsvorstände vermitteln nur noch wie ein Makler zwischen den Arbeitern und den Kapitalisten und schützen oft genug sogar die bestehenden Verhältnisse vor den Ansprüchen der Arbeiterschaft …
Seit Jahrzehnten habt Ihr den 1. Mai in Beschlag genommen, um Eurer Politik des ständigen Nachgebens den Glanz des Erfolges zu geben. Wir von den Arbeiter-Basisgruppen der Außerparlamentarischen Opposition und der SDS-Arbeitsgruppe für Betriebs- und Wohnungsfragen aber haben den Königsplatz nicht deswegen beantragt, um uns anstelle von Euch dort einzurichten. Wir wollen den 1. Mai nicht für uns, sondern für die Arbeiterklasse, die für ihre Rechte und Interessen kämpft und sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfindet. Der 1. Mai war nie ein Tag irgendeiner Gewerkschaft, sondern ist seit fast einem Jahrhundert der Kampftag der Arbeiterklasse in der ganzen Welt.
Nachdem wir den Königsplatz vor Euch beantragt haben, verlaßt Ihr Euch nun darauf, daß das Amt für Öffentliche Ordnung, der Stadtrat und die Gerichte Euch dazu verhelfen, den 1. Mai wieder wie bisher durchzuführen. Wir aber meinen: für die Entscheidung über den 1. Mai sind nicht die Einrichtungen der herrschenden Klasse zuständig, sondern diejenigen, deren Tag der 1. Mai sein soll. Wir fordern Euch darum zu betriebsnahen Veranstaltungen auf, auf denen Ihr Euch und wir uns der Diskussion über die Durchführung der 1. Mai-Kundgebung in München stellen. Solltet Ihr aber unbedingt auf eine Entscheidung des Amts für öffentliche Ordnung bestehen, so bestehen wir selbstverständlich auf unserem Recht als die ersten Antragsteller. Wir sind selbstverständlich auch dann bereit, Redner von Euch zu Wort kommen zu lassen. Die Arbeiter werden dann selber am besten entscheiden können, wer ihnen was zu sagen hat.
1. Mai – Informationen und Kontakte sind einzuholen bei:
- U. Fritzsche (Basisgruppe West),
- Gernot Schubert (Basisgruppe Süd),
- Thomas Schmitz-Bender (SDS).
apo press. Informationsdienst für die Außerparlamentarische Opposition vom 4. März 1969, 9 ff.