Materialien 1969

Permanent in den Sack treten

STUDENTEN

Die Münchener Akademie der bildenden Küste bleibt geschlossen. „Die sofortige Schließungsverfü-
gung des Kultusministeriums vom 17. Juli 1969, erklärte jetzt das Verwaltungsgericht München, „ist offensichtlich nicht rechtswidrig.“ Begründung: Die Akademie hat sich geweigert, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Hausverbote gegen Ordnungsstörer zu erlassen. Ein halbes Jahr brauchte der bayerische Kultusminister Huber, um nach der im Februar 1969 erfolglos prak-
tizierten Schließung der Kunstakademie einen scheinbaren Sieg zu erringen. Zudem musste er einen Tadel seines Parteifreundes Franz Josef Strauß einstecken, der die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zum Problem von 24 Stunden erklärte.

Ausgangspunkt war die Diskussion: Mit der Initiierung eines „Kritischen Ateliers“, einer professo-
renlosen Klasse, konnte ein Programm realisiert werden, das zur Bildung studentischer Selbstorga-
nisation führte. Reflektionen über den anachronistischen Lehrbetrieb schufen die theoretischen Voraussetzungen, die autoritäre Privilegienstruktur, das Meister-Schüler-Verhältnis jahrhunderte-
alter Provenienz in Frage zu stellen.

Die Behinderung bei der Erarbeitung eines neuen, gesellschaftsorientierten Konzeptes Kunstaka-
demie durch professoralen Kleingeist und administrative Stellen löste Aktionen aus, die die Dring-
lichkeit studentischer Forderungen unterstreichen sollten:

Basis- und Projektgruppen

  • riefen zu großangelegten Bemalaktionen der Innen- und Außenwände der Akademie auf,
  • verbarrikadierten den Verwaltungstrakt und machten ihn zeitweilig funktionsunfähig,
  • unterstützten den langfristigen Streik gegen Hubersche Hochschulgesetze,
  • schufen schließlich die „Rote Akademie“.

Dazu der Senat: „Die Vorkommnisse sind Ausdruck einer Unruhe, die jeden Veränderungsprozess begleitet. Die Arbeit ist keineswegs in dem Maße gestört, wie es in der Öffentlichkeit erscheint.“ Doch der Kultusminister reagierte, denn die zunehmende politische Strukturierung der Studen-
tenschaft kollidierte mit ordnungsgesetzlicher Hochschulgesetzgebung. Huber verfügte:

„Es ist erschöpfend zu berichten, welche Schmierereien und sonstigen strafbaren Handlungen und welche Störung der Ordnung begangen wurden. Es ist auszuführen, warum diese Handlun-
gen nicht verhindert wurden und keine Polizei gerufen wurde.

In Zukunft ist wöchentlich einmal über alle Störungen der Ordnung zu berichten.

Gegen die Teilnehmer der Ausschreitungen ist vollziehbares Hausverbot zu erlassen, gegen aka-
demiefremde Personen ohne zeitliche Befristung.

Das Landbauamt wird angewiesen, die erforderlichen Baumaßnahmen für Ausweiskontrollen zu erstellen.

Da die strafbaren Handlungen begangen wurden, als die Bediensteten nicht anwesend waren, ist das Gebäude vor Einbruch der Dunkelheit zu schließen. Es sind Vorschläge zu machen, die die ausreichende Bewachung des Gebäudes sicherstellen.

Schadensersatzansprüche sind zu prüfen, und es wird anheimgegeben, weitere Vorschläge zur Verbesserung der Sicherheit zu machen.

Ein durch konkrete Selbsthilfe der Studentenschaft errichteter antiautoritärer Kindergarten ist zu schließen, weil das Akademiegrundstück dem Lehrbetrieb und der Kunstpflege gewidmet ist.“

Der totale Eingriff in die Hochschulautonomie schien perfekt.

Doch der Präsident der Akademie, Paolo Nestler, verweigerte die Gefolgschaft und trat zurück: „Ich bin der Meinung dass der Entwicklungsprozess der Hochschule nicht durch dirigistische Ord-
nungseingriffe des Kultusministeriums und Weisungen, die die Freiheit der Forschung in Kunst und Lehre in Frage stellen, von außen gelenkt und unterbunden werden sollte.“

Die Studentenschaft beschloss Gegenmaßnahmen: Durchbrechung des Hausverbotes; Besetzung der Ateliers jener Professoren, die dem ministeriellen Maßnahmenkatalog zugestimmt haben; Besetzung des Kindergartens; Errichtung eines Kinderspielplatzes auf dem vor der Akademie gelegenen Rasen.

Der Widerstand nötigte Huber, durch seine Parteikollegen einen dringlichen Landtagsbeschluss einholen zu lassen. CSU-Landtagsmitglied Merkt berichtete dem Hohen Hause, dass es „den Rädelsführern dort nicht um Reformen geht, sondern einzig und allein um Zerstörung unserer Gesellschaftsordnung“, denn:

  • Das Bild, das sich am Eingang der Akademie geboten habe, könne nur als erschütternd, be-
    schämend und beklagenswert bezeichnet werden.
  • Ganze Hallen und Wandelgänge dieser altehrwürdigen Anstalt seien mit Schmierereien, Sowjetsternen und übelsten obszönen und perversen Texten bedeckt.
  • Wenn man in der Akademie dazu übergegangen sei, die Tür eines Professors mit Brettern zu vernageln, so müsse man sich jetzt entschließen, die Türen der Akademie mit Brettern zu vernageln.

Unter dem Motto „Besser keine Akademie als eine solche“ wurde die bayerische Staatsregierung mit den Stimmen der drei Parteien am 17. Juli ermächtigt, die Akademie zu schließen und Maß-
nahmen zu treffen, die die Wiederherstellung eines geordneten Lehrbetriebes garantieren. „Das Hochschulproblem kann nicht isoliert von der Gesellschaft gesehen werden, in der die Hochschule steht. Die Krise der Akademie ist primär eine Krise der Gesellschaft, nicht der künstlerischen Be-
fähigung“, so der neue Präsident der Akademie, Aloys Georgen. Aber auch ihn, Lehrbeauftragter für Liturgik, Ikonologie und christliche Weltanschauung, akzeptierte das Ministerium nicht. Er sei nicht Professor, hieß es. Huber verweigerte die vom Senat beschlossene Ernennung.

Alt-ASTA-Vorsitzender Wieland Sternagel: „Die Rote Akademie streikt jetzt aktiv, langfristig, mi-
litant.“ Bis auf weiteres beschränkt sich die Militanz aufs Verbale. Parole in der Akademiehalle: „Nicht nur dem Huber, sondern allen reaktionären Drecksäuen, wie Kapitalisten, Staatsfunktionä-
ren, Rektoren und ähnlichem Gesindel, müsst ihr permanent in den Sack treten.“

Lutz Ziegenbalg


konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 17 vom 11. August 1969, 51.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kunstakademie

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