Materialien 1969

Ja die Weiber

SCHÜLER / UNDERGROUND

Das Verbrauchermagazin „DM“ des Frankfurter Verlages Bärmeier & Nikel testet in seiner jüngsten Ausgabe unter anderem Farbfernsehgeräte und Striptease-Lokale („Nächte ohne Nepp“).

Im selben Verlag erscheint das Schülermagazin „Underground“. In seiner letzten Ausgabe testete es ebenfalls – aber eine Institution und einen Beruf, die bislang noch nie so erprobt worden sind: Beichtstühle und Priester. Die Test-Note für sechs überprüfte Beichtväter wurde pauschal verge-
ben: „Verklemmte Apostel“.

Kein Test der „DM“ hat – abgesehen vom Verriss des VW im Jahre 1964 – die Öffentlichkeit so beschäftigt wie diese Beichtstuhl-Erprobung. Bundespräsident Lübke empörte sich öffentlich fast so wie die „Welt“ („steht in ihrer Gemeinheit bisher einzigartig da“), und Münchner CSU-Abgeord-
nete beschwerten sich im Landtag. Etliche Instanzen schalteten sich ein – so der Presserat, das Bundesfamilienministerium und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.

Das Pennäler-Periodikum, in dem nach eigenem Bekenntnis „nur die beiden Chefredakteure länger als zwei Jahre von der Schule weg“ sind, muss derzeit bei einer verkauften Auflage von 85.000 Exemplaren noch vom Verlag subventioniert werden. Verleger Erich Bärmeier, 40: „Erst bei 100.000 ist die Schallmauer durchbrochen.“

Die Redaktion, erpicht auf Auflagen-Zuwachs, entsandte Gymnasiasten in bayrische Beichtstühle. Ihr Auftrag: Sie sollten darum bitten, dass ihnen die jeweils gleiche – weil vorher abgesprochene – „schwere Last“ von der Seele genommen werde: „Ich habe eine Freundin. mit der habe ich seit zwei Monaten Verkehr. Ich komme nicht mehr von der Sache los.“

Alle Beichtväter, so berichteten die Schein-Sünder, hatten zunächst nach Heiratsabsichten (Antwort: „Nein“) und nach der Häufigkeit („ein bis zweimal pro Woche“) gefragt, ehe sie Fleischeslust verurteilten und Triebbeherrschung anrieten.

So empfahl ein Pater Grünwald (München) angeblich: „Wenn Sie sich mit dem Mädel nicht zu oft und nicht allein treffen und nicht an Orten, wo es zu einfach wäre, dann kommen Sie auch nicht in Versuchung.“ Grünwald war der mildeste Beichtvater: „Als Buße beten Sie mal zwei Vaterunser.“

Pfarrer Taubenberger (München) sah ein „böses Ende“ voraus, das er abzuwenden suchte: „Schluss damit! Schluss, Schluss, Schluss. Gelt?“ Als Buße erschien ihm das Beten eines Glaubensbekennt-
nisses und eines Rosenkranzes angemessen.

Was „unserem Mann“ damit zugemutet wurde, zählte das Schülerblatt empört auf: „So ein Rosenkranz besteht aus sechs Vaterunsern und 54 Gegrüsset seist Du Maria, außerdem noch diverse Litaneien … Stramme Beter benötigen dazu rund eine halbe Stunde.“

Einen praktischen – wiewohl nicht kirchenkonformen – Wink gab der Geistliche Rat Max Zistl (München): „Sie können ja zu jeder Dirne gehen, wenn Sie nur die Befriedigung des Geschlechts-
verkehrs haben wollen!“ Zistl ließ auch weibliches Mitverschulden gelten: „Ja, die Weiber, die sind ganz verflixte Luder!“ Gleichwohl erwies er sich als strengster Beichtvater. Er verlangte „dreimal den Rosenkranz“.

In seinem Kommentar zu den Test-Ergebnissen kam „Underground“ zu Pauschalurteilen, wie
sie seit Julius Streichers „Stürmer“-Zeiten in deutschen Blättern nicht mehr zu finden waren. Textprobe: „Was die katholischen Repräsentanten mit ihren „Beichtkindern“ tun, ist eindeutig jugendgefährdend, ist ein unerlaubter Eingriff in die persönliche Freiheit jedes einzelnen.“

Das Heft lag kaum an den Kiosken aus, da verkündete „Underground“-Chefredakteur Gerhard Schmidt, 28, befriedigt: „Wir haben da offensichtlich in ein Wespennest gestoßen.“

So schien es in der Tat. Im Münchner Landtag vermochte CSU-Innenminister Bruno Merk aufgebrachte CSU-Abgeordnete nur unzulänglich mit dem Hinweis zu beschwichtigen, er wolle prüfen, ob er einen Indizierungs-Antrag stellen werde.

Doch dieser Mühe enthob ihn das Bonner Familienministerium. Und prompt wie selten entsprach die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften dem Antrag. „Underground“ wurde „vorläu-
fig indiziert“ – freilich antragsgemäß nicht wegen des Beichtstuhl-Tests, sondern wegen dreier anderer Beiträge. Darin wurden Probleme von Jugendlichen geschildert, die es in „autoritären Elternhäusern“ nicht mehr ausgehalten hatten.

„Underground“ blieb nur ein paar Tage auf dem Index. Am Mittwoch vergangener Woche wurde die Indizierung von einem Kölner Verwaltungsgericht vorerst aufgehoben, das am Freitag dieser Woche endgültig entscheiden will.

Für den Deutschen Presserat war die Beicht-Story ein „Wiederholungsfall“. Das satirische Monats-
blatt „Pardon“, das ebenfalls im Verlag Bärmeier & Nikel erscheint, hatte im März 1967 seinen Reporter Günter Wallraff unter falschem Namen bei Geistlichen teils im Beichtstuhl, teils per Telephon fragen lassen, ob er als „katholischer Unternehmer mit Gewissensbissen“ Napalm für die US-Army in Vietnam liefern dürfe. Die meisten Priester äußerten keine Bedenken, sofern es „gegen die Roten“ angewendet würde.

Die Mitglieder des Presserates gelangten zu der „übereinstimmenden Auffassung, daß diese Form der Informationsbeschaffung den Grundsätzen eines fairen Journalismus widerspricht und zu missbilligen ist“.

Mit denselben Worten wurde am vergangenen Dienstag nun auch „Underground“ vom Presserat getadelt.

Das Erzbischöfliche Ordinariat München, in dessen Beichtstühlen „Underground“ gehaust hatte, ließ offiziell verlauten, dass es sich bei der Veröffentlichung „auf jeden Fall um einen groben Miss-
brauch kirchlicher Einrichtungen und um eine schwere Verletzung der Gefühle der Gläubigen“ handele. Ob allerdings die Kirche beantragen soll, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, mochten die vom Ordinariat bestellten Gutachter bislang nicht entscheiden.

Die Schelte von Klerikern und Kollegen traf die „Underground“-Leute nicht überraschend. Bärmeier: „Hätten Sie etwas anderes erwartet?“

„Dass diese Recherchier-Methode nicht schön ist“, bekennt Bärmeier heute. Aber: „In einem Ausnahmefall wie diesem war sie gerechtfertigt und nicht absichtlich unfair.“

Die jungen „Underground“-Leute wollen Ausnahmefälle zur Redaktionsregel machen. Chefredakteur Schmidt: „Wir setzen die Aktion fort.“


Der Spiegel 19 vom 5. Mai 1969, 70 ff.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Religion

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