Materialien 1969

Projektgruppe Kulturrevolution

im Berufsverband Bildender Künstler, München

Aus der Satzung des BBK:

§ 2, Absatz 1:
„Zweck des Verbandes ist es, die Bildenden Künstler unter Ausschluss kunstpolitischer Ziele beruflich zu fördern.“
a) „die Vertretung der Interessen seiner Mitglieder bei den Behörden und in der Öffentlichkeit“
b) „Vereinbarungen mit den an der Bildenden Kunst Interessierten wirtschaftlichen Organisationen“
c) „Pflege des beruflichen Zusammenhaltes unter den Mitgliedern des Verbandes“

§ 2, Absatz 2:
die parteipolitische und konfessionelle Neutralität.

Solange der Widerspruch zwischen Künstler und Gesellschaft oder künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Unfreiheit nur als künstlerische Mentalität begriffen wird, bleiben auch die konkretesten Angelegenheiten nur abstrakt.

Kann ein Berufsverband wie der BBK München die Interessen der Künstler oder zumindest seiner Mitglieder wirkungsvoll vertreten, wenn er kunstpolitische Interessen schon von vornherein ausschließt? – „Politik umfasst nun aber ein Werden, dass mich und die Gemeinschaft, in der ich denke, fühle und handle, umfasst und durch mein gesamtes Verhalten schon mitbestimmt wird.“

Der Zweck des Verbandes also, die Künstler unter Ausschluss kunstpolitischer Ziele beruflich zu fördern, ist ein politischer Tatbestand, dessen irrationale Folgen sich an der gesamten Struktur und Arbeit des Verbandes nachweisen lassen. Die Gefahr besteht, dass nur eine Interessengruppe (Vorstand) ihre Bedürfnisse auf Kosten der anderen, passiv gehaltenen Mitglieder, befriedigt. Diese „Gegebenheit“ wird durch die mangelhafte Kommunikation der Mitglieder untereinander verfestigt; sie schließt eine Diskussion über anfallende Probleme (z. B. Olympische Spiele 72) von vornherein aus.

Ein „unpolitisches“ Beispiel: Staatsminister Dr. Heubel hielt anlässlich der Delegiertentagung des Bundes Deutscher Landesberufsverbände Bildender Künstler einen Vortrag „Der Künstler in der modernen Industriegesellschaft“, der, wie auf einer außerordentlichen Vorstandssitzung betont wurde, vom Verband selbst geschrieben worden war. Welche Rolle Dr. Heubel vor der Wiederwahl Hubers zum Kultusminister für einen Flügel der CSU gespielt hat, ist bekannt. Wessen Interessen sollten mit diesem progressiven Referat unterstützt werden, wenn nicht jene des Staatsministers? Bisher hat der Berufsverband offensichtlich keine Konsequenzen aus dieser „geistigen Standortbestimmung“ gezogen – und auch nicht ziehen können, da die Inhalte des Referats nur für das Image des Ministers verbindlich waren.

Ohne Aktionsbasis, die den Forderungen und Interessen des Verbands Nachdruck verleihen könnte, wird er notwendigerweise zum Agenteninstitut der Koalitionsregierung.

Merke: § 2, Abs. 2: „Der Verband ist parteipolitisch und konfessionell neutral.“ Die Berufsverbände der Bildenden Künstler befinden sich zur Zeit alle in derselben Krise, – die Situation ist nicht auf München beschränkt, z. B.:

Berlin: „Durch sein Selbstverständnis verzichtet der Verband darauf, die elementarsten Interessen der Künstler, für die er vorgibt zu sprechen, überhaupt jemals durchzusetzen. Obwohl er über die schwierige Lage der Bildenden Künstler am besten informiert ist, weigert er sich, die Ursachen dafür aufzudecken. Während er Almosen verteilt, verdeckt der Verband die eigentlichen Ursachen der Mißstände. Die Machtinhaber aber benutzen den Verband als Alibi. Sie weisen auf seine Existenz hin, wenn es darum geht, Verantwortung für die soziale Lage der Künstler abzuwälzen. Ebenso fühlen sich Museen, Galerien, Kunstvereine und Hochschulen anscheinend erleichtert und für immer befreit von der unangenehmen Aufgabe, über Berufsaussichten und Lebensstandard der Künstler nachzudenken. – Es gibt ja den Berufsverband, der sich darauf spezialisiert.“ (g. Bubenik)

Projektgruppen: Auf Beschluss der Mitgliederversammlung des Berufsverbands München wurde am 8. November 1968 ein Arbeitskreis gebildet, der sich in verschiedene Projektgruppen mit folgender Thematik aufteilt:

* das Selbstverständnis des Künstlers im historischen und utopischen Sinne (Probleme der existentiellen Notlage vieler Mitglieder im BBK);
* Kunst und Spiel (Olympiade 1972);
* Urbanität und Städteplanung; Kulturrevolution; Galerien und Museen, Probleme der Öffentlichkeit … etc.

Die Projektgruppen sollen einer Neuorganisierung des Verbands dienen – etwa nach dem Berliner Modell der Initiativgruppe im Berufsverband. Dort heißt es u.a.: „Die Initiative zu den Projekten und Aufgaben des BBK und deren inhaltliche Ausführung muss durch Arbeitsgruppen geleistet werden, die sich frei aus der gesamten Mitgliedschaft gebildet haben und dieser informationspflichtig und verantwortlich sind. Die Mitgliedschaft wird über die Tätigkeit der Arbeitsgruppen permanent informiert, sie kontrolliert sie und setzt sich mit ihr schöpferisch und kritisch auseinander. Die Mitgliedschaft hat Vetorecht. Dadurch ist eine Sicherung gegenüber dem Missbrauch des Vereins durch kleine Gruppen garantiert …“

Die Münchner Projektgruppe stieß bisher auf erhebliche Widerstände im Vorstand, der es nicht ermöglichen konnte, einmal wöchentlich einen Arbeitsraum zur Verfügung zu stellen, ebenso die Mitgliederkartei, – ganz zu schweigen von den Produktionsmitteln.

„Den Mitgliedern stehen verschiedene Einrichtungen zur Verfügung, die helfen sollen, die Berufsfragen und Sorgen zu lösen.“ In Verbindung mit den Ereignissen an der Akademie vom 20. Februar 1969 wurde von uns ein zusammenhängender Bericht verfasst.

Mit Hilfe der elektrischen Schreibmaschine im BBK sollte dieser Bericht geschrieben werden. Die Ablehnung des Vizepräsidenten Lambrecht mit dem „Argument“, es handle sich um „sachfremde Angelegenheiten“ provozierte uns zu der Frage – Wie sachfremd wird der Verband eigentlich verwaltet????

Solche Vorfälle sind keine Seltenheit, – sollte Ihnen Ähnliches passiert sein, teilen Sie es uns in Ihrem eigenen Interesse mit.

Projektgruppe Kulturrevolution im Berufsverband Bildender Künstler, München. Verantwortlich: Will Wieprsek, 8 München 71, Fritz-Baertstr. 5.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 58 vom Juni 1969, 82 f.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunst/Kultur