Materialien 1969
Bilder aus „bleiernen Jahren“
… Bereits 1969 strahlt die ARD den Film BRANDSTIFTER von Klaus Lemke aus. Lemke, der durch cinephile Gangsterfilm-Pastiches aufgefallen war, will das Massenmedium nutzen, um den Zuschauern das Lebensgefühl der rebellischen Jugend nahezubringen. Es geht Lemke um eine neue Form des Fernsehens, das schnell auf gesellschaftliche Phänomene reagiert. Im Mittelpunkt der locker aneinandergereihten Episoden steht die Studentin Anka (Margarethe von Trotta), die sich entscheidet, ein Kaufhaus anzuzünden, um überhaupt „etwas zu tun“ und nicht länger in der revolutionären Pose zu verharren. Ihre Kommilitonen missbilligen dies. Doch Lemke geht es nicht so sehr um Politik, vielmehr entwirft er ein Kaleidoskop jugendlichen Lifestyles und häuft Insignien der Pop-Kultur an. Hier wird BRANDSTIFTER zum schicken Werbeclip à la „Twen“. Einmal geht Anka in ein Kino, um einen Western anzusehen. Im Gang wird sie von einem Mann angesprochen, der sie fragt, ob sie wirklich in diesen Film gehen müsse, er habe „den besseren Film“. Schnitt. Zwei Freunde von Anka proben zu Hause die Wirkung eines Agitationsfilms. Der rasante Super-8-Film benutzt Fernsehbilder aus Vietnam, von Studentendemonstrationen; man sieht die bekannten Bilder von Benno Ohnesorg, ein Hochhaus und eine Zeitzündervorrichtung, an der gebastelt wird. Dann sehen wir Anka, die den Sprengsatz hoch hält und ein Insert fordert „Paradise Now!“ Zeitweise wird der Film direkt auf Mao-Poster projiziert, die an der Wand hängen. Unterlegt ist diese Filmvorführung mit „Street Fighting Man“ von den Rolling Stones. Hier wird Politik zu Pop – und wenn Filme heute ihre Handlung nach „1968“ verlegen wie Sönke Wortmanns EINE WAHNSINNSEHE oder Bruno Jonas WIR ENKELKINDER, dann greifen sie gerne auf solches Montagematerial zurück. Die folgende Szene von BRANDSTIFTER spielt dann gleich in einer Pop-Art-Galerie und bietet Fashiontips für New-York-Reisende, währenddessen sich die Filmagitatoren in Kritik der Werbung üben. Unklar bleibt, inwieweit solche Szenenfolgen kritisch oder affirmativ gemeint sind. Andererseits „dokumentiert“ BRANDSTIFTER auch recht ziellose politische Diskussionen, wobei Engagement und Eloquenz in der Auseinandersetzung mit den universitären Autoritäten als Karrieretrittbrett dienen. Seinerzeit kam BRANDSTIFTER bei der Kritik überhaupt nicht an: Die Vorwürfe reichten von „Aufbereitung bekannter Klischees zum Zwecke ihrer modischen Ausbeutung“ bis hin zur Feststellung, BRANDSTIFTER dokumentiere „die wundersame Metamorphose eines apolitischen Filmers zum gutbezahlten Revolutionär“ (Film 7/1969). Der Tatsache, dass durch den gesamten Film Musik der Rolling Stones zu hören ist, ist es zu verdanken, dass diese Einschätzungen in absehbarer Zeit nicht zu überprüfen sind …
Ulrich Kriest
Petra Kraus/Natalie Lettenewitsch/Ursula Saeckel/Brigitte Bruns/Matthias Mersch (Hg.), Deutschland im Herbst. Terrorismus im Film, München 1997, 26 f.