Materialien 1969

Sandkasten für Generäle

Gespräch mit Ernst Oberle

Dieser aggressive Kasten dort steht nicht umsonst so zentral im Blickfeld, der Besucher fällt drü-
ber, wenn er hereinkommt. Ein richtiger Sandkasten, wie für Kinder, wie für Generäle. Wir haben ihn nur schwarz umhüllt und die vielen kleinen schwarzen Kreuzchen in den Sand gesteckt. – Das ist sozusagen das Motto unserer Ausstellung hier im Pavillon. Der Arbeitskreis kriegsversehrter Künstler macht ja jedes Jahr eine Ausstellung hier. In diesem Jahr ist alles etwas anders als sonst. Hier unter Glas können Sie nachlesen, bis zu welchem Punkt sich die Dinge entwickelt haben: In-
dem wir diese Ausstellung machten, ist uns klargeworden, das heißt, wir haben begriffen, dass es ein Anachronismus wäre, die Vertreter des Staates als Protektoren einzuladen, gegen dessen erbar-
mungslosen Mechanismus diese Ausstellung gerichtet ist. Erstmalig! Ministerpräsident Alfons Goppel haben wir nicht mehr eingeladen, die Schirmherrschaft zu übernehmen, und auch Ober-
bürgermeister Vogel ist nicht mehr im Ehrenausschuss. Diese Leute haben wir jahrelang mit Schreiben bombardiert, die auf die Lage der Künstler im Allgemeinen und die der kriegsversehrten Künstler im Besonderen aufmerksam machen sollte. Ohne Resultat. Diese unsere Maßnahme und die Natur unserer Ausstellung gehören zusammen; eine Art Stolz und Selbstachtung ist noch da bei uns, trotzdem wir die Nase tief im Dreck haben.

Ich will gleich einräumen, dass vom künstlerischen Standpunkt her gesehen, unserem Arbeitskreis etwas Fragwürdiges anhaftet. Ich will hier nicht von Schicksalsgemeinschaft reden, aber es gibt eine Reihe von Gründen außerkünstlerischer Natur, die unseren Arbeitskreis kriegsversehrter Künstler zusammenhält. Die Kriegsverletzung hatte bei vielen Auswirkungen auf die künstlerische Potenz; einige sind einfach moralisch gebrochen. Da ist ein Kollege mit einer zerschmetterten Schulter. Er hätte das Zeug für große Wandbilder: jetzt malt er Aquarelle. Außerdem ist er ange-
wiesen auf die Einkünfte seiner Frau. Das schafft Verbitterung. Natürlich gibt der Staat Hilfen, zum Beispiel die Ausgleichsrente. Aber sehen Sie, wie es kommt: ich hatte damals einen Staats-
auftrag, der sich mit einer durch meine Verletzung bedingten Operation kreuzte. Den Auftrag hat ein Anderer ausgeführt. Der Berufsschadenausgleich deckt diesen Ausfall nicht. In diesen Angele-
genheiten werden dann schnell die Aufsässigsten notdürftig beschwichtigt. Insgesamt bleibt die entsetzliche Wehrlosigkeit des Einzelnen angesichts von Versorgungsschwierigkeiten. Aber man-
che haben dabei noch ganz gehörigen Humor: der da, selber verkrüppelt, macht sich noch über alle möglichen Formen von Amputationen lustig, aber genau dürfen Sie nicht hinschauen.

Die Idee, diese Ausstellung zu machen, hat sich im Verlauf des vergangenen Jahres verfestigt und konkretisiert. Ausgelöst hat alles eine Ausstellung, die wir vor einem Jahr in Roth bei Nürnberg hatten. Da waren schon eine Reihe von gesellschaftskritischen Bildern. Verkauft wurde genau nichts, gar nichts. Aber Reden wurden geschwungen, vier Landtagsabgeordnete waren da: in München haben wir das noch nie erlebt; spaltenlange Berichte in den Zeitungen; es knisterte re-
gelrecht. Trotzdem, in Roth hing noch alles recht gemischt durcheinander. – Jedenfalls sind wir seit damals überzeugt, dass man eine gesellschaftlich erfolgreiche Ausstellung durchführen kann, das heißt eine Ausstellung, die Impulse gibt. In unseren Aussprachen kamen wir zu dem Ergebnis, dass in Zukunft alle Arbeiten nachdrücklicher in der Aussage sein müssen, sie müssen sich ge-
schlossen präsentieren, es darf nichts einströmen, was die Wucht abschwächt. Resultat dieser Überlegungen war der Schluss, dass wir die Ausstellung unter einem Thema zusammenfassen müssen.

Wir nennen diese Ausstellung Sandkastenspiel! In gemeinsamen Diskussionen haben wir begon-
nen, unsere Lage zu durchdenken. Erster Gedanke war natürlich, dass man die kriegsversehrten Künstler durch Ankäufe hätte unterstützen können. Mit Verkäufen ist nicht mehr zu rechnen, also brauchen wir keine Verkaufsausstellung zu machen, nur das Künstlerische und der Ausdruck brauchen berücksichtigt zu werden. Wir beschlossen, der Gesellschaft, die uns derartig benach-
teiligt, den Spiegel vorzuhalten. Wir haben versucht, alles umzufunktionieren: das Publikum hört „Sandkastenspiel“, denkt an Heiteres, und trifft auf diese Problematik. Sandkasten, Heldenfried-
hof, auch das ist land-art.

Jeder von uns hat sich Gedanken gemacht, alle Ideen wurden diskutiert: ein weites Feld gesell-
schaftlicher Probleme eröffnete sich. Anfänglich waren wir nur eine Handvoll Idealisten, die die Anderen überzeugen mussten. Zwei Argumente wurden gegen unseren Plan vorgebracht: man würde keine Verkaufschancen haben. Dagegen sagten wir: wir haben ja schon lange nichts verkauft oder nur wenig, trotz großem Verkaufsaufwand. Die Anderen meinten, sie könnten nichts gestal-
ten, was diesem Thema entspräche. Einzelne Ideen wurden diskutiert, interessante Dinge kamen zutage: da ist einer, der kirchliche Aufträge hat. Der hatte plötzlich ganz andere Vorstellungen. Einige von uns hatten bisher völlig schizophren gelebt, auch künstlerisch. Man hatte jahrelang einfach nicht mehr das gemacht, was der Einzelne nun wirklich dachte und fühlte. – Einer wollte sogar den Arm vergoldet als Skulptur machen, der Kiesinger ohrfeigte. Aber es gibt ja so viele Künstler, ja Menschengruppen, die nicht auszudrücken wagen, was sie denken: Kriegsversehrte ebenso wie andere.

Die Eröffnung hier war für mich ein Erlebnis, für alle von uns. Unsere Begeisterung war offen und einhellig; es war ein Moment der Befreiung, wir hatten endlich einmal allen Dreck ausgeatmet, frei von aller Rücksichtnahme. Hier gibt es keine Verkaufsschlager: die ganze Ausstellung ist eine ein-
zige Aussage. Mehr hatten wir nicht gewollt. Schon der Sandkasten, 2 × 2 Meter, ist eine Kollektiv-
idee und auch Ausführung: dem snobistischen Kunstmarkt eine andere Art von land-art entgegen-
stellen: Kreuze im weißen Sand, lapidar, nicht ambitioniert, das soll unter die Haut gehen. Jedes einzelne Kreuzchen überklebt mit einem Fetzchen friedlicher Landschaft, Fotoausschnitte, auch der Generalstabssandkasten ist drin, das Schachbrett. Als Kriegsopfer sieht man das eben anders. – Überhaupt ist thematisch der Grundtenor alles andere als kriegs- oder militärfreundlich. Das haben wir aus nächster Nähe gesehen und an unseren Körpern gespürt. Und auch den berühmten Dank des Vaterlandes. Da taucht immer wieder, wie Sie sehen, der Kriegsversehrte auf: im Krieg, im heutigen Leben, und zwar der einfache Mensch, nicht der dekorierte, als einfacher Soldat, als einarmiger Straßenkehrer, als Krüppel, der die alltäglichen Verrichtungen trotz seiner Behinde-
rung bewältigen muss. Der Krieg ist wirklich Vater aller Dinge, nicht wahr? – Dort ist der Soldat dargestellt in allen Jahrhunderten: als Legionär, Landsknecht, Frederizianer, heute, immer endet alles im Leichenhaufen. Und von dort ist es nicht weit zu den Stationen der heutigen Mordplätze: Vietnam, Biafra, Sudan.

An der Wand dort drüben hängt eine ganze Serie von mir. Die Sachen sind stilistisch uneinheitlich, künstlerisch ohne Ambition gemacht. Dieses geschundene rote Gesicht, dann der Spiegel daneben mit dem kleinen roten Pfeil, Titel: „Wohlstandsgesellschaftsgenosse“. Man sieht sich selber. Auch das ist den heutigen künstlerischen Gepflogenheiten entlehnt, aber verfremdet. Hier der hochtra-
bende Beamte, der aus Hobby den kapitalen Bock schießt: Demonstration der Macht. Dann der wohlsituierte Zeitgenosse, der aus dem Gewirr der täglichen Schlagzeilen sich nur die Börsenbe-
richte raussucht, die Folgen nicht bedenkend das Hauptblatt über die Wirtschaftskriege aber acht-
los zu Boden fallen lässt. Die Mehrzahl der Zeitgenossen denkt heute so bei uns … Dieses Bild hier nenne ich „Versprechen“. Immer wieder Versprechen an die Kriegsopfer, die nicht gehalten wur-
den. Die Plakatwand, eine Mauer aus Versprechungen, die die Forderungen stoppen sollen. Das ist ganz kurz, die Betroffenen verstehen sofort. – Diese Arbeit hier zeigt den ganzen Wust der Begriffe, denen der Versehrte gegenübersteht. Das war nicht mit herkömmlichen Mitteln zu lösen. Immer ist die Verbindung zum Krieg da. Was bedeutet denn so ein Begriff wie „von Amts wegen“, oder „Formblatt“? Wissen Sie, wieviel geistige Knechtung sich dahinter verbirgt? Ich weiß nicht, ob ich das ausdrücken konnte. – Diese Bilder hier, sind zum Teil direkt für diese Ausstellung gemacht. Sonst kenne ich nur einen Blickwinkel: wie sieht die konkrete Welt, unsere direkte Umgebung aus? Die Ecke in der Bar, die Baustelle, Verkehr, grauer Stein überall. Alles muss fixiert werden, die Selbstverständlichkeit verschwinden. Eine Straßenflucht kann ich nicht nur dem Anschein nach, oder ästhetisch aufzeichnen: sondern das wird dann so aggressiv, wie es der Innenwelt des Men-
schen wirklich gegenübersteht. Ein Surrealist würde das wahrscheinlich anders machen. Aber die Bilder hier in der Ausstellung sind viel deutlicher, politischer, wenn Sie so wollen. Wir jedenfalls sind mit der Gesamtwirkung ganz zufrieden.


tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 62 vom November 1969, 217 f.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunst/Kultur

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