Materialien 1969

In München arbeiten gegenwärtig ...

mindestens 3 oppositionelle Künstlergruppen:

1. Die Hochschulgruppe Sozialistischer Kunststudenten (HSK)
2. Die Künstler-Cooperative
3. Die „Aktion zur sozialen und kulturellen Erneuerung“

Dazu kommen als länger bestehende Gruppierungen die Redaktion und Gruppe tendenzen, deren Mitglieder teilweise in den genannten Zirkeln mitarbeiten oder deren Arbeit unterstützen und fer-
ner aktuelle Arbeitskreise wie die Zusammenarbeit von etwa 20 Malern, Graphikern und Schrift-
stellern zur graphischen und werbetechnischen Unterstützung des linken Wahlbündnisses „Aktion Demokratischer Fortschritt“ (ADF). Die Münchner Gruppierungen haben trotz der Tatsache, dass sie meist nur aus wenigen Aktiven bestehen, Modellcharakter. In ihrer jetzigen Form verstehen sie sich alle als Konsequenzen aus der nach der Annahme der Notstandsgesetze und dem wachsenden Widerstand entstandenen Lage auf dem Gebiet der Kultur. Die sozialistischen Kunststudierenden arbeiten eng mit dem linken ASTA der Kunstakademie zusammen. Der Münchener „HSK“ war we-
sentlich beteiligt an der Direkt-Aktion gegen die Biennale in Venedig und an den Solidaritätsaktio-
nen für die Ulmer „Hochschule für Gestaltung“. Die wichtigsten Schritte führen zur Basis: Zusam-
men mit Mitgliedern der „Künstler-Cooperative“ setzten die HSK-Aktiven nach ihrem Eintritt in den „Berufsverband“ dort die Bildung einer Projektgruppe „Kulturrevolution“ durch, die mit ihrer Kritik an der Arbeit des Vorstandes und verschiedenen konkreten Vorschlägen eine gewisse Reso-
nanz bei den bis dahin völlig desorientierten Kollegen fand. So kam es zu einem Treffen von Ver-
tretern des BBK und der Aktiven bei Stadtrat Hohenemser über die Frage der künstlerischen Pro-
jekte für die Olympiade, für die sich die Olympioniken eine „Spielstraße“ der optischen Media ausgedacht hatten. Die Sprecher setzten zunächst wenigstens einen Vertreter der Belange der Künstler bei solchen Beratungen durch, nachdem ein Flugblatt auf die völlig unkontrollierbaren und über die Köpfe der Künstler hinweg projektierten Olympiade-Vorbereitungen aufmerksam gemacht hatte. In der „Künstler-Cooperative“ treffen sich eine Reihe meist jüngerer Kollegen um den Maler Hans-J. Grollmann (8 München 71, Schieggstraße 6), um Theorie und Aktionen gegen den herrschenden Kulturbetrieb zu organisieren. Es fanden Diskussionen mit der Ausstellungs-
gemeinschaft der „Unabhängigen“ im Münchner „Haus der Kunst“, mit der Leitung des BBK und anderen Gruppen statt.

Umfangreiche Aktivität entfaltete die „Aktion zur sozialen und kulturellen Erneuerung“, die von den Malern R. Denke, C. Irle und A. Lier initiiert wurde. Nach einer, innerhalb der Linken zu-
nächst umstrittenen Programmerklärung – in der neben den herrschenden Institutionen etwa auch der „Dilettantismus“ attackiert wurde – erreichte die Gruppe eine breite Resonanz unter den Kollegen durch eine Eingabe an den Bayerischen Landtag, in dem aus einer Analyse der katastro-
phalen wirtschaftlichen Lage der Mehrheit der bildenden Künstler konkrete soziale Forderungen (Alters- und Krankenversorgung, Steuernivellierung, Erweiterung des Auftragswesens, Sicherstel-
lung der Existenzbasis) und – weniger konkrete – kulturpolitische Forderungen wie „Herauslösung der Kunst aus den Fängen der Freien Marktordnung“, „Liquidation autoritärer Leitungen in den Kunstbereichen“ erhoben wurden. Dieser Aufruf wurde von mehr als 300 Künstlern unterschrie-
ben und im BBK und vor anderen Gremien diskutiert. Die „Aktion“ arbeitet eng mit den vorher ge-
nannten Gruppen zusammen und plant jetzt eine neue Programmerklärung sowie direkte Aktionen zur Forcierung ihrer Forderungen.

In der liberaleren Zielsetzung der „Aktion“ spiegelt sich die kulturpolitische Artikulation vor allem der älteren Kollegen, so dass in München jetzt von den Kunststudierenden bis in den breiten Kreis der ständisch und fachlich Interessierten eine Basis für die oppositionelle Arbeit erreicht ist.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 58 vom Juni 1969, 79 f.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen