Materialien 1969
Auch ein bisschen Porno-Pop
30 Kriminaler bewachen den Staatsakt für die Künstler des Staates
Die „Große Kunstausstellung München 1969“, die am Freitag vom bayrischen Kultusminister Huber sehr feierlich eröffnet wurde, soll das deutsche Kunstschaffen der unmittelbaren Gegenwart repräsentieren. Sie repräsentiert es, wie jedes Jahr, in seiner ganzen „Pluralität“. Sie präsentiert es, wie eine Messe, in kaum überschaubaren, kaum qualifizierbaren Mengen: 1049 Werke von 596 Künstlern. Sie präsentiert es wie eh und je, nunmehr zum zwanzigsten Male.
Spurlos sind die Erschütterungen der letzten Jahre an dieser deutschen Kunstleistungsschau vorübergegangen, wenn auch das Haus der Kunst selbst, dieser widerliche Weißwursttempel faschistischer Glorie, in seinen Grundfesten erbebt (es sind nur die Baumaschinen, die einen gewaltigen Tunnel in die Prinzregentenstraße graben). Alles bleibt beim alten, nur keine Experimente – als habe es nie eine „dokumenta“ gegeben, als hätten nicht zahlreiche kleine Galerien in München, nicht die Antikultur des „Underground“, die Künstlerkader der APO längst den Stellenwert der Kunst verschoben, die Problematik herkömmlicher Kunstdarbietung aufgedeckt, die Grenzen zwischen den sogenannten schönen Künsten aufgehoben.
Nein, im Haus der Kunst ist die Kunstwelt noch in Ordnung. Da haben die „Großen Alten“ (Kokoschka, Dix, Schmitt-Rottluff, Geiger, welch letzterer sich soeben über die späte Verleihung des bayrischen Verdienstordens indigniert zeigte) ihren angestammten Platz im Vor- und Hauptsaal. Da gibt es ein Kammerl für die Naiven, ein Kabinett der Surrealisten, ein paar Wände für die Pop-Artisten, während die Vexierspiele der Op-Art in einem Treppenhaus stattfinden und die ebenso zusammengeschmolzenen, vor Jahren noch marktbeherrschenden Abstrakten bunt unter die Menge gemischt wurden.
Die Eigentliche Avantgarde wurde, wie in diesem Haus üblich, in den hintersten Saal 7 gesperrt. Im relativ verborgenen darf blühen, was anderwärts sogar schon ins Museum aufgenommen wird: Knallbunte Kunststoffgebilde (auf denen bei unserem Besuch ein Kind zu trommeln versuchte, riesige Zahnpastatuben, Aktions- und Funktionsdinger, auch ein bisschen Porno-Pop (gemalter Striptease in vier Phasen, benannt „Momente“). Tritt man aber hinaus aus der Tür dieser Raritätensammlung, dann blickt man einem Jäger in die Pupille, der mit seinem Hund weit übers grüne Land äugt.
Auch in der Thematik hat die Großkundgebung deutscher Kunst scheinbar nicht mehr viel neues zu sagen, sie ist gesellschaftlich irrelevant. Mindestens die Hälfte der ausgewählten Werke sind dem Schmücke-dein-Heim-Stil zuzuordnen. Ein gut Teil der Bilder, soweit sie Gegenständliches erkennen lassen, zeigen Landschaften. So weit, so gut. Man will ja nicht nur ausstellen, man will auch gut verkaufen.
Aber da sich die Ausstellung repräsentativ gibt, muss der Eindruck entstehen, dass eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart in der deutschen Gegenwartskunst kaum noch stattfindet. Die Arbeitswelt von heute, die politischen Elementarereignisse (zwei Grafiken „zum Gedenken an die Okkupation der CSSR“ seien als Ausnahme erwähnt), die Computer-Technik und die Massenmedienkultur – sollten Künstler wirklich keine Antwort darauf haben?
Oder liegt es an der Ausstellungsleitung, welche der 68-jährige Mädchenmaler Müller vorsteht? Oder an der Auswahl durch die Juroren von drei Münchner Künstlerorganisationen? Vorgänge und Hintergrund sind nicht transparent. Man hüllt sich in Schweigen. Eine Presseführung findet seit einigen Jahren nicht mehr statt. Ein Waschzettel, der nichts als ein paar Zahlen aufweist, ersetzt jedes offene Konzept.
Von einer Diskussion ist schon gar nicht mehr die Rede. Und im Katalog, der für zehn Mark verkauft wird, findet man statt eines programmatischen Vorworts, wie es wohl im 20. Jahr angebracht gewesen wäre, nur bezahlte Anzeigen. Wie soll der Betrachter, der Kritiker die Spreu vom Weizen sondern, wenn es den Künstlergenossen selbst nicht gelingt? Einzelne Namen hervorzuheben, wäre bei dieser Ansammlung blanke Willkür.
Vielleicht waren es solche Probleme, die einen der Mäzene der Münchner Kunstschau, den Großverleger Dr. Franz Burda bewogen haben, auf die Verleihung weiterer Preise (in Höhe von DM 40.000) zu verzichten. Oder hat ihn permanent verärgert, dass im vorigen Jahr ein Kunststudent dem „Bahnbrecher des gesunden Volksempfindens“ einen Gartenzwerg überreicht hatte? – und das gleich nach der Ansprache des damaligen Agrikulturministers Hundhammer: „Bayern soll – und Deutschland ganz allgemein – auch weiterhin ein Hort der Kunst bleiben … denn bis zurück zu Adolf … nein, nein, nicht der, ich meine Albrecht Dürer …“
Für satirische APO-Aktionen böte sich bei der diesjährigen Jubiläumsschau mehr Angriffsfläche als je zuvor. Die Ausstellungsleitung hatte vorgebeugt: dreißig Kriminalbeamte bewachen den Staatsakt für die Künstler des Staates.
Karl Stankiewitz
apo press. Informationsdienst für die Außerparlamentarische Opposition 21/II vom 10. Juni 1969, 16 f.