Materialien 1969

Revolution aus Deutschland

POP-MUSIK

Anfang 1969 wird eine neue Platte auf dem Musikmarkt erscheinen, die eine neue Ära des Schau-
geschäftes einleiten soll: nach dem Beat und seinen Ausläufern feiert die „Percussion“ ein laut-
starkes come-back. Ihre Geburtshelfer: die acht Männer, drei Mädchen und zwei Kinder der „Amon Düül“, Deutschlands erster Musik-Kommune.

Für Vlado Kristls Filmexperiment „Der Brief“ hatten sie schon einmal geschrieen, auf Kochtöpfen geklappert und gepfiffen. Damals, 1966, lebten sie noch in einem Apartment-Zimmer in Schwabing zusammen, legten Ravi Shankar auf den Plattenteller und auch alles, was an West Coast Music aus Amerika greifbar war. Im Deutschen Museum schlichen sie begehrlich um die ausgestellten exoti-
schen Musikinstrumente. Aber Geld zu verdienen – das lag ihnen nicht. Und so konnten sie nicht einmal ihre Gitarren elektrifizieren.

Zusammen waren sie aus dem Internat gegangen, zusammen aus der Malklasse des Happening-Akademikers Waki Zöllner ausgeschieden. Die Drop-Outs: Söhne der Berliner Aktfotografin Ica Villander. Der lyrische Lockenkopf Rainer, der das Wort „Bäume“ singt, dass es wie ein Gedicht klingt. Falk, Sohn eines hochamtlichen Entwicklungshelfers. Chris, der aussieht wie ein Zigeuner-Primas (und natürlich die Geige fidelt). Peter, der die Pauke haut. Der australide Ulli, zwischen dessen exotischen Lippen das ewige Schweigen nistet. Schrat, der geschäftige Elektriker, dem die Mutter sein Erbteil an der väterlichen Fabrik verweigert. Zwei ernsthafte Puppenkinder, von kei-
nem Erziehungsschema behelligt. Und die stillen, schlanken Mädchen mit den aparten Gesichtern und der achtlosen Kleidung, ihre untertänigen Frauen.

Geheimnisvoll bleibt, woher plötzlich die Geschenke kamen: ein Mini-Cooper und ein Transport-Bus, Verstärker, Instrumente, eine größere Wohnung am Prinzregentenplatz. Die Kommune ent-
wickelte sich unaufhaltsam zur Musik-Farm. Noch spielten sie ausschließlich für ihre Kollegen aus der Akademie-Zeit: bei Künstlerfesten, bei einem Happening, auf der „documenta“. Und für die Revolution, als im Sommer 1968 die Münchner Universität für eine Nacht in die Hand der Studen-
ten geriet. Die Aufschrift: „Amon Düül was here“ im Lichthof der Universität zeugt noch heute von der Untermalung, die der Aufstand genoss.

Dann ließen sie die Weltstadt mit Herz hinter sich und spielten für Taglohn: in Kassel und im Koh-
lenpott, schließlich auf den Essener Songtagen. Die etablierten Show-Experten ignorierten sie. Felix Schmidt vom „Spiegel“ fand sie „unmusikalisch“, ganz zu schweigen von „Bravo“. Die jungen Schreiber jedoch lobten sie.

Hans-Jürgen Spürkel: „Diesmal kommt – o Wunder – die Revolution aus Deutschland … Der Ge-
sang, jahrelang gehütetes Heiligtum der Pop-Gruppen, ist nicht mehr. An seine Stelle sind ,Urlau-
te’ getreten, wie sie die Amon-Düül-Kommune verwendet: kurze schrille Schreie oder langgezoge-
ne Klagelaute, die bis ins Mark des Zuhörers gehen. Dazu ein fremdartiger, aus Tom-Tom-Trom-
mel, Rumbarassel und Gitarre zusammengebastelter Sound, und der psychedelische Nervenschok-
ker ist perfekt.“ Und Werner Sillescu etikettierte im „Hamburger Abendblatt“ den Sound der Amon Düül: „Afrikanische Percussionsmusik“.

Die unterschiedliche Auffassung bei „Pop-Experten“ und Jungjournalisten mochte von der Infor-
mationspolitik der Amon Düül herkommen: Grundsätzlich widerborstig, mit einer paranoiden Scheu vor Fotografen und Interviewern, konnte kein Journalist je eine Auskunft aus ihnen heraus-
locken. Die jungen Kritiker dagegen warteten nicht auf Auskünfte der Amon Düül, sondern hörten mit eigenen Ohren hin. Und sahen: wenn die Amon-Düül-Bunnies im zuckenden Licht-Flash die Hüften und die Tambourins schwingen und die Papua-Köpfe der Amon-Düül-Männer über der ohrenbetäubenden Kombination von sechs zugleich geschlagenen Trommeln wippen, sind sie in der Süddeutschen Zeitung „unwirklich schön wie Pop-Ikonen“.

Da die einen Zeitungen die Amon Düül immer nur ignorierten und die anderen immer nur lobten, fanden sich bald Geschäftsfreunde ein: die Münchener Nachtklubbesitzer Samy ließen ausrichten, dass sie mäzenatisch gesonnen seien. „PN“-Wirt Peter Naumann persönlich holte die Amon Düül nach Berlin zurück – und verlangte Star-Preise für den Eintritt zu ihrer Show. Die Kommune brach auseinander. Geschäftssinnig die einen – , auf der Sudle nach musikalischem Schliff die anderen.

Sie verließen die Zweizimmer-Hütte in Johanniskirchen bei München, die mittlerweile ihr drittes Domizil geworden war, und suchten sich getrennte Unterkünfte: Die Amon Düül, die erfolgreich sein wollten, bezogen die Villa Alpenblick, ein weitläufiges Herrschaftshaus über dem Starnberger See. Weitab aller Anstoß nehmenden Ohren berauschen sie sich dort am Dröhnen von fünfzehn mächtigen Windsor-Verstärkern.

Schließlich kam ihnen ein Mann mit Spürsinn auf die Schliche: Peter Meisel, der seinerzeit Drafi Deutscher und Manuela aus den Hinterhöfen zog und zu Geld und Schlagerehren brachte, nahm die Musiker in Essen unter Vertrag. In der Aula der pädagogischen Hochschule, wo sie wegen eines Verstärkerdefekts unfreiwillig pausieren mussten, ließen sie sich einfangen. Eine LP pro Jahr soll-
ten sie für Meisel betrommeln und beheulen, dazu mehrere Singles, die Meisels Agenten in Disko-
theken und Musikboxes zum Schrittmacher für die Amon Düül bestimmt hatten.

In Sorge, ob die Investition in den Psychedelic-Nachwuchs sich überhaupt lohnt, wenn die Gruppe nicht mehr zusammenzuhalten ist, hat Meisel inzwischen das Erscheinen der ersten Platte hinaus-
gezögert. Denn: noch während der Aufnahmen in Berlin sprangen die Schlagzeuger Peter und Leo ab. Begründung Leos: „Man kennt sich schon so lange und ist so austauschbar, dass ich einem gegenübergestanden bin und nicht mehr wusste, wie er heißt.“ Hinzu kam die plötzliche Freund-
schaft der Amon Düül 1 mit der Kommune 1. Die Kommunarden Kunzelmann und Opfermann zogen mit AD 1 nach Bayern (Kunzelmann singt, Opfermann schlägt die Bongos). Helge jedoch vermochte sich mit ihnen nicht anzufreunden; als Konsequenz verließ er die Gruppe und kehrte samt Frau zurück zu Mama Villander nach Berlin.

Die Abgespaltenen der AD 2 – Chris, Peter, Leo, Schrat, Falk und Renate – nisteten sich zunächst bei einer Freundin ein, bis der Hauswirt kündigte. Sie sammelten weitere Musiker – zumeist ehe-
malige Free Jazzer – um sich: einen Schlagzeuger, einen Saxofonisten mit Frau und einen Melodie-Gitarristen. In einer Villa über dem postkarten-blauen Ammersee arbeiten sie intensiv an einer Neuauflage des Amon-Düül-Sounds.

Werner Schmidmaier


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 4 vom 10. Februar 1969, 46.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen